Über feuchte Ebenen, begrenzt von Bäumen und Sträuchern, die sich an die harten Bedingungen gewöhnt hatten, führte sie ihr Weg. Es war still, bis auf ein gelegentliches Stöhnen am Ende des Zuges, wo die Gefangenen durch ein langes Seil aneinandergekettet hinter den Siegern hertrotteten.
Die Stimmung der beiden war wie immer gelassen.
»Vielleicht statte ich der kleinen Roten diesmal einen Besuch ab«, versuchte Sedain seinen Freund zu reizen.
Kraeh stieß einen Pfiff aus. »Du kannst es ja mal versuchen. Aber ich muss dich warnen: Sie ist wählerisch.«
»Ganz offensichtlich nicht … Könnte doch sein, dass sie die Nase voll hat von Nekrophilie.« Aufreizend strich er sein dichtes, schwarzes Haar aus der Stirn.
Kraeh lächelte. »Wenn du sie erst einmal von den Vorzügen deiner Ohren …« Er kam nicht dazu, seine Neckerei auszuführen, Berbast hatte zu ihnen aufgeschlossen. Sein Streitross warf den Kopf zurück, als er an seinen Zügeln zerrte.
»Ihr seid eine Schande«, sagte er barsch, da er das Ende des Gesprächs der beiden mitbekommen hatte, »in der nächsten Welt wartet ein Platz als Hofnarren auf euch. Dort werdet ihr eure Zeit damit verbringen, echten Kriegern ein Schmunzeln abzuringen. Und glaubt mir, die Pforten stehen bereits offen.«
Kraehs Augen hatten sich zu Schlitzen verengt.
Üblicherweise fiel es Kraeh zu, das Temperament seines Freundes zu bändigen; in dieser Situation bemerkte Sedain jedoch, dass es diesmal an ihm war. Er legte eine Hand auf Kraehs Arm. »Siehst du den Angstschweiß auf meiner Stirn, Bärenmann?«, fragte er betont lässig an Berbast gewandt.
Der hünenhafte Krieger ignorierte ihn und ließ sich wieder zurückfallen.
»Was, meinst du, hält unsre Freundin wohl von Sodomie?«
Die Spannung fiel von Kraeh ab und beide lachten, laut genug, um sicherzugehen, auch in den Reihen hinter ihnen gehört zu werden.
Nicht weit entfernt hockte eine Familie von Gnomen beim Mittagstisch. Kaum mehr als einen halben Mann messende, bucklige Gestalten. Als Behausung dienten ihnen offensichtlich die weit ausladenden Wurzeln eines Baumes. In dem Moment, da sich einer der Soldaten aus dem Zug löste und sich ihnen näherte, nahmen sie Reißaus. Fremde Arten, Erwachte oder Mutanten, wie einige sie nannten – je nachdem, wie man zu ihnen stand –, wurden seit Langem weder von Gunther noch von Theodosus in ihren Reichen geduldet. Die einzige Ausnahme bildete Sedain, und das auch nur, weil Kraeh sich damals bereit erklärt hatte, für ihn zu bürgen.
Ähnlich unwillkommen im eigenen Land fühlte sich der weißhaarige Krieger zwei Tage später bei ihrer Rückkehr. Es erwarteten sie keine Festlichkeiten, wie es nach einem derart großen Sieg üblich war. In der ersten Nacht gab es zwar eine Zecherei der Soldaten in der großen Halle, aber niemand, weder vom Adel noch aus dem einfachen Volk, war anwesend. Bran bekamen sie nur einmal bei einer Ansprache kurz zu Gesicht, in der er halbherzig Floskeln über den Ruhm Brisaks und die Tüchtigkeit seiner Streitkräfte verlor.
Überhaupt schien es Kraeh, als läge ein dunkles Geheimnis über der Stadt. Eine böse Ahnung schien sich in den Gesichtern der Menschen eingenistet zu haben, eine Ahnung ohne greifbaren Grund, der die Abgeschlagenheit und die Verbitterung der Gemüter rechtfertigen würde.
Sedain und Kraeh saßen in einer Schenke, als sich eine offensichtlich bestürzende Neuigkeit wie ein Lauffeuer verbreitete, es wurde getuschelt und gemunkelt. Sie bestellten den Wirt zu sich, der ihnen unter vorgehaltener Hand zuraunte, dass der König und mit ihm seine ganze Familie umgekommen sei. Die Stimmen wurden lauter. Verschwörungstheorien wurden geäußert und verworfen. Am Nachbartisch war man sich bald einig, es müsse Maet, der intrigante Fürst von Mont, gewesen sein, der die Krone für sich haben wolle.
