Strains dieser Art treten möglicherweise auch im Bereich des Truncus cerebri zwischen dem Aquaeductus cerebri und dem Canalis centralis des Rückenmarks auf – das heißt im Bereich des vierten Ventrikelbodens 64.
Erinnern Sie sich an die Position der Nuclei und daran, wie die Hirnnerven verlaufen. Mit Ausnahme der ersten beiden verlassen alle Hirnnerven den Schädel, also denken Sie auch besonders an die Foramina. Sie verstehen den Mechanismus des lebenden Gehirns, der in einem beweglichen Schädel sitzt und unter bestimmten Umständen allen möglichen Strains ausgesetzt ist. Betrachten Sie alle Austrittslöcher der Hirnnerven, um zu sehen, ob für ihre Passage genügend Raum vorhanden ist.
Denken Sie insbesondere an die Foramina jugulares. Man kann sie mit intervertebralen Foramina und die Partes petrosae der Ossa temporalia mit Rippenhälsen vergleichen. Was befindet sich dort am Foramen jugulare außer der V. jugularis interna? Der neunte, X. und XI. Hirnnerv auf ihrem Weg aus dem Schädel heraus. Können Änderungen der Größe und der Gestalt jenes Foramen, das durch zwei Knochen geformt wird, zu einer Entrapment-Neuropathie führen? Das ist möglich.
Nun wollen wir die Rippen und ihre dazugehörigen Wirbel betrachten. Denken Sie über die Auswirkung eines winzigen Strains im normalen Gelenkspiel der Rippenköpfchen nach. Dies könnte die nahegelegenen sympathischen Ganglien stören. Gleichzeitig halten Sie Ausschau nach Strains zwischen Wirbeln, die zusammen gehören und die Auswirkung auf die interkostalen Nerven, wobei Sie an die Gesamtverteilung jener Nerven denken. Prüfen Sie den gesamten Nervenverlauf eines Schmerzsignals zum dorsalen Wurzelganglion auf mechanische Faktoren, welche die Funktion und das Wohlbefinden stören können. In Fällen von Interkostalneuralgie, Neuritis und Herpes Zoster ist dies eindeutig nötig.
Eine Rippe rotiert während der Inhalation und Exhalation in Bezug auf die Mittellinienstrukturen nach innen und außen, ebenso wie alle paarigen lateralen Strukturen überall sonst im Körper. Stellen Sie sich den Rippenhals bildlich vor. Erinnert er Sie an die Bewegung einer Jalousie? Wenn die Jalousie geschlossen ist, gibt es noch Platz zwischen ihr und der Fensterscheibe. Sehen Sie sich sämtliche Rippenhälse beidseits der hinteren Thoraxwand an. Drehen Sie die Rippen in Gedanken, wie sich Jalousien drehen. Achten Sie dabei auf die Änderung des Raumes zwischen der Rippe und dem Gewebe davor – namentlich den Lungen. Visualisieren Sie die prävertebrale Faszie, die nahe an den sympathischen Ganglien und Blutgefäßen verläuft. Was geschieht, wenn die Jalousien, die Hälse der Rippen, nach innen oder außen rotieren? Die Bewegung verändert den Raum, den prävertebralen Raum zwischen Rippen und Lungen.
Nehmen wir an, eine dieser Jalousien (Rippen) luxiert entweder in Außen- oder Innenrotation, zusammen mit einer Störung der funktionellen Physiologie der Grenzstrangganglien – der sympathischen Ganglien. Was geschieht in der Nähe dieses Ganglion mit dem Rippenköpfchen, wenn die Rippe in einer Position festgehalten wird? Sie haben dann die gleiche Art von Störung vor sich, als ob jenes kleine Ding, das Ganglion pterygopalatinum genannt wird, nicht richtig arbeitet.
Angenommen Sie haben einen Patienten mit einer Hyperextension im Bereich der oberen oder mittleren Brustwirbelsäule: Sie haben sich bemüht, eine Änderung herbeizuführen, aber Sie haben keine Fortschritte gemacht. Warum bekommen Sie nicht das Ergebnis, um welches Sie sich bemüht haben? Weil der Kopf einer Rippe die zu ihr gehörigen Wirbel in dieser Position hält.
ZEICHNUNG I–15(A): ANTERIORE ANSICHT DER HINTEREN THORAXWAND
Gezeigt wird die Beziehung der sympathischen Grenzstrangganglien zu den kostovertebralen Gelenken.
