Diese Worte rufen jedes Detail unserer unglaublich schönen Zeit wieder wach und sagen unmissverständlich: Unsere Liebe ist so stark, sie wird uns immer wieder zusammenführen.
Ich war einmal mehr so aufgewühlt, dass ich diesen Brief Ende Januar schreiben musste. Das war das mindeste was Sina erfahren sollte:
Liebe Sina,
ich habe alle Deine sms` noch einmal gelesen und bin entsetzt und beschämt darüber, dass mein Herz so blind war. Du hast ein Anrecht darauf, dieses von mir zu erfahren, und: es tut mir unendlich leid. Ich werde mir nie verzeihen, was ich Dir zugemutet habe; vielleicht kannst Du es irgendwann?
Danke für die Liebe, die Du mir trotz allem immer geschenkt hast und für den hellen Stern. Ich werde Dich immer lieben!
Bleib gesund!
Dein Rune
Sina war es, die ihre Liebe immer aufs Neue unter Beweis stellte. Ich dagegen war nur blind, sogar mit dem Herzen. Die sms' haben mich gerüttelt, haben mich fest bei den Schultern gepackt und unaufhörlich geschüttelt und aufgewühlt.
Sina hat für unsere Liebe alles getan, unbeirrt für mich mitgekämpft. Sie machte die schwere Phase, die ich durchstehen musste, auch zu ihrer, zu unserer gemeinsamen. Sie schaute positiv voraus auf unser gemeinsames Ziel. Sie lebte die Überzeugung, dass es sich lohnt, für unseren Traum zu kämpfen.
Ich hoffe und bete dafür, dass es nicht zu spät ist.
Ich bin wie gelähmt, antriebsarm und habe nur einen Gedanken. Ich kann keiner Ablenkung wie Golfen, Einladungen, Besuche bei Freunden etwas abgewinnen, geschweige sie genießen.
Das Handy nehme ich immer wieder in die Hand, hoffend auf ein Lebenszeichen von Sina und andererseits in der Versuchung, ihr meine ungebrochene Liebe in Großbuchstaben zu senden.
Dann las ich wieder ihre einfühlsamen, Mut machenden, durch nichts zu erschütternden auf eine gemeinsame Zukunft gerichteten sms', und ich begann, unsere Geschichte aufzuarbeiten.
Kapitel 4
Wir altern und reifen zugleich. So wie wir an äußerlicher Attraktivität verlieren, gewinnen wir an innerer, wenn wir besonnen, ernsthaft, ehrlich und realistisch sind.
Inwieweit wir Werte leben und verkörpern ist unsere Entscheidung im selbstbestimmten Reifungsprozess. Dann kann auch das Älterwerden Glück und Zufriedenheit schenken und sogar eine neue Liebe zulassen.
In der Jugend erfahren wir vornehmlich durch unsere Erscheinung Aufmerksamkeit und werden mit Attributen wie attraktiv, sportlich, anziehend … belegt, sind beliebt, werden bewundert, auch begehrt und lassen es vielleicht auch zu.
Im Mittelalter müssen wir uns von der ersten Phase – wenn nicht schon innerlich gereift – schmerzhaft verabschieden, sind oft noch mit Wunschvorstellungen in ihr verhaftet. Eitelkeit und Realitätsferne verstellen oft den Blick.
Mit Hilfsmitteln versuchen wir festzuhalten und zu kaschieren, was zunehmend entgleitet. Jetzt sind wir gerne gesehen, geachtet, respektiert wegen unseres Charakters und unserer gelebten Werte verpflichteten Einstellung. Eine neue Liebe ist in dieser Phase möglich, wenn wir uns bei dem Blick durch die Schale bewähren. Dann sind wir der Liebe wert.
Im dritten Abschnitt hat äußere Attraktivität naturgemäß geringere Bedeutung und Umgehängtes erregt nur für den kurzen Augenblick Aufmerksamkeit. Das Auge sieht – das Herz nimmt wahr und erkennt.
Der neue Mantel, der schicke Anzug, das 78.-igste Paar Schuhe geben einen ersten flüchtigen, oberflächlichen, unreflektierten Eindruck; sie können nur für den Augenblick vom Wesentlichen ablenken. Es zählt allein die Attraktivität des Herzens. Deshalb unterliegt eine neue Partnerschaft in tief empfundener Liebe besonders kritischen Maßstäben. In diesem Lebensabschnitt stehen wir, Sina und Rune, in dem Ehrlichkeit aus Verantwortung für den Partner oberstes Gebot ist.
Wie lange haben wir noch? Können wir uns leisten noch ein Jahr, eine Stunde zu verschenken? ›Carpe diem!‹, in Ehrlichkeit aus Verantwortung füreinander.
