Rüstungsbetriebe werden unter Tag verlegt: Stollenanlage des Geheimprojekts „Syenit“ in Kapfenberg.
Geplant werden riesige „Großbunker“, auch „Jägerfabriken“ genannt, so das „Projekt Ringeltaube“, das den Bau von drei gigantischen unterirdischen Fabriken im Frauenwald bei Landsberg am Lech vorsieht. In die Planung des Jägerstabs fallen schließlich auch die Errichtung der unterirdischen Produktionsanlage „B8 Bergkristall“ in St. Georgen an der Gusen und der Bau von „Zement“ in Ebensee für die Raketenrüstung.
Die treibende Kraft ist Hitler persönlich, er drängt weiter energisch auf die Verlagerung der Rüstungsindustrie in Höhlen und „Großbunker“; Rüstungsminister Albert Speer ist lange skeptisch, denn Bomber, so sein Argument, könnten nicht mit Beton bekämpft werden, auch in „vieljähriger Arbeit“ könne man die Rüstung „nicht unter die Erde oder unter Beton“ bringen. Als Hitler auf dem Bau von „Großbunkeranlagen“ beharrt, schreibt ihm der gekränkte Speer, gegen den die Parteigrößen Göring, Bormann und Himmler heftig intrigieren, am 19. April 1944 einen Brief, in dem er noch einmal darauf hinweist, dass es „illusorisch“ sei, angesichts der allgemeinen Lage derart große Bauvorhaben zu beginnen, denn „nur mit Mühe“ könne „den primitivsten Anforderungen auf Unterbringung der deutschen werktätigen Bevölkerung, der ausländischen Arbeitskräfte und der Wiederherstellung unserer Rüstungsfabriken gleichzeitig entsprochen werden“. Für den Fall, dass Hitler nicht seiner Meinung sei, bitte er um seinen Rücktritt. Der „Führer“ zeigt sich zwar ungehalten über dieses Schreiben, spricht jedoch Speer sein Vertrauen aus, auch die Vertreter der Industrie drängen diesen zu bleiben – Speer bleibt Rüstungsminister und kehrt zurück in den engen Kreis um Hitler. In seinen Erinnerungen wird er später gestehen: „Trotz aller Bereitschaft zu resignieren, hätte ich nur ungern auf die Stimulans eines jeden Führungsrausches verzichtet.“ Hitler zeigt sich versöhnlich und akzeptiert auch die Ernennung von Speers Mitarbeiter Franz Xaver Dorsch (1899 – 1986) zum Leiter des Bausektors und zum Chef der „Organisation Todt“. Der schwäbische Bauingenieur Dorsch, ein Parteigenosse der ersten Stunde, ist damit auch für den Einsatz von Zwangsarbeitern im gesamten Reichsgebiet verantwortlich.
Konnte von den Häftlingen nicht mehr abgebaut werden: der stehen gebliebene Kern eines Gangabschnitts im Loosdorfer Fabriksstollen.
Insgesamt 20 Projekte des Jägerstabs werden der SS übertragen, es sind dies aufwändige Großbauvorhaben, für die SS-Obergruppenführer Hans Kammler eine eigene Organisation einrichtet, den „SS-Sonderstab Kammler“ mit Sitz in Berlin. Die 20 Bauvorhaben werden als A- oder B-Projekte definiert, wobei die Bauten der A-Gruppe bereits nach acht Wochen bezugsfertig sein sollen, bei den Projekten der Gruppe B handelt es sich um Bauten, die bis Ende 1944 fertiggestellt sein sollen. Dem „Sonderstab Kammler“ unterstehen vier regionale „Sonderinspektionen“, darunter auch die „Sonderinspektion IV Wien“, die für die Projekte B7 (= „Esche II“), B8 (= „Bergkristall“), B9 (= „Quarz“), B10 (= „Quarz II“) und „Zement“ in Ebensee zuständig ist. Jedes einzelne Projekt wird von einem „SS-Führungsstab“ betreut; das Gesamtvolumen ist gigantisch: Die Pläne des Jägerstabs von Ende Mai 1944 sehen die Schaffung von etwa 980.000 m 2bombensicherer Fertigungsfläche vor. Hans Kammlers ursprünglicher Plan, angesichts des extremen Zeitdrucks auch die zivilen Arbeitskräfte einer gleichsam militärischen Disziplin zu unterwerfen und eigene, für den Sonderstab Kammler tätige „Baukompanien“ zu schaffen, scheitert jedoch am Widerstand der Baufirmen, die befürchten, ihr Personal an die SS-Bauleitungen zu verlieren. So bleibt auch Kammler auf private Baufirmen und die Unterstützung der Bergbaubehörden angewiesen; zusätzlichen Handlungsspielraum bietet ihm einzig die Verfügungsgewalt über die KZ-Häftlinge, die er auch skrupellos ausnützt.