ZEICHNUNG I–15(B): EIN TRANSVERSALER QUERSCHNITT DES KOSTOVERTEBRALEN GELENKS
Mit seiner Beziehung zu einem sympathischen Grenzstrangganglion.
Um diesen Zustand zu behandeln, müssen Sie lediglich die Schraube – also die Rippe – in einer Position halten. Es macht keinen Unterschied, ob Sie sie in Innen- oder Außenrotation halten. Sie halten die Schraube und bitten den Patienten die Mutter zu drehen – das heißt das Facettengelenk oder die Facettengelenke der dazugehörigen Wirbel. Der Patient tut dies, indem er die gegenüberliegende Schulter wegdreht oder vielleicht nur seinen Kopf. Wenn Atemkooperation zusätzlich zur Haltungskooperation angewandt wird, werden die mit den betroffenen Gelenken verbundenen Bänder, welche das Rippenköpfchen im Gelenk halten, es wieder in eine normale Position zurückführen.
Sie wenden die gleiche Haltungs- und Atemkooperation bei der entsprechenden Rippe der Gegenseite an. Was geschieht nun mit jener sogenannten chronischen Extensionsdysfunktion im Bereich des Thorax, wenn die normale Bewegungsfreiheit wiederhergestellt ist? Die gleichen Ergebnisse, die Sie vorfanden, als Sie bei Strains im kranialen Bereich Erleichterung verschafften. Die Entrapment-Neuropathie ist beseitigt.
Es gibt drei verschiedene wichtige Aspekte, wenn wir über den lebendigen menschlichen Körper inklusive Schädel nachdenken. Der erste ist die Betrachtung der unwillkürlichen Physiologie, so wie sie ununterbrochen abläuft, mit ihren dazugehörigen mechanischen Aspekten. Hier beobachten wir die Flexion und Extension der Mittellinienstrukturen zusammen mit der Außen- und Innenrotation der paarigen lateralen Strukturen.
Der zweite wichtige Aspekt ist die Anpassung, die diese lebendige Struktur aufgrund von haltungsbedingten und diversen Belastungen durchführen muss. Dadurch entstehen Muster, die bei einer strukturellen osteopathischen Untersuchung bemerkt werden. Solche Muster sind beim Erwachsenen Ausdruck kleiner Strains, die zuerst in der Kindheit entstanden sind und sich später mit dem Wachstum vergrößert haben, das Phänomen des ‚krummen Zweiges‘.
Der dritte Aspekt sind die Traumen, im Sinne einer Verletzung durch die Einwirkung einer Kraft von außen auf den lebendigen Schädel. Falls sich der Kopf während der Übertragung einer solchen Kraft als Ganzes bewegen kann, werden die Auswirkungen auf den Mechanismus minimiert. Aber die Auswirkungen eines schwunghaften Impulses auf Trägheit (sobald also ein sich bewegendes Objekt auf ein stehendes trifft) zeigen ein Spektrum schwerwiegender Folgen und auch eine unbegrenzte Vielzahl damit verbundener Konsequenzen. Dieser kurze Vortrag von Dr. Sutherland vermittelt längst nicht alles, was er in den vielen Jahren seiner Unterrichtszeit zu diesem Thema zu sagen hatte.
Die Folgen eines Schädeltraumas sind in der osteopathischen Praxis sehr häufig anzutreffen. Strains im Bereich der kranialen membranösen Gelenke sind oft die Auswirkung von Operationen, die aufgrund eines anderen Problems durchgeführt wurden. Eine einfache Prozedur wie die Extraktion eines Zahnes kann ungewollt einen Strain des Gesichtsmechanismus oder sogar in der Fossa cranii posterior hervorrufen.
Die großen Verbesserungen im Transport verletzter Personen verhindern die vielen Sekundärverletzungen, die es früher noch häufiger gab. Man hat erkannt, dass ein verletzter oder bewusstloser menschlicher Körper unabsichtlichen Überlastungen eher ausgesetzt ist, weil der Muskeltonus, der die Gelenke sonst schützt, nicht arbeitet. Die Bänder erlauben unter solchen Umständen einen größeren Bewegungsradius, was dazu führen kann, dass es zu einem Strain durch Überbeanspruchung kommt.
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