Der lebende menschliche Körper ist ein Mechanismus. Dazu gehören die knöchernen Gelenke, der Blutfluss in Arterien und Venen, der feine und komplizierte Mechanismus des Lymphsystems und dieses große hydraulische System, die Zerebrospinale Flüssigkeit.
Diese intrakranialen Bilder müssen Sie sich für Diagnostik und Behandlung vor Augen halten. In der Wissenschaft der Osteopathie, wie sie von Dr. Still vorgestellt wurde, liefert uns das Kraniale Konzept ein Bild, dessen sich der Therapeut ständig bewusst sein muss, um das eigentliche Problem diagnostizieren und behandeln zu können.
Dann schaue ich weiter und begegne einem venösen Kanal, der anders ist als sonst. Das Bild membranöser Gewebe, die venöse Kanäle bilden, legt nahe, dass eine dortige Restriktion zu einem pathologischen Befund im Gehirn führen könnte.
Meine Überlegungen sind nun folgende: Falls es im Mechanismus des Schädels keine Mobilität gibt, die das venöse Blut vorwärtsbewegt, wird es eine Stauung im Blutkreislauf geben. Da es eine Kompensation für die Bewegung in der Schädelbasis geben muss, betrachtete ich den Mechanismus im Schädeldach. Ich fand heraus, dass die Dura mater aus zwei Wänden besteht, einer Inneren und einer Äußeren. Dazwischen befinden sich die venösen Blutleiter. Die Suturen des Schädeldaches können sich bewegen und diese kompensierende Bewegung bewegt das venöse Blut.
Als ich den Angulus posterior-inferior des Os parietale und den Angulus mastoideus untersuchte, fand ich heraus, dass die Sinus laterales exakt über der Innenseite dieser Anguli verlaufen. Unmittelbar danach werden sie zu den Sinus sigmoidei, welche das venöse Blut zu den Foramina jugulares weitertransportieren. Dann bemerkte ich die gewellte Verzahnung in den parietomastoidalen Gelenken. Sie zeigen die Bewegungsrichtung der Ossa parietalia nach innen und nach außen. Ich verstand, dass die Bewegung der Anguli mastoidei und der Ossa parietalia, zusammen mit der Bewegung der Ossa temporalia die Wände der Sinus laterales bewegen – jener aus Dura mater gebildeten Hirnleiter.
Was bewegt das Blut die Sinus petrosi entlang, die sich ebenfalls in der Dura mater befinden? Ich dachte mir also weiter, dass die Partes petrosae der Ossa temporalia in einer schaukelnden Bewegung nach innen und anschließend nach außen rotieren. Dann gibt es noch den Sinus cavernosus, der seinerseits membranöse Wände besitzt. Und was bewegt das Blut hier entlang? Ich überlegte, dass das Os sphenoidale nach vorne und zurück zirkumrotiert, 18und dass die bereits erwähnten Wände durch diese Bewegung ebenfalls bewegt werden.
Sie können den Mechanismus sehen, der das venöse Blut vorwärts- bewegt, wenn die mit den Knochen verbundene Reziproke Spannungsmembran sich verändert und dabei die Bewegung des einen oder anderen Knochen reguliert.
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Unser nächstes Studienobjekt ist das Os occipitale. Zunächst müssen wir uns mit dem Umfang des Os occipitale befassen. Dazu gehören der Proc. basilaris, die Kondylen und die gebogene Squama. Das Os occipitale nimmt den größten Anteil der Rückseite des Kopfes und einen großen Anteil der Schädelbasis ein. Das Foramen magnum befindet sich beim Menschen im unteren Bereich. Betrachten Sie den Knochen als ein Rad. Nehmen Sie bestimmte Bereiche als Speichen des Rades oder als Punkte auf dem Umfang. Sobald das Os occipitale während der Inhalation rotiert, bewegt es sich nach vorne und ein wenig nach oben, sodass die sphenobasilare Verbindung im Clivus nach vorne und oben bewegt wird. Das Foramen magnum bleibt nicht in der tiefen Stellung ( Zeichnung I–1).
ZEICHNUNG I–1: DAS OS OCCIPITALE, DARGESTELLT ALS EIN RAD
Die verschiedenen Punkte wechseln ihre Position, während sich das Os occipitale um seine Achse dreht.
