»Sei Nürnberger Kollech is a net besser«, entgegnete die Retta, »von Finanzen keine Ahnung, aber beim Fasching als Gandhi, Marylin Monroe oder als Punker daherkumma, des kann der.«
»Den könntn wir eigentlich als fränkische Geheimwaffe, als Berater sozusagn, zu den Griechn schickn. Als Schäuble verkleidet. Was meinst, wie schnell der die Hellenen aus dem Euroraum nausschmeißn tät«, gluckste die Retta.
»Ob der amol die Nummer eins im Freistaat wird?«
»Ich glaub net«, entgegnete die Kunni, »is doch a a Franke. Hast doch am Beckstein gsehn, wie lang des gutganga is.«
»Heiligs Blechla«, befürchtete die Retta, »man wird doch net die Ilse … die alte Krampfhenna …?«
»Die Ilse? Nie und nimmer. Die versteht doch ka Mensch mit ihrm komischn Dialekt. Mit ihrm Genuschel und Gegatze. Ach Gotterla, wenn des bloß net so haß wär«, stöhnte die Kunni zum wiederholten Male und trank ihr schales Bier leer. »Schmeckt wie Odl«, jammerte sie.
»Seit wann gibtsn den Tag der Franken überhaupt scho?«, hakte die Retta erneut ein, nachdem die Unterhaltung für einige Minuten ins Stocken geraten war.
»Seit dem Jahr 2006«, klärte Dirk Loos die beiden auf. »Wenn es die Damen interessiert, kann ich einiges dazu beitragen. Ich habe mich informiert«, fuhr er fort. Kunni verdrehte die Augen und sah dabei ihre Freundin an.
»Red weiter, Dirk«, forderte sie ihn auf, »aber drück dich net immer so gschwolln aus.«
»Ich werde mich bemühen«, versprach der Sauerländer. »Also im Jahr 1500, am 2. Juli, wurde auf dem Reichstag von Augsburg das Heilige Römische Reich Deutscher Nation in sechs Reichskreise eingeteilt.«
»Reichstag, wie des klingt«, warf die Retta ein, »wie Reichsparteitag.«
»Einer«, fuhr Dirk Loos fort, »umfasste hauptsächlich die Bereiche der Hochstifte Bamberg, Würzburg und Eichstätt, die beiden zollerischen Fürstentümer Ansbach und Kulmbach, sowie die fünf Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Windsheim, Schweinfurt und Weißenburg, das Fürstentum Hohenlohe, die Grafschaft Henneberg sowie einige Kleinterritorien. Bereits 1522 wurde der Reichskreis erstmals als Fränkischer Reichskreis bezeichnet. Er bestand bis zum Jahr 1806.«
»Und dann?«, warf nun die Kunni doch interessiert ein.
»Na ja«, erklärte Dirk, »bereits ab 1795 geriet der Fränkische Kreis zunehmend zwischen die politischen Fronten des napoleonischen Frankreichs und Preußens.«
»Hammers scho widder«, stellte die Kunni empört fest. »Warum mischn sich die Sau-Preußn ständich in unsere Angelegenheiten ein?«
»Seien wir ehrlich, der Fränkische Kreis war damals kein homogenes Gebilde«, erkläre Rettas Untermieter, »ein rechter Fleckerlteppich. Die Franken waren seinerzeit keine wirkliche Einheit untereinander, ähnlich wie heute. Ihr wisst schon … Unterfranken, Oberfranken, Mittelfranken. Von denen hält sich doch auch noch heute ein jeder für die echten, wirklichen Franken.«
»Pass fei auf, wasd sagst, Dirk«, drohte ihm die Kunni.
