Verkehrt herum tritt die Schattenseite dieser Karte in den Vordergrund. Die Fähigkeit zu ordnen und zu strukturieren kann dazu fuhren, dass man in einem starren System versteinert und die Arbeit so ihrer Lebendigkeit beraubt wird. Dies kann auch für ganze Firmen gelten. Ein typisches Beispiel hierfür sind z. B. große Konzerne mit einem Verwaltungsapparat, der so aufgebläht und machtvoll ist, dass die restlichen Abteilungen dadurch in ihrer Produktivität blockiert werden. Der dunkle Herrscher steht auch für ein Ungleichgewicht der Machtverhältnisse. Er kann einen perfektionistischen und strengen Vorgesetzten symbolisieren, unter dessen Befehlen und Richtlinien wir leiden. Oder wir haben selber diese Rolle inne, sind macht- und karrieregierig und achten dabei nicht auf unsere Gefühle und Bedürfnisse oder die der anderen.
Im Bereich der Partnerschaft verkörpert der Herrscher eine Zeit, in der es für uns sehr wichtig ist, nicht nur die Emotionen, sondern auch die Ratio sprechen zu lassen. So können wir zum Beispiel erhitzte Gefühle mit seiner Hilfe beruhigen oder einen Streit verhindern, indem wir unsere Vernunft einschalten und durch Analyse der Situation das Problem lokalisieren. Der Energie des Machers entströmt ebenfalls eine ausgeprägte Fürsorge für andere. Es ist ihm ein starkes Bedürfnis, die Sicherheit zu schaffen, die eine Beziehung braucht, um in geordneten Bahnen zu wachsen. Konkret bedeutet dies, dass wir unter seinem Einfluss unsere Gefühle offenbaren können - innerhalb des Rahmens, den er uns steckt. Er ist somit derjenige, der uns rät, mit einer Liebeserklärung noch ein Weilchen zu warten und auch eine feste Bindung nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen, wenn die Gefühle oder Umstände einmal nicht so sind, wie wir sie gerne hätten. Mit ihm erhalten wir von unserem Partner oder Freundeskreis sehr viel Hilfe und Beistand (oder lassen der Umwelt unsere Unterstützung angedeihen). Er kann als väterlicher Ratgeber auftreten - unabhängig davon, ob wir selbst oder ein anderer gerade diese Energie verkörpern. In der Partnerschaft steht er für einen starken, souveränen Mann, der viel Wert auf vernunftbetontes Handeln legt und seine Freunde oder Partnerin materiell unterstützt. Frauen haben unter dem Herrscher-Einfluss guten Zugang zu ihrem Animus und können ihre männliche Seite offen leben.
Der Grat zwischen Fürsorge und Dominanz ist sehr schmal und bei einer umgekehrten Karte wird er (oft schmerzlich) überschritten. Wir erleben hier eine festgefahrene Beziehung, in der die Gefühle geringschätzig behandelt und zugunsten von Kontrolle über den anderen niedergehalten werden. Wir pochen dann stur und selbstgerecht auf unseren eigenen Vorstellungen, unterdrücken die Weiblichkeit in uns oder beim Partner und machen sie zu unserem Schatten, statt mit ihr zusammen ein Team zu bilden. Oft haben wir Angst vor dieser Seite, die wir aus der Herrscherkraft gesehen als chaotisch und unkontrollierbar erleben. Daher steht auch der Herrscher wie schon die Herrscherin in einigen Fällen für einen ungelösten inneren Konflikt mit einem Elternteil - in diesem Falle dem Vater.
So sehr die Herrscherin auf emotionale und zyklische Weise an die Spiritualität herangeht, so sehr macht der Herrscher dies auf strukturierende und lineare Art. Eigentlich ist die Magie und Spiritualität nicht sein Bereich, da sie sich in ihrem Wesen seiner Hauptfunktion, der linearen Strukturgebung, entzieht. Er kann sie daher nur erfahren, indem er sie organisiert und durch Hierarchien und Gesetze weltlich macht. Und das ist auch seine Aufgabe. Er sorgt für den Rahmen, in dem unsere spirituelle Entwicklung stattfindet. Er verwirklicht die patriarchalischen Religionen, die der Hohepriester ersonnen hat, und baut im Außen den passenden Tempel zum inneren Glaubensmodell. Auf einer alltäglichen Ebene lässt er uns die verschiedenen religiösen Wege kritisch prüfen und dann beharrlich den Weg, für den wir uns entschieden haben, verfolgen. Ebenso kann er dafür stehen, dass wir uns bemühen, innerhalb einer Glaubensrichtung eine einflussreiche Position zu erlangen. Oft deutet er auch darauf hin, dass wir der Spiritualität in unserem Leben derzeit keine große Bedeutung beimessen, sondern uns vornehmlich mit weltlichen Angelegenheiten wie Karriere, gesellschaftlichem Status oder Familienplanung befassen.
