Philipp Schmidt - Rabenflüstern

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Die Welt hat sich von Grund auf verändert. Die Zeiten sind dunkel. Orks, Druden, wilde Stämme und Intrigen bedrohen die Flusslande. Doch eine noch gefährlichere Macht tritt aus den Schatten. Die jungen Krieger Kraeh und Sedain nehmen die Herausforderungen an. Sie begeben sich auf eine lange Suche, finden mächtige Verbündete und bieten zuletzt dem wahren Feind die Stirn. Ein Kampf gegen das Schicksal selbst. Eine Schlacht, die die Erde erbeben lässt – und den Raben ein reiches Mahl beschert.

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Gottesauge I

Rabenflüstern

Philipp Schmidt

© 2013 Begedia Verlag

© 2013 Philipp Schmidt

Cover und Illustrationen – Birgit Gabrysiak

Korrektur – André Piotrowski

Satz und ebook-Bearbeitung – Harald Giersche

ISBN – 978-3-95777-003-5 (epub)

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Prolog

Die Zeiten der großen Umwandlung und der nachfolgenden chaotischen Zustände waren vorüber.

In einem apokalyptischen Sturm war die Magie auf die Erde zurückgekehrt, zusammen mit den alten Göttern. Stein, Fluss und Heide waren wieder zum Leben erwacht.

Monatelanger Regen hatte die Wirklichkeit von so vielen Jahrhunderten Stück um Stück abgetragen und dorthin geschwemmt, wo Träume und Legenden wohnen.

Manche der Weisen, die jenen kosmischen Wandel miterlebt hatten, sprachen später von der Rückkehr der wahren Ordnung, doch für den Großteil der Menschheit war es ein Albtraum gewesen.

Einige behaupteten, alles hätte mit einem Flüstern in den Wäldern begonnen, als würden die Bäume sich Verschwörungsformeln zuraunen. Andere sagten, es seien zuerst die Meere gewesen, deren Wasser sich dunkler färbten. Eindeutig wurden die Vorzeichen erst, als ein Wandel im Geist der Tiere einsetzte. In allen Bereichen der Welt hatte der Mensch die Natur zurückgedrängt, nun zerrte sie mit fletschenden Fängen an ihren Leinen, Ketten und Käfigen. Haie, Bären und Hunde erinnerten sich plötzlich wieder an den Zweck ihrer Zähne, Tatzen und Fänge.

Trotz des Dunstes, der lange alles umschlungen hielt, schienen die Sterne heller zu leuchten, wenn die Wolkendecken für kurze Zeit aufrissen.

Mit dem Ausfall der Elektrizität – ein Wort, das in Vergessenheit geraten sollte – kam die Panik. Die Windmühlen drehten sich, doch war daraus kein Strom mehr zu gewinnen. Einer Waagschale gleich, sanken Technik und Wissenschaft zugunsten dessen, was zuvor seinen Platz allein in Sagen und Märchen hatte. Aus Angst und Verzweiflung wurde zu den Waffen gegriffen, doch es gab keinen erkennbaren äußeren Feind, der hätte bekämpft werden können. Der Feind befand sich im Inneren. Als schließlich die Verwandlungen einsetzten, wurde er, zumindest in der ersten Generation, sichtbar.

Personen mit bösen Neigungen und schlechtem Charakter häuteten sich wie Schlangen. Sie wurden zu dem, was sie unter dem Schein schon immer waren, und bekamen die Namen Orks, Oger, Alben und viele andere Bezeichnungen, die man kannte für Wesenheiten, die die Dunkelheit schon immer dem Licht vorzogen.

Ähnliches geschah mit jenen, die edlen Gemüts waren, und allen Kreaturen, welche sich irgendwo zwischen den Extremen bewegten. Letztere blieben jedoch zumeist Geschöpfe inmitten von Gut und Böse, eben Menschen.

Die bekannten Gesetze der Wissenschaften lösten sich auf oder veränderten sich, synthetische Materialien wie Kunststoff konnten mit einem Mal nicht mehr hergestellt werden. Sie verrotteten und verschwanden nach und nach völlig vom Antlitz der Welt. Allein Bronze und Stahl feierten eine Renaissance.

Fast ein ganzes Jahrzehnt fand ein entsetzlicher Schlagabtausch zwischen Elfen, Feen, Zwergen und all den anderen frisch geborenen Arten statt. Die Anzahl der Lebewesen auf der Erde reduzierte sich täglich in Tausenden von Scharmützeln, die, nachdem die Schusswaffen ihren Dienst verweigert hatten, zuerst mit Steinen und Ruten, zuletzt mit Speeren, Äxten und Schwertern ausgetragen wurden.

