Ich kann mich noch genau an eine Begebenheit mit meinem Rechtsprofessor erinnern. Nach einer Rechtsklausur sagte mir der Professor: „Studieren Sie Marketing. Sie beschreiben so umfassend Rechtsfälle – werden Sie lieber Marketing-Experte als Jurist.“ Ich habe nicht nur wegen der Aussagen des Professors Marketing studiert – diese Worte haben jedoch meine Studienwahl beeinflusst.
Durch laufende Bewertungen bilden wir ein Selbstkonzept: „So einer bin ich also.“ Dieses Selbstkonzept wird im Laufe eines Lebens immer wieder neu definiert. Menschen, die nicht gerne bewertet werden, umschiffen wie das Schiff den Eisberg diese Bewertungen, indem sie diese entweder verzerren oder vermeiden.
Vor allem Menschen mit geringem Selbstbewusstsein vermeiden Bewertungen. „Ich traue mich nicht, vor so vielen Leuten zu reden“, heißt es oft. Ein guter Freund ist ein Vielredner, der gerne auch seine Meinung äußert. Bei Diskussion fällt er jedoch durch Zurückhaltung auf. Ich bin darüber verwundert. Nach einer durchzechten Nacht beichtete er mir, dass er sich einfach nicht traut, denn er hat Angst, dass seine Meinung negativ bewertet wird.
Bei der verzerrenden Wahrnehmung werden Botschaften so verzerrt, dass sie trotzdem wieder zum Selbstkonzept passen. Als Beispiel dient wieder mein Freund. Nach seinem Diskussionsbeitrag lobte ich ihn: „Dein Beitrag hat das Thema auf den Punkt gebracht“. Er interpretierte diese Aussage als „Eh klar, er möchte mich motivieren, mehr in der Öffentlichkeit zu reden – ich bin und bleibe jedoch ein schlechter Redner“.
Wer sich äußert, will in der Regel auch etwas bewirken. Die Appell-Botschaft soll den Empfänger veranlassen, bestimmte Dinge zu tun oder zu unterlassen. Einflussnahme kann mehr oder weniger offen (Bitten, Auffordern, Befehlen, Anordnen, Ersuchen ...) oder verdeckt (Manipulation) erfolgen. Ist der Anteil der Appellebene in der Kommunikation zu hoch, wirken wir wie eine Befehlszentrale. Solche Menschen werden langfristig kaum akzeptiert, egal in welcher Position. Bei meinen Seminaren wird die Appellebene oft von den Teilnehmern negativ bewertet. Das sehe ich nicht so. In unserer arbeitsteiligen Welt geht es nicht ohne Koordinieren. Koordination ist eng mit Führen und Appellieren verbunden. Die Appellebene ist besonders bei Menschen angebracht, die einen gering(er)en Wissensstand haben.
BEISPIEL
Als Abteilungsleiter waren mir in den Unternehmen auch Lehrlinge zugeteilt. Eines meiner Ziele in der Ausbildung war die Selbstständigkeit. Daher bat ich einmal einen Lehrling, das Prospektlager aufzuräumen und die Prospekte zu ordnen. Der Lehrling starrte mich an und fragte, nach welchem Schema geordnet werden soll. Ich machet ihm Mut und sagte: „Du kannst das sicher, erarbeite dir selbst ein Schema und leg die Prospekte danach ab – ich vertraue dir.“ Meine motivierenden Worte halfen jedoch nichts. Rasch merkte ich, dass der Lehrling überfordert war. Ich versuchte es nun mit Appellen: „Mach das nach dem Schema XY, dann …, dann …, dann …“ Der Lehrling bedankte sich für die Appelle und verrichtete die Arbeit ausgezeichnet.
Auch in der Kindererziehung sind Appelle eine wichtige Ebene der Kommunikation. In der Pubertät sollten Sie mit Appellen jedoch vorsichtig sein: „Du hast mir überhaupt nichts zu befehlen“, „Spiel nicht den Oberlehrer“, „Schau doch selbst, wie zu zusammenkommst“ sind häufig verwendete Repliken der heranreifenden Erwachsenen. Versuchen Sie in dieser Phase, den Appell mit Sach- und Ich-Aussagen zu verbinden. Eine Seminarteilnehmerin sagte mir, dass es ihr zu viel Mühe macht, „um den heißen Brei herumzureden“. Sie werden sehen, der Aufwand umfangreicherer Kommunikation macht sich mehr als bezahlt.