Ich hebe das Foramen magnum besonders hervor, da die Dura mater fest an seinem Rand befestigt ist. Hier ist die obere Aufhängung der intraspinalen Dura mater, einer Fortsetzung der inneren Schicht der Dura mater des Schädels. Die intraspinale Dura mater ist nicht am Atlas befestigt. Sie ist am zweiten und zuweilen auch am dritten Halswirbel fixiert. Von dieser Region hängt sie einem hohlen Rohr vergleichbar quasi lose hinab bis zum Sakrum, an dem sie ebenso fest am Knochen befestigt ist. 19Wenn sich das Os occipitale bei der Inhalation nach vorne bewegt, kann man feststellen, dass sich das Foramen magnum nach oben in eine höhere Position bewegt. Sie sehen, wie sich die intraspinale Dura mater hebt und das Sakrum mitnimmt. Verstehen Sie, worauf ich hinaus will?
Es gibt eine Bewegung in der Reziproken Spannungsmembran des Canalis spinalis, die das Sakrum in eine Position mitnimmt, in der sich die Basis sacralis nach oben und der Apex nach vorne bewegt (Flexion).
Nehmen Sie die Alae majores des Os sphenoidale als Speichen eines weiteren Rades. Betrachten Sie den kleinen Grat des Os ethmoidale als eine weitere Speiche, welche zusammen mit den Procc. pterygoidei und der Sella turcica auf dem Os sphenoidale-Rad sitzt. Diese Knochen, also Os occipitale und Os sphenoidale, rotieren. Die Speichen des Rades bewegen sich auf unterschiedlichen Höhen, sobald sich die Räder drehen. Dieses Bild vor Augen kann Ihnen helfen, den Mechanismus zu verstehen.
Das nächste Thema ist das Os temporale. Ich beschreibe diesen Knochen oft als ein wackeliges Rad. Sie können sich ein wackeliges Rad bestimmt vorstellen. Das Os temporale bewegt sich auf diese Art. Nehmen Sie die Pars petrosa des Os temporale als Achse. Wenn ich in diesem Konzept von der Innen- und Außenrotation des Os temporale spreche, beziehe ich mich dabei auf die Pars petrosa. Ich tue dies, da die Partes petrosae der Ossa temporalia sich am Boden der Schädelbasis befinden und mit dem Proc. basilaris des Os occipitale eine Gelenkverbindung vom Zungen- und Furchen-Typ aufweisen. So wie auch die Wirbelkörper ist der Proc. basilaris des Os occipitale für den Therapeuten unerreichbar. Sie können beide nicht berühren und Sie können beide nicht sehen. Aus diesem Grund sind Sie gezwungen, sich die Situation bildlich vorstellen, ebenso wie Sie es bei den Wirbelkörpern und den Rippenköpfchen machen.
Ich spreche von den Partes petrosae in Außen- oder Innenrotation. Die physiologische Bewegung während der Inhalation, wenn sich das Os occipitale also in seine Flexionsposition bewegt, bringt die Partes petrosae in Relation zum Proc. basilaris in eine Außenrotation. Deshalb nenne ich die Pars petrosa auch die Achse, um die sich das Os temporale bewegt. Vergessen Sie nicht, dass die Partes petrosae sich vorne einander annähern und nach hinten auseinandergehen. Damit folgen sie dem physiologischen Design sämtlicher Gelenke der Wirbelsäule und des Schädels.
Diese Achse, die Pars petrosa des Os temporale, dreht sich auf dem Proc. jugularis des Os occipitale wie auf einem Pivotpunkt. Die Pars squamosa des Os temporale ist so situiert, dass sie sich bei einer Außenrotation der Pars petrosa nach außen bewegt, wohingegen der Proc. mastoideus nach innen wandert. Stellen Sie sich das Rad vor, die Scheibe des Rades, wie es wackelt. Bei der Gegenbewegung, der Innenrotation, bewegt sich die Pars squamosa entsprechend nach innen und der Proc. mastoideus nach außen. Dies ist das Bild des wackeligen Rades bei der Innen- und Außenrotation der Pars petrosa als Achse des Os temporale.
Ich nenne das Os temporale den ‚Unruhestifter‘ oder den ‚Clown‘ im Gelenkmechanismus des Schädels. Diese Bemerkung bedeutet, dass ich auf mehr Probleme gestoßen bin, die von diesem kleinen Os temporale verursacht wurden, als von irgendeinem anderen Knochen des Schädels.
Wenn Sie in Dr. Stills Sinne ‚osteopathisch denken‘, denken Sie nicht nur über Knochengewebe nach, sondern auch über die Ursprünge und Ansätze der weichen Gewebe, Muskeln und Faszien. Berücksichtigen Sie Zug an den Faszien und die Menge von Muskelgewebe an bestimmten Stellen der Partes petrosae. Rufen Sie sich ins Gedächtnis, dass sobald der Proc. basilaris des Os occipitale lateral angehoben wird, die Pars petrosa auf der betreffenden Seite immer nach innen rotiert.
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