1 ...7 8 9 11 12 13 ...52 Vor einiger Zeit durften Dr. Howard Lippincott und ich ein altes Skelett benutzen, das lange Zeit im College in einem Koffer gelegen hatte. Wir schnitten ein paar Fenster in das Schädeldach, sodass wir die Bewegung der Reziproken Spannungsmembran sehen konnten. Ich legte meine Finger auf die Alae majores des Os sphenoidale und brachte sie in Flexionsstellung. Dr. Lippincott legte seine Finger so auf die Ossa temporalia, dass er sie in Extension bringen konnte. Wir bemerkten, dass sich die Dura mater – die Reziproke Spannungsmembran des Schädels, dieses alten vertrockneten Exemplars – bewegte. Bei einem lebendigen Menschen muss man lediglich die Alae majores des Os sphenoidale berühren und sie nach vorne in Flexion bringen und die Reziproke Spannungsmembran wird sich bewegen. Bringen Sie das Os sphenoidale zurück in die Ausgangsstellung und sie wird sich wieder bewegen, es sein denn, etwas hält die Bewegung zurück. Sie wissen es genau, wenn sie sich richtig bewegt – oder etwa nicht?
ABB. I–1: EINE DER APPARATUREN, MIT DENEN SUTHERLAND SEINE BERÜHMTEN SELBSTVERSUCHE DURCHFÜHRTE
Die gezeigte Konstruktion bestand aus zwei zusammengeklappten Baseball-Handschuhen, die mit Riemen so am Schädel befestigt wurden, dass man eine geregelte Kompression des Supraocciput und damit auch des vierten Ventrikels applizieren konnte.
ABB. I–2: AUSSTELLUNGSSTÜCKE IM STILL NATIONAL OSTEOPATHIC MUSEUM
Links erkennt man eine Weiterentwicklung der zuvor beschriebenen Vorrichtung aus einem Football-Helm vor einer handsignierten Erstausgabe The Cranial Bowl. Rechts hinten befindet sich die aus Baseball-Handschuhen gebaute Apparatur zur Kompression des Supraocciput und des vierten Ventrikels. Davor sehen Sie eine Kurzbeschreibung beider Vorrichtungen.
2. PRIMÄRER ATEMMECHANISMUS
Ich möchte, dass Sie sich nun mit dem Primären Atemmechanismus auseinandersetzen. Um zu analysieren, was ich unter dem Primären Atemmechanismus verstehe, wollen wir seine Merkmale untersuchen. Das erste Merkmal ist die Fluktuation der Zerebrospinalen Flüssigkeit – die Potency der Tide. Das nächste Merkmal, das zweite Prinzip, ist die Funktion der Reziproken Spannungsmembran. Als drittes Prinzip bezeichnen wir die Motilität des Neuralrohrs – das heißt, die dem Gehirn und dem Rückenmark innewohnende Motilität. Das vierte Prinzip besteht schließlich in der gelenkähnlichen Mobilität der Schädelknochen und der unwillkürlichen Mobilität des Sakrum zwischen den Ilia. Diese unwillkürliche Mobilität darf nicht mit der schwerkraftbedingten Einstellungsmobilität der Ilia gegenüber dem Sakrum verwechselt werden.
DIE FLUKTUATION DER ZEREBROSPINALEN FLÜSSIGKEIT
Die Definition des Wortes Fluktuation in meinem Konzept entspricht jenem in Websters Wörterbuch:
„Die Bewegung einer Flüssigkeit, welche sich in einem natürlichen oder künstlichen Hohlraum befindet und durch Palpation oder Perkussion beobachtet werden kann.“
Die Fluktuation, das erste Merkmal des Primären Atemmechanismus, repräsentiert die Bewegung der Zerebrospinalen Flüssigkeit in ihrem natürlichen Hohlraum. Ich möchte auf folgende Bemerkung in Die Philosophie und mechanischen Prinzipien der Osteopathie von Dr. Still hinweisen:
„Ein Gedanke kommt ihm, dass die Zerebrospinale Flüssigkeit das höchste bekannte Element ist, das der menschliche Körper enthält. Solange das Gehirn diese Flüssigkeit nicht in großer Menge liefert, bleibt der invalide Zustand des Körpers erhalten.“
Innerhalb dieser Zerebrospinalen Flüssigkeit gibt es ein unsichtbares Element, das ich als den ‚ATEM DES LEBENS‘ bezeichne. Visualisieren Sie diesen ‚ATEM DES LEBENS‘ als eine Flüssigkeit innerhalb der Flüssigkeit, etwas, das sich nicht vermischt, etwas, was diese Potency hat als die Kraft, die es sich bewegen lässt. Ist es wirklich nötig zu wissen, was die Flüssigkeit in Bewegung bringt? Stellen Sie sich eine Potency vor, eine intelligente Kraft, die intelligenter ist als Ihr eigener menschlicher Verstand.