Appelle sind also nicht gleich Appelle. Schauen wir uns verdeckte und offene Appelle genauer an:
Verdeckt ist ein Appell, wenn der Gesprächspartner den Appell nicht sprachlich äußert. Wenn Kinder ohrenbetäubenden Lärm machen, Wutanfälle bekommen und brüllen, dann appellieren sie durch ihr Verhalten: „Ich will deine Aufmerksamkeit!“ Wenn kein Empfänger da ist, verschwindet die kindliche Darbietung rasch.
Auch bei Erwachsenen werden mit einem bestimmten Verhalten verdeckte Appelle gesendet. Ein Weinen, ein aggressiver Blick können dem Empfänger den unausgesprochenen Appell „Lass mich bitte in Ruhe!“ mitteilen. Sicher kennen Sie Menschen, die Sie „mit Samthandschuhen“ angreifen und solche, denen Sie schroff begegnen. „Ich weiß, wie weit ich bei dem gehen kann“, heißt dazu eine landläufige Aussage.
Verdeckte Appelle sind oft erfolgreicher als ausgesprochene. Schon als Kind haben wir gelernt, dass wir durch ein wehleidiges Gesicht eher zu Schokolade kommen als durch einen offenen Appell: „Bitte gib mir eine Schokolade!“ Bei verdeckten Appellen übernimmt der Sender keine Verantwortung, da er diese nicht ausgesprochen hat. Die große Herausforderung ist jedoch, das Gegenüber emotional so zu beeinflussen, dass der Appell auch Wirkung zeigt.
Sie kennen sicher Menschen, die durch verdeckte Appelle andere Menschen beeinflussen wollen. Seien Sie achtsam, da die Duldung versteckter Appelle oft die Haltung des Senders verstärkt. Motto: „Immer wenn ich weine, bekomme ich ein Eis“ oder „Immer wenn ich die Augenbraue hochziehe, weiß mein Partner, dass ich verärgert bin“. Sollen wir diesen versteckten Appell ignorieren? Meist reagieren wir mit einem Gegenappell: „Jetzt sei still!“ oder „Du bekommst nichts“. Eine gute Möglichkeit sind Fragen, die den verdeckten Appell aufdecken! Schaffen Sie auf einer kommunikativen Ebene die Auseinandersetzung mit dem verdeckten Appell.
BEISPIELE
„Willst du durch dein Weinen bezwecken, dass ich dir Aufmerksamkeit schenken soll?“
„Das Hochziehen der Augenbraue bedeutet, dass du verärgert bist?“
Wenn wir miteinander sprechen, nehmen wir aufeinander Einfluss, ob wir nun wollen oder nicht. Wie wir beim klassischen Kommunikationsmodell gesehen haben: Der Sender will, dass der Empfänger antwortet, eine Handlung setzt, Gefühle zeigt etc. Appelle sind dazu – richtig kommuniziert – ein legitimes Mittel. Es sollte jedoch ein klarer, ehrlicher und direkter Ausdruck von Wünschen und Aufforderungen sein. Ehetherapeuten erzählen, dass Partnerschaften daran scheitern, dass die Wünsche nicht oder in verschlüsselter Form ausgesprochen werden.
Wenn der Appell nun nicht die gewünschte Wirkung zeigt, ist zu prüfen, woran das liegt. Manchmal schlagen Appelle sogar in die andere Richtung, das heißt, es wird die unerwünschte Haltung gezeigt. Das klassische Beispiel bei Jugendlichen: „Du sollst nicht rauchen und Alkohol trinken!“ Seien Sie ehrlich, bei den meisten von uns hat dieser Appell dazu geführt, dass Zigaretten und Alkohol nun erst recht interessant wurden und ihr Konsum nur noch eine Frage der Zeit war. Ganz nach dem Motto: Jetzt erst recht!
Warum werden offene Appelle vermieden?
1. Angst vor Offenheit (Selbstmitteilung) und Zurückweisung
Wer Appelle sendet, gibt offen seine Wünsche und Interessen preis. Jeder Appell ist eine Selbstmitteilung. Wir verbergen daher gerne unsere Bedürfnisse und Wünsche. Wir verstecken angstvoll unsere Meinung, Haltung und Einstellung. Motto: Wie reagiert der Empfänger darauf? Werde ich mit meinen Wünschen zurückgewiesen?
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