Die Kostbarkeit der Zeit gebietet es umso mehr, den Partner mit schonungsloser Offenheit über nichts im Unklaren zu lassen oder aus Scham, Angst oder Zweifel darüber, wie die Wahrheit ankommen könnte, etwas zu verschweigen.
Und – bin ich wirklich für einen Neuanfang bereit oder sind meine Vorstellungen und Träume noch illusionär in der Vergangenheit verhaftet oder gar durch sie belastet? Nur wenn ich dem Partner aufrichtig, offen und ehrlich gegenübertrete habe ich das Geschenk verdient, ein aufregendes Wagnis im Alter erleben zu dürfen. Wenn Liebe an der Ehrlichkeit zerbricht, dann ist sie nicht stark genug. Ein Ende unserer Beziehung kann ich mir, auch für Sina, nicht vorstellen. Ich musste schon einmal durch den Schmerz hindurch; ein zweites leidvoll andauerndes Ende einer Partnerschaft bleibt mir hoffentlich erspart.
Weil Sina einmal mehr ohne Vorankündigung Funkstille praktiziert, eine Aussprache erneut ablehnt, unternehme ich den Versuch »Die Geschichte von Sina und Rune« aufzuarbeiten. Das soll mir helfen, Sinas Signale zu verstehen und mich für unsere Liebe reif zu machen.
Ich unternehme diesen Versuch in der festen Überzeugung: Das Schicksal hatte es für uns so einzigartig gefügt, damit unsere Herzen sich von allen Fremdeinflüssen und ablenkenden äußerlichen Eindrücken frei, kennen lernen und ihre Liebe füreinander entdecken durften.
Unsere so einmalige Geschichte einer letztlich unerschütterlichen Liebe wird ihre Fortsetzung finden.
Kapitel 5
Telefonate mit der Phantomfrau
Ausgangspunkt unserer wunderschönen, tief empfundenen Liebe, die immer wieder von quälenden, mit Zweifeln belasteten Phasen unterbrochen wurde, war die abendliche Abschlussveranstaltung einer Golfturnierwoche in Bayern im Juni 2010.
Busse brachten die Teilnehmer/innen in die Festhalle. Über zwanzig Notenständer auf dem Podium deuteten auf einen schwungvollen Abend hin.
Wir, sechs Mitglieder aus meinem Golfclub saßen mit Golffreunden aus NRW, Stuttgart und Leipzig an einem Tisch, ließen uns das Essen schmecken, folgten den Reden, der Siegerehrung, erfreuten uns an den Powerpoint-Bildern, tranken Wein und tauschten Erlebnissen der ereignisreichen, rundum gelungenen Turnierwoche aus.
Als die Musik zum Tanz aufspielte, bekam ich einen inneren Schubser, der mir bedeutete: Los, steh auf, wenn du dich heute nicht überwindest, dann bestimmt nie mehr.
Meine Frau war vor drei Jahren gestorben, ich lebte zurückgezogen, Ablenkungen erschöpften sich in notwendiger Haus- und Gartenarbeit, gelegentlichen Besuchen bei den Kindern und Enkelkindern und ausgiebigem Golfspiel. Bis heute hatte ich abgelehnt, Musik zu hören; auch im Auto schaltete ich das Radio nach den Nachrichten aus. Und jetzt sollte ich tanzen?
Der Zufall kam mir zur Hilfe, er hatte für mich einen Plan. Mir gegenüber, am übernächsten Tisch, saß eine Golferin, die das Turnier in meiner Gruppe mitgespielt, und die ich wiederholt gesehen hatte. Unsere Blicke trafen sich, und wir nickten uns begrüßend zu, was wie ein Übereinkommen war zu tanzen.
Wir gingen weitere Male aufs Parkett, unterhielten uns angeregt und tauschten die Telefonnummern aus. Es vergingen knapp zwei Wochen, bevor ich Erika in Nürnberg anrief. Es war für mich erfrischend eine neue Verbindung zur Außenwelt zu haben. Ich erfuhr, dass sie alleinstehend und nicht mehr berufstätig ist, ein enges herzliches Verhältnis zu ihren Kindern, besonders zu ihrem Enkel hat, den sie zuweilen mit auf den Golfplatz nimmt. Sie ist eine begeisterte Golferin mit disziplinierter und profunder Einstellung zum Spiel, wovon ich mich später persönlich überzeugen konnte.
Wir telefonierten oft. Unsere aktuellen Erfahrungen und Erlebnisse beim Golfen nahmen einen gebührenden Rahmen ein. Die Vorstellung auch einmal gemeinsam zu golfen gewann dabei zunehmend konkrete Formen. Es dauerte nicht allzu lange bis wir einen Termin vereinbarten.
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