Dennoch hatte sie noch am Abend ihrer Rückkehr ihre Mutter angerufen. Sie war ihr so lange auf die Nerven gegangen, bis Helena van Lenk ärgerlich geworden war. Ungehalten hatte die irgendwann erzählt, dass Sabine nach dem Unfalltod ihres Mannes einen alten Bekannten namens Robert Wilke, der schon seit Jahren hoffnungslos in sie verliebt gewesen war, geheiratet hatte und seitdem seinen Namen trug. Kaum hatte sie aufgelegt, hatte Neele zum Telefonbuch gegriffen.
«Sabine, ich möchte mich bei dir dafür entschuldigen, was deinem Mann damals passiert ist», sagte sie nun.
«Wie bitte?», fragte Sabine überrascht. «Neele, die Sippenhaft ist abgeschafft. Wenngleich es den Anschein hat, dass wir dazu neigen, viele der hart erkämpften Errungenschaften unserer Zivilisation allzu leichtfertig zur Disposition zu stellen.»
«Eigentlich weiß ich das», heuchelte Neele und fühlte sich dabei ziemlich durchtrieben, «aber es ist nicht ganz das, um was es mir geht.»
«Um was geht es dir dann?»
«Ich glaube, ich wollte nicht, dass du meinen Vater als Feigling in Erinnerung behältst, der deinem Mann das Leben nimmt und dann noch nicht einmal den Mut hat, die Konsequenzen dafür zu tragen. Ich bin mir sicher, er hätte gerne mit dir gesprochen.»
Sabines Gesicht war wie versteinert, hellte sich aber schnell wieder auf. Ihre Gesichtszüge wurden weich, fast zärtlich. «Neele, zu keinem Zeitpunkt habe ich deinen Vater verurteilt! Ich habe ihn nicht als Feigling in Erinnerung. Sei also ganz beruhigt. Ich möchte dir allerdings für die Zukunft noch etwas mit auf den Weg geben. Andere wären vielleicht ob deines doch recht eigensinnigen Gesuchs ziemlich ungehalten. Der Sache nach geht es dir nicht um eine Entschuldigung, sondern um etwas ganz anderes.»
Neele schluckte.
«Du möchtest die Witwe um Verständnis für den vermeintlichen Täter bitten! Schon deine Mutter wollte sich für ihren Mann entschuldigen. So entstand ja überhaupt erst unser Kontakt. Wir waren natürlich nicht die besten Freundinnen, das versteht sich von selbst, aber wir unterstützten uns gegenseitig in einer schweren Zeit. Seltsam, nicht wahr? Später verloren wir uns aus den Augen. Vor einigen Jahren habe ich dann erneut geheiratet. Das heißt nicht, dass Valentin nicht mehr in meinen Gedanken ist. Ich möchte aber nach vorne blicken und nicht für immer die Fesseln der Vergangenheit spüren.»
Neele senkte den Blick. «Vermeintlicher Täter? Du meinst also auch, dass mein Vater unschuldig ist?»
«Ich kenne deinen Vater als sehr aufrichtigen Menschen, und ich denke nicht, dass er dich jemals angelogen hätte.»
«Wie bitte?»
«Ich meine das, was mir deine Mutter über ihn erzählt hat. Nichts weiter.» Nervös rang sie ihre Hände.
«Du stimmst mir also zu, dass man den Fall noch einmal aufrollen müsste?» Neeles Plan schien aufzugehen. Sie wagte sich noch weiter vor. «Vielleicht können wir ja zusammenarbeiten.»
Sabine Wilkes Gesicht verfinsterte sich. «Nein, das ist überhaupt keine gute Idee! Wir werden niemals zusammenarbeiten. Es gibt nämlich nichts, woran wir zusammenarbeiten könnten.» Sie sprach langsam. «Du solltest nicht nach alten Geistern rufen!»
«Wenn wir sie gemeinsam rufen und verjagen, können wir beide besser schlafen.»
«Ich schlafe sehr gut.»
«Aber willst du denn gar nicht die Wahrheit erfahren?», drängelte Neele aufgeregt.
«Nein, liebe Neele, das möchte ich nicht», versetzte Sabine schroff. «Und weißt du auch, warum? Weil ich sie schon kenne. Und du kennst sie auch. Es tut mir leid, wenn ich mich eben missverständlich ausgedrückt habe. Du solltest im Übrigen auch nicht weiter in der Sache herumbohren. Erst am Ende der Suche wird sich nämlich zeigen, ob du mit der Wahrheit besser leben kannst als mit der Lüge. Aber dann ist es zu spät.»
«Es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe, Sabine! Oder gibt es etwas, das ich wissen sollte?»
«Ich bin müde. Mach dir nicht zu viele Gedanken um das Geschwätz einer alten Frau.»
«Darf ich dich noch einmal besuchen, wenn ich etwas Neues erfahre?», fragte Neele.
«Mach dir bitte keine Mühe. Versprich mir lieber, dich nicht auf ein Spiel einzulassen, dessen Regeln du nicht kennst. Leb wohl!»
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