Unter dem Einfluss der umgedrehten Karte lehnen wir sämtliche Strukturen ab, wir rebellieren gegen organisierte, hierarchische Religionen und suchen eine Art spirituelle Anarchie. Oder wir benutzen die Glaubensinhalte einer Religion ausschließlich, um damit unsere irdische Position auszubauen - indem wir beispielsweise unseren Einfluss auf andere Menschen oder unsere finanziellen Mittel vermehren, ohne die Inhalte der Glaubens- oder Religionsmodelle ernst zu nehmen oder unserer inneren Stimme zu folgen. In einem aus der Sicht des Herrschers kontraproduktiven Sinn sind wir im Bereich der verkehrten Energien bisweilen sogar sehr kreativ (allerdings ohne es zu merken), zumindest aber kämpferisch und aggressiv.
V Der Hohepriester
Dogma, Tradition, Moral
Der Hohepriester steht in einem komplementären Verhältnis zum Herrscher . Wenn dieser ein Symbol der kontrollierenden Autorität des Patriarchats darstellt, dann repräsentiert jener den religiösen Überbau, unter dessen schützendem Dach das in der Welt dominierende Prinzip des Herrschers überhaupt erst gedeihen kann. Je mehr er seine eigenen Gefühle unterdrückt, umso mehr muss er sie auf dem Umweg der Unterdrückung der Gefühle anderer in Form von Glaubensmodellen ausleben. Wie wir sehen, befriedigt der Inquisitor sich selbst, indem er das Gesetz zur Unterdrückung anderer instrumentalisiert, um das in sich selbst Unterdrückte loszuwerden. Besessen von seinem inneren Dämon, verwechselt er den Umstand seiner persönlichen Herrschaft mit den Gesetzen göttlicher Allmacht, und aus der Angst vor Verlust der Kontrolle vernichtet er alles, was ihm in der Außenwelt bedrohlich erscheint. Die hierarchisch aufgebaute Glaubensarchitektur gibt ihm Sicherheit und Macht und gruppiert die Gläubigen um ein verbindliches Konzept der Wahrheit, das in der Dualität von Gut und Böse den letzten Ratschluss göttlicher Weisheit formuliert. Da er seinen Gott aber nur so erkennen kann, wie er seiner eigenen Vorstellung entspricht, kann er diesem Gott, der sich aus dem Bewusstsein seiner Bilder nährt, niemals als lebendigem Gott begegnen. Darum ist ihm hinter der Maske des Wissens das Leben fremd: Er vermag nicht zu sehen, dass der Teufel, den er in sich selbst verdrängt, ihm von außen umso häufiger begegnet.
Baphomet — Tarot der Unterwelt
Der Tarot ist als Spiegelbild einer inneren Kosmologie die kultivierte Form einer ursprünglich intuitiv erfahrenen inneren Struktur, die sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt, und der Hohepriester, der das Verlangen darstellt, außen zu finden, was er innen sucht, ist ein Zeitreisender, der die Inkarnation einer aus der Zukunft stammenden Seele im Körper eines in der Gegenwart gefangenen und von der Sehnsucht nach Gott getriebenen Kosmonauten darstellt, d.h., er versucht seine Sehnsucht nach Gott in die Welt zu schicken, um Gott draußen zu finden und dessen Bild wieder in die Seele zurückspiegeln zu können, damit er den Menschen seine eigene Botschaft im Namen Gottes verkünden kann. Er sucht die Identifikation mit Gott, also erschafft er sich ein Bild von ihm und nimmt es in seinen Besitz. So erlangt er mit Hilfe seiner Vorstellung Macht über das Bild, das er Gott nennt - das aber im Grunde das Bild des Teufels ist (das zeigt das Bocksgehörn auf seiner Stirn). Er spürt in sich die Kraft, die Welt der Menschen mit der Heimat der Götter verbinden zu können, denn die Fragen der Menschen in Bezug auf die Herkunft und den Zweck ihres Seins sind der Nektar, aus dem ihm seine innere Souveränität erwächst. Dabei ist er sich allerdings der Basis seiner Funktion als Mittler zwischen den Unsicherheiten der Fragenden und seiner scheinbaren Sicherheit (die nur aus den Fragen der anderen erwächst) nicht wirklich bewusst, denn wie könnte er seinen eigenen Prägungen auch entfliehen, die den würfelartigen Sockel bilden, auf dem er steht. Er sieht letztlich das, was er sehen kann, durch den Filter der Sicht, wie Gesehenes auszusehen hat, damit es wahrgenommen und interpretiert werden kann. An dieser Stelle laufen zwei Energiestränge zusammen, die sich im Denken und in der Selbstdefinition des Hohepriesters nicht trennen lassen.
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