Am Ende hatten sich die meisten Elfen in die Wälder, die Mehrheit der Zwerge in die Berge zurückgezogen, während sich zwischen den dichter gewordenen Wäldern kleine Herrschaftsgebiete der Menschen bildeten. Kaum eines hatte jedoch die Möglichkeit zu prosperieren, da, sobald Mühe und Arbeit auf Viehzucht oder Feldbebauung aufgewandt wurden, kurze Zeit später ein Nachbar Raub, Mord und Feuer über die Äcker und Herden brachte.

Ein, vielleicht auch zwei Jahrhunderte später wäre es immer noch so gut wie unmöglich gewesen, etwas wie eine Karte von dem Kontinent anzufertigen, der einstmals Europa hieß. Nicht nur aufgrund von Vulkanausbrüchen, Überflutungen und Erdbeben, welche ganze Landstriche von einem Tag auf den anderen umwälzten; die Grenzen waren weiterhin heftig umkämpft oder wurden überhaupt erst gezogen.

Diese Geschichte nimmt ihren Anfang noch einige Zeit später, als sich in Eureinja, wie die Elfen unter sich sagen, oder Eiderit, in der Zunge der Orks und Trolle, bereits eine mehr oder minder einheitliche Sprache herausgebildet hatte. Es war eine Mischform älterer Redeweisen, die regional unterschiedlich gesprochen, geraunt oder gegrunzt wurde; zumindest für die basale Verständigung in Verhandlungen erwies sie sich jedoch als ausreichend. Nicht nur die Sprache war ein Abglanz früherer Zeitalter, auch Sitten und Gebräuche ähnelten denen längst vergangener Epochen. Ob man sie bewusst versuchte wiederherzustellen, oder ob höher entwickelte Lebewesen auf gewisse Umstände in immer verwandter Weise reagieren, muss an dieser Stelle offen bleiben.

Die Menschen hatten die Nachfahren jener, die sich beim Einsetzen der großen Umwälzung verwandelt hatten, inzwischen noch weiter zurückgedrängt und ihre Reiche mit Mauern und Wachtürmen, Stahl und Blut abgesteckt.

Genug der Vorrede. Folgen wir nun dem Flug eines Wanderfalken, der auf der Suche nach Beute hoch über den Tannenwipfeln des Schwarzwaldes kreist. Seine Schwingen tragen ihn hinweg über Bachläufe und Felsmassive durch den Dunst eines frischen Morgens.

Hinter ihm, im Westen, beschreiben die Fluten eines mächtigen Flusses eine Biegung, in die sich die Ländereien schmiegen, deren Oberhäupter sich eitel Herren des Rheins nennen. Weit ab von ihnen und ihren steinernen Städten, die sich im ständigen Kriegszustand mit ihren Nachbarn befinden, hält der Falke Ausschau nach Beute. Er genießt die Jagd, öffnet und schließt spielerisch seine Klauen. Weit entfernt liegen die umkämpften Grenzen; geschützt durch Fels und Wald erstrecken sich unter ihm weite Felder, die von den friedlichen Bewohnern eines in Vergessenheit geratenen Dorfes bewirtschaftetet werden.

Wie ein Pfeil schießt er herab, um einer Maus, bevor sie weiß, wie ihr geschieht, den Tod zu bringen.

Heimische Feuer

An einem Spätsommertag, im Schatten eines Kirschbaumes, saß ein Mann. Es war ein alter Mann, sehr alt. Er dachte darüber nach, wie es sich anfühlen würde, wenn das Ende käme und dies sein letzter Sommer wäre.

Die Erde um ihn war von faulenden Früchten übersät und die Luft angefüllt vom Surren trunkener Wespen. Dem Alten war es dennoch ein angenehmer Platz. Die Insekten ließen ihn in Frieden. Sonnenstrahlen tänzelten, von den Blättern gebrochen, über die Falten und Furchen seines Gesichts. Er hatte die Augen geschlossen und lauschte dem Lachen im Spiel zweier Kinder. Der alte Mann mochte Kinder, diese Tatsache allein hätte ihn vermutlich schon zum Lehrer des kleinen Dorfes gemacht, in dem er bereits die dritte Generation hatte aufwachsen sehen. Die Geschichten, die er jeden Vormittag erzählte, waren aus so grauer Vorzeit, dass niemand glauben konnte, er habe sie tatsächlich erlebt. Dennoch bildete sich nicht selten ein Kreis um ihn, der eine gewisse Zahl auch der erwachsenen Gemeinschaft mit einschloss. Lag viel Arbeit an, war es zur Gewohnheit einiger Familien geworden, wenigstens einen der Ihren zu ihm zu schicken, der später beim Nachtmahl eine Zusammenfassung vorzutragen hatte.

Als der Mann die Augen öffnete, fiel sein Blick auf einen Vogel, dessen Klauen sich erbarmungslos um ein winziges Geschöpf schlossen. Schon erhob der Jäger sich wieder in die Lüfte, einen gebrechlichen Alten zurücklassend. Bilder der Erinnerung fanden ihren Weg in sein Bewusstsein und riefen den Geschmack von Nostalgie, aber auch von Reue und Schuld hervor.

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