Sie wissen aus Ihrer Erfahrung als Patient, dass die Tide wechselt; sie ebbt ab und flutet an, sie kommt herein und geht hinaus – die Meeresgezeiten. Sie werden auch ihre Potency und ihre Intelligenz beobachtet haben. Verlassen Sie sich darauf, dass sie Ihre Arbeit für Sie tut. Mit anderen Worten: Versuchen Sie nicht, den Mechanismus durch irgendeine äußere Kraft anzutreiben. Verlassen Sie sich auf die Tide.
Sie als intelligenter Techniker oder Ingenieur des menschlichen Körpers können den Tonus, den rhythmischen Tonus der Reziproken Spannungsmembran, welche durch die Fluktuation der Tide bewegt wird, durch Ihre kluge, fühlende, sehende und wissende Berührung spüren. Sie können die Tide auch dazu benutzen, um eine Betonung im Rhythmus des Gleichgewichts innerhalb dieser Membran zu erfassen, was wiederum notwendig bei der Reduzierung von Strainmustern ist. Bei der Arbeit mit der Tide müssen Sie lediglich einen kleinen ‚Anstoß‘ geben, um die Bewegung in eine gegebene Richtung anzuregen.
Wenn sie sich in einem kleinen Boot weit draußen auf dem Ozean befänden und die Wellen hoch auf die Küste zurollten, würden sie die Spannung des Fulkrum in Übereinstimmung mit dem Balancepunkt bringen. In spiritueller Intelligenz, in einem spirituellen Fulkrum, würden Sie in Ihrem kleinen Boot von der Tide gelenkt werden. Sie können sich auf die Intelligenz der Tide und auf die Potency dieser Flüssigkeit, die Fluktuation dieser Flüssigkeit verlassen.
Stellen Sie sich nun die Wände des Gehirns als Rahmen eines Hauses vor und verfrachten Sie dieses Haus nun mitten in den Ozean. Beachten Sie, dass die Wände des Gehirns – ebenso wie jene des Hauses – Räume umschließen. Dann beobachten Sie, dass es offene Türen gibt und eine kleine Verlängerung, wie eine an das Haus angebaute Garage. Diese repräsentiert das Rückenmark. Die Räume stellen die Ventrikel innerhalb der Wände des Gehirns dar: die beiden seitlichen Ventrikel, der dritte und der vierte Ventrikel. Es gibt auch Gänge: den Aquaeductus cerebri und den Canalis centralis des Rückenmarks. Ebenso gibt es dann offene Türen, die aus dem vierten Ventrikel herausführen, offene Türen in der Wand des Gehirns.
Wo befindet sich das Gehirn? Worin ist es eingeschlossen? In einem knöchernen Gewebe. Hier trifft man auf die Bewegung einer Flüssigkeit, welche sich in einem natürlichen Hohlraum befindet. Die Höhle befindet sich innerhalb des Gelenkmechanismus des Schädels und auch innerhalb der Kammern des Gehirns mit ihren offenen Türen. Die Flüssigkeit ist dieselbe innerhalb wie außerhalb der Ventrikel. Derselbe Flüssigkeitskörper existiert um das Gehirn herum ebenso wie innerhalb der Kammern. Die Zerebrospinale Flüssigkeit umgibt das Neuralrohr, das Gehirn und das Rückenmark innen wie außen.
Beachten Sie nun die Fluktuation der Tide – eine Bewegung, die durch Inhalation anflutet und durch Exhalation verebbt. Sind die Wellen, welche die Küste entlangrollen – sind sie die Gezeiten? Nein. Die Bewegung der Tide ist die Bewegung des gesamten Wasserkörpers namens Ozean. Betrachten Sie die Potency in den Gezeiten; da ist mehr Kraft und ist mehr Potency in dieser Tide als in den einzelnen Wellen, die sich an der Küste brechen.
Erinnern Sie sich daran, wie das Wasser aus jenem breiten Fluss unten bei Fort Myers, Florida, während eines Hurrikans abfloss; es lief hinaus und ließ das Flussbett trocken zurück. Dann kam es zurück – nicht die Wellen, sondern die Tide. Und diese Potency? Ich möchte, dass Sie die Potency in der Fluktuation der Zerebrospinalen Flüssigkeit verstehen. Und vor allem, dass der ATEM DES LEBENS in diese Gestalt aus Lehm geblasen und der Mensch so zu einer lebendigen Seele wurde. 10
Читать дальше