1 ...8 9 10 12 13 14 ...36 Es gibt etwas, das in dieser epochemachenden Periode der osteopathischen Geschichte dringend erforderlich ist. Wir sind ein Verbund aus Spezialisten, die ihrer Profession so treu sind wie die Sonne ihrer Aufgabe, dem Universum Licht zu schenken. Verschwenden Sie aber Ihre Zeit nicht damit, Ihre Nachbarn zu einem Disput herauszufordern, denn dies wird nur bittere Gefühle hervorrufen. Wenn Sie sich keinen Freund machen können, dann machen Sie sich niemals unklug einen Gegner. Denn mit jedem Feind, den Sie sich schaffen, wächst die Schwierigkeit der Aufgabe, die von der Osteopathie gelöst werden muss. Vertiefen Sie sich in das Labor der menschlichen Natur – nutzen Sie das Wissen, das Sie schon erworben haben, und die Kunstfertigkeit, die Sie schon besitzen. Vermehren Sie das so erlangte Wissen tagtäglich, und werden Sie in ihrem gewählten Beruf immer bewanderter. Begnügen Sie sich nicht damit, hinauszugehen und eine allgemeine Behandlung durchzuführen. Erinnern Sie sich, dass darin die Gefahr der Osteopathie liegt, wie es auch der Gefahrenpunkt der Medikamente war. Dr. Smith, Arzt und Chemiker und Professor an einem College im Osten, erzählt folgende Geschichte von sich selbst: Auf seinem Tisch stand, wie er sagt, ein Gefäß, in das er die Reste jedes von ihm verordneten Arzneimittels, also jedes Pulver, jeder Lösung usf., schüttete. Sobald ein schwieriger Fall auftrat, den er nicht diagnostizieren konnte, füllte er einfach eine Flasche mit dieser allgemeinen Mixtur in der Hoffnung, sie werde irgendetwas bewirken. Meine Damen und Herren, wir wollen uns darüber nicht lustig machen. Dies kann unserer Profession ebenso widerfahren. Der Maschinist, der einfach nur allgemeine Behandlungen gibt in der Hoffnung, schon irgendwie den richtigen Punkt zu treffen, sitzt im selben Boot. Mithin benötigen wir Spezialisten, die exakt wissen, wo und wie zu behandeln ist.
Meine Damen, ich freue mich, Ihnen zur Zulassung zu dieser edlen Profession gratulieren zu dürfen. Ich hoffe, dass der Tag nicht so fern ist, an dem unsere Schwestern und Mütter Zutritt haben zu allen Feldern und Alleen des Lebens, die sie betreten möchten. Es ist mehr als angemessen, dass sie den höchsten Platz in diesem Bereich einnehmen. Keine wahrere Philosophie wurde von menschlichen Lippen je geäußert als diese Worte von Scott:
„Oh, Frau, wenn Schmerz und Pein die Augenbraue verzerren […]
Du dienender Engel.“
Lassen Sie die Erinnerung an die Geduld, die selbstaufopfernde Hingabe und die heroische Sanftheit von Florence Nightingale und Clara Barton, den Botschafterinnen der Liebe, den Engeln des göttlichen Friedens für die leidende und verwundete Bruderschaft, für sich eine Inspiration sein, sodass die Welt ihre Schmerzen und ihren Kummer als erleichtert und ihre Leiden in Ihren Armen als gestillt empfinden kann. 41Möge die Welt Sie mit echter und ausdrücklicher Dankbarkeit anerkennen, wie es Wordsworth tat, als er diese unnachahmlichen Zeilen über Dora Wordsworth schrieb:
„Sie gab mir Augen, sie gab mir Ohren,
Ein Herz als Quelle süßer Tränen,
Liebe, Freude und Andenken.“
Meine Brüder, während wir diese Eloge an unsere Schwestern richten, möchte ich nicht, dass Sie denken, es gäbe für Sie keine Arbeit oder Sendung mehr. Sie sind die Repräsentanten des stärkeren Geschlechts. Und während unsere Schwestern durch feines Fingerspitzengefühl und eine unergründbare Sanftheit die Bewunderung der Welt für unsere Wissenschaft gewinnen, liegt es an Ihnen, die harten Schlachten zu schlagen, Ihre Männlichkeit mit der ganzen Ihnen verfügbaren Stärke einzusetzen, um diese großartige Profession zu verteidigen. Jedem Einzelnen von Ihnen möchten wir sagen, dass seine erste Pflicht darin besteht, die Kranken zu heilen, die Leidenden zu entlasten und die Gebeugten aufzurichten. Lassen Sie sich nicht von einer erbärmlichen Liebe zum Geld oder von