»Aber«, warf ein Junge, dessen fliehendes Kinn stolz die ersten Barthaare zur Schau stellte, altklug ein, »wer sagt, dass nicht Bran den Mord befohlen hat?«
Die flache Hand Kraehs schlug auf den Tisch, bedrohlich langsam stand er auf. Im Wirtshaus herrschte plötzlich Ruhe. Alle kannten, mochten und respektierten ihn und seinen Begleiter, schon dafür, dass sie sich nicht, wie all die anderen Offiziere, zu fein waren, Luft und Ale mit ihnen zu teilen.
»Steh auf«, sagte er in einem Tonfall, den niemand der Anwesenden von ihm gewohnt war.
Der Junge tat wie ihm geheißen. Seine Tunika war ihm ebenso zu weit wie der bronzene Armring an seinem Handgelenk.
»Wie ist dein Name, Soldat?«
Der Stolz eines Heranwachsenden ließ ihn Haltung bewahren, doch er musste seine Hände im Rücken verschränken, um ihr Zittern zu verbergen.
»Frederik, Sohn von Friedmund.« Seine Augen suchten die seiner Kameraden, die ein Stück von ihm weggerückt waren.
Sedain gähnte.
»Ich kannte deinen Vater, Frederik. Er war ein guter Krieger, besser, als du je sein wirst. Und weißt du auch warum?«
Die Frage blieb einige Wimpernschläge lang im Raum stehen. Augenblicke, die dem jungen Mann wie Tage vorkommen mussten.
»Weil er wusste, wofür er kämpfte.« Er wendete sich an alle im Raum. »Bran ist unser Fürst. Er ist ein großer Feldherr und aufrechter Herrscher. Hat einer unter euch jemals Hunger gelitten? Wer sorgt sich um Heim und Kind und wessen Mauern schützen euch tagein, tagaus vor den Bestien, die auf der anderen Seite des Flusses lauern?« Wieder eine Kunstpause. »Jeder hier kennt die Antwort. Überlegt euch wohl, mit wem ihr trinkt.« Er strafte Frederik mit einem letzten Blick und ging durch die volle Gaststube, wobei Stühle und Beine eilig weggezogen wurden, um ihm Platz zu machen.
»Aber …«, setzte der Belehrte an, Verschämtheit und Trotz rangen in seinen Zügen um die Vorherrschaft, doch ein Kopfschütteln Sedains brachte ihn davon ab, Einspruch zu erheben. Er ließ einige Kupferstücke auf den Tisch fallen und folgte dann seinem Freund vor die Tür.
»Großartig, du Held. Hier brauchen wir nicht mehr herzukommen.«
Kraeh winkte ab. »Es gibt genug Kaschemmen in Brisak.«
»Was sollte das überhaupt und woher wusstest du, dass sein Vater tot ist?«
»Nur so eine Vermutung …«
Sie schlenderten gemächlich von dannen, bis Kraeh seinen Freund am Arm packte und in eine Seitenstraße zog. Zuerst verstand Sedain nicht, aber dann lugten sie beide um die Ecke auf die Tür des Wirtshauses. Und tatsächlich, es dauerte nicht lange, da stahl sich eine vermummte Gestalt aus dem Eingang und entfernte sich raschen Schrittes.
»Irgendetwas ist hier faul. Und ich meine nicht nur das sonderbare Ableben unsres alten Königs.«
Sedain nickte zustimmend. »Glaubst du, der Junge hatte recht?«
»Nein, aber Bran verhält sich eindeutig merkwürdig.«
Kraeh lag auf dem Bett eines Gasthauszimmers, das sich in einem der äußeren Ringe der Stadt an einen Hügel schmiegte. Sedain und er hatten das Angebot Brans, in einem der Gemächer der Burg zu wohnen, vor einigen Jahren abgelehnt. Das Gasthaus war für beide ein Ort der Zuflucht und Ruhe vor dem politischen Treiben. Sie nutzten den Ort, um sich zu erholen. Meist sprachen sie Abende lang kein Wort. Die Schlichtheit der Stube, deren Einrichtung aus zwei Betten, einem Schrank und einem Schreibtisch mit einem darüber hängenden Spiegel bestand, ließ sie die Turbulenzen der Außenwelt vergessen. Zumindest normalerweise, in dieser Nacht jedoch fand Kraeh keine Ruhe. Ein Diener hatte ihn für den morgigen Tag zu Bran bestellt. Er starrte an die Decke und seine Gedanken drehten sich im Kreis, untermalt von dem altbekannten Ton, der in vollkommener Regelmäßigkeit entstand, wenn Sedain einen Schleifstein über die Klinge seiner Axt zog. Er beneidete den Freund um seine Gelassenheit; ihm war es einerlei, für wen und unter welchen Umständen er seinem blutigen Handwerk nachging.
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