Der SS-Rüstungsmanager: Hans Kammler
Als „Technokrat der Vernichtung“ wurde er bezeichnet und als Handlanger Heinrich Himmlers, als „rücksichtsloser, kalter Rechner“ und „Fanatiker in der Verfolgung eines Zieles, das er so sorgfältig wie skrupellos zu kalkulieren wusste“ (Albert Speer): SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Hans Kammler. Ein Mann, der lange Zeit im Schatten anderer steht, doch dann, in der Krise des Dritten Reiches, gelingt ihm ein phänomenaler Aufstieg: Er wird zur Schlüsselfigur im Wettlauf um die „Wunderwaffen“, ja, als „Generalbevollmächtigter“ des Führers für die Flug- und Raketenproduktion ist er in den letzten Kriegswochen so etwas wie „Hitlers graue Eminenz“ – vom ehemaligen Flugzeugkonstrukteur wird er zum letzten Vollstrecker des Willens des „Führers“.
Hans Kammler, 1901 in Stettin geboren, Sohn eines Offiziers, ist Architekt und Doktor der Ingenieurwissenschaften, noch vor seiner Promotion an der TH Hannover im November 1932 tritt er der NSDAP bei; wenig später, im Mai 1933, schließt er sich der SS an und startet seine Karriere als Leiter der Abteilung für Wohnungs- und Siedlungswesen in der Gauleitung Groß-Berlin; 1936 wird er Referent für Bauangelegenheiten im Reichsluftfahrtministerium; 1940 wechselt er zum „SS-Hauptamt Verwaltung und Wirtschaft“ und damit „hauptberuflich“ in die Dienste der SS. Sein außergewöhnliches Organisationstalent und seine Energie beeindrucken Himmler, am 1. Juni 1941 wird Kammler Chef des „SS-Hauptamtes Haushalt und Bauten“, im Februar 1942 überträgt ihm Himmler die Leitung der für das Bauwesen zuständigen „Amtsgruppe C“ im SS-Hauptamt für Verwaltung und Wirtschaft. Damit ist er nun für alle Bauvorhaben in den Konzentrationslagern zuständig; auch die Errichtung von Krematorien und Gaskammern wird von ihm überwacht. Unzufrieden mit der geplanten „Kremierungsleistung“ von 2.650 Leichen am Tag in den neuen Krematorien von Auschwitz-Birkenau, ordnet er im Herbst 1942 an, die Pläne noch einmal zu überarbeiten.
Kammler ist ein SS-Offizier, wie er im Buche steht: „Blond, blauäugig, mit langem Schädel, immer gut gekleidet“, umgibt ihn, wie Albert Speer später schreibt, jene „Kälte“, die auch Heinrich Himmler auszeichnet; als Rüstungsminister sieht sich Speer plötzlich mit einem Rivalen konfrontiert, der die stärkste Trumpfkarte der SS – die beinahe grenzenlos scheinende Verfügbarkeit von „billigen“ Arbeitskräften – geschickt auszuspielen weiß. Himmler erkennt dies und forciert seinen Vertrauensmann beim „Führer“; bald tauchen Gerüchte auf, dass der Reichsführer-SS Kammler als Nachfolger Speers aufbauen wolle.
Die Schlüsselfigur im Wettlauf um die „Wunderwaffen“: SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Hans Kammler.
Obwohl von ihm zunehmend unter Druck gesetzt, gefällt Speer die „sachliche Kühle“, mit der Kammler agiert; ganz richtig erkennt er im fulminanten Aufstieg des SS-Ingenieurs zu einem der mächtigsten Männer des Dritten Reiches ein Spiegelbild seiner eigenen Karriere. Mit der Entscheidung zur Verlagerung der Rüstungsindustrie unter Tag schlägt für Kammler die große Stunde: In atemberaubendem Tempo zaubert der „Sonderbeauftragte des Reichsführers-SS für das A 4-Programm“ – so ab 1. September 1943 seine offizielle Funktion – Ersatzstandorte für die Waffenschmieden mit Spitzentechnologie aus dem Hut: das „Mittelwerk“ im Kohnstein, Redl-Zipf, Ebensee, St. Georgen an der Gusen. In Kammlers Hand konzentriert sich die Macht über diese unterirdischen Rüstungsbetriebe und in seinem Blickpunkt stehen auch revolutionär neue Technologien wie etwa die Nutzung der Atomkraft für den Antrieb von Flugzeugen und Lenkwaffen – ein Aspekt, der fantasievollen Spekulationen Tür und Tor geöffnet hat: Und angeblich gibt es auch Dokumente, die Beweise in diese Richtung liefern …
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