Gewinnsucht verleiten, nicht von Ruhmsucht oder von Hochmut antreiben, andere auszustechen. Die Osteopathie erbittet keine Gunsterweise. Bitten Sie nicht für sich selbst. Die Osteopathie bittet einfach nur um einen offenen Bereich, und Sie sollen ihn in Besitz nehmen – nicht in ihrem eigenen Namen, sondern im Namen unserer Wissenschaft. Vermeiden Sie das Glänzen und die Großspurigkeit der Wichtigtuer. Vertrauen Sie auf Ihre Fähigkeit, seien Sie in Ihrem Vertrauen auf die Wissenschaft unerschütterlich, und überlassen Sie die Glorifizierung Ihrer Person der Nachwelt. Eine der Bedrohungen Ihrer Profession ist die Quacksalberei. Dieser kann nicht durch wie immer ehrenhafte oder gut gemeinte Gesetzgebung begegnet werden. Denn die Gesetzgebung vermag die Menschen nicht moralisch zu machen. Wir müssen die Menschen in den Prinzipien unserer großartigen Wissenschaft ausbilden und sie lehren, dass die größte Weihe des Männertums und des Frauentums dieser Wissenschaft gewidmet ist. Das Beste, was Sie den Vorurteilsbeladenen antun können, ist, ihnen die Augen zu öffnen. Denn wie John Ruskin sagt: „Klar sehen bedeutet die Verschmelzung von Poesie, Prophetie und Religion.“ Jene lassen sich wie das scheinheilige Element in der Gesellschaft nur durch eine erdbebenartige Eruption aus ihrem gegenwärtigen Zustand erwecken – eine Eruption, die sie aus ihren einfallsreich ausgestalteten eigenen Krankenhäusern hinausbefördert, um sie in die frei atmende Atmosphäre natürlicher Räume zu führen, wo freier Sauerstoff die Medizin der Natur ist.
Graduierte, im Namen der Fakultät entbiete ich Ihnen nochmals unsere aufrichtige und herzliche Gratulation zu der Arbeit, die Sie bei der erfolgreichen Vollendung Ihres Kurses geleistet haben, und gebe Ihnen unser ‚Viel Glück!‘ für Ihre praktische Berufsausübung mit auf den Weg. Wir reichen Ihnen heute Abend die Hand und sagen ‚Adieu‘ – es ist ein ‚Adieu‘ zu Ihren Studententagen – ein ‚Adieu‘ zu den angenehmen und verbindenden Ereignissen, die wir mit Ihnen tagtäglich erlebt haben – ein ‚Adieu‘, bis wir uns wiedersehen. Viele Bänder der Freundschaft und der Sympathie wurden zwischen uns geknüpft, Bänder, die von Arbeit, Kameradschaft und Sieg sprechen. Diese werden heute symbolisch durchtrennt, da Sie hinausgehen und Ihre Lebensarbeit beginnen. Ich vertraue darauf, dass diese glücklichen Verbindungen unauslöschlich in unserer Erinnerung bleiben werden, und ich hoffe, dass der nebelartige Vorhang der Zeit sie niemals in Vergessenheit geraten lassen oder den Schatten des Vergessens über unsere Herzen breiten wird. Wenn Sie Ihr Segelschiff auf den stürmischen Ozean der Zeit setzen, um das Meer des Lebens zu überqueren, lassen Sie das weiße Banner mit seinen kastanienbraunen Streifen, das die Osteopathie darstellt, vom Besantop wehen, lassen Sie die blendenden Lichter der Wahrheit, der Anstrengung und Weihe am Bug, am Backbord und am Steuerbord Ihres Schiffs scheinen. Dann werden Sie im Existenzkampf eine Rolle als jene spielen, die es – inspiriert vom Genius und gelockt von der Hoffnung – wert waren, zur Verteidigung der Wahrheit an die Waffen gerufen zu werden.
„Kameraden, geht,
nicht um die vermodernde Beute irdischer Schätze zu beanspruchen
Nicht um einen verblendenden Namen aufzubauen,
nicht um in angenehmen Zelten zu wohnen.
Denke nicht, dass der Weg bequem ist,
hoffe nicht, dass die Dornen Rosen sind;
Wirf kein sehnsüchtiges jugendliches Auge dorthin,
wo der Sonnenstrahl ruht;
Du hast eine ernstere Arbeit zu tun,
Heerscharen durchschneiden Deine Passage;
Direkt hinter Dir brennen Meerbusen.
Vorwärts! Es gibt keine Umkehr.
Nutzt das Recht zu kämpfen!
Bereitet den Weg!“
Meine Damen und Herren Graduierte, ich danke Ihnen für Ihre freundliche Aufmerksamkeit.
3. ABSCHLUSSREDE ZUR OKTOBERKLASSE 1898
Journal of Osteopathy (V), 1898, S. 325–330.
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