»Jedenfalls, wenige Jahre später wurde auf dem Wiener Kongress der überwiegende Teil des ehemaligen Reichskreises dem Königreich Bayern zugeschlagen.«
»Zugeschlagen«, wiederholte die Kunni. »A schens Wort. Des hams, wie immer, mal widder hintrickst, des kleine rebellische Alpenvolk und die Lederhosenträger. Besetzt, tät ich sagn. Annektiert. Okkupiert. Und mier Deppn ham uns des gfalln lassen! Mei warn mier damals blöd. Heit hammer den Dreck.«
»Na ja, wie es auch immer gewesen sein mag«, ließ sich Dirk Loos in seinen Erklärungen nicht stören, »zur Erinnerung an den 2. Juli des Jahres 1500 wird seit 2006 jedes Jahr der Tag der Franken gefeiert. Entweder am 2. Juli oder an dem darauffolgenden Wochenende.«
»Is des alles, was du uns derzähln willst, Dirk? Bist scho fertig? Etz red aber a weiter«, forderte die Retta den geschichtsbegabten Erzähler auf, »Des is ja bloß die Hälft vo dera Gschicht. Von den anschließenden Verbrechen der bayerischen Sauhund an uns Franken willst nix derzähln? Von der verschleppten fränkischen Beutekunst? Von dem Dürerporträt und der Heinrichskrone? Von Teilen des Bamberger Domschatzes? Von der verreckten, arroganten Münchner Mia-san-mia-Gesellschaft. Wem ham die Münchner denn ihrn Weltstadt-Anspruch zu verdanken, wenn net uns? Und dann stellt sich des Kultusministerium hie und meint, München muss der Leuchtturm sein, der Rest des Landes is für Trachtenfeste gut genug. Ja wo simmer denn?«
»Und deswegen, weil in dem preußenverseuchten Erlang in Dirndl und Lederhosn verkleidete Siemensler rumstolpern und net zwischen Frankn und dene Gamsbartträger unterscheiden könna, als Preußn von der Geschichte sowieso keine Ahnung ham und sogar weiß-blaue Fahna zu die Fenster naushänga, deswegen stinkt mir des heut alles so«, verkündete die Kunni ärgerlich. »Sogar die Deppen aus der Oberpfalz stänkern etz scho gegen uns Franken.«
»Wieso des?«, wunderte sich die Retta.
»Hast des net ghört, gestern in die Nachrichtn, auf Bayern Drei?«
»Na net. Erzähl!«
»A oberbayrische Nuttn hams derschossen, am Freitoch. In Amberch. Und der mutmaßliche Mörder soll an fränkischn Dialekt ghabt ham.«
»Die spinna doch, die Oberpfälzer!«
»Soch ich doch! Welcher anständiche fränkische Mo lässt sich scho mit einer bayerischn Nuttn ei? No dazu in der Oberpfalz? Zu dene Hinterwäldler fährt doch kaner von uns hie! Redn tun die, schlimmer als im hinterstn Bayerischen Wald. Etz reichts mir wirklich. Kommt, stehn mer auf! Fahrn mer widder ham in unser schens Röttenbach! Ich lad euch zu an Kaffee und Kuchn ei. Hab noch Kirschsahneschnitten und an Bienastich im Kühlschrank.«
»Und des sagst etzerdla erscht«, beschwerte sich die Retta.
*
Il Tedesco war nach dem Mord an Roserl Hinterwimmer auf der A9 in Richtung München unterwegs. Österreich, der Brenner und der ganze italienische Stiefel lagen noch vor ihm. Seine Frau Francesca, geborene Antonelli, hielt die Stellung in dem neu erworbenen Mühlenanwesen. Auch wenn es bis zu den Sommerferien nicht mehr so lange hin war, vier Wochen mussten Emanuele und Filippo, die beiden sieben- und neunjährigen Söhne, den Schulalltag noch über sich ergehen lassen. Ohne Vater. So war auch Mama Francesca gezwungen, die wenigen Wochen bis zum Ferienbeginn noch im beschaulichen Aischgrund auszuharren, bevor sie und die beiden Kinder ins Flugzeug steigen und ihm nachreisen konnten. Wie jedes Jahr trieb es die Familie auch heuer wieder in die süditalienische Heimat ihrer Eltern und Großeltern. Emanuele und Filippo freuten sich schon auf Oma und Opa, welche sie immer wieder aufs Neue verwöhnten. Il Tedesco, Francescas deutscher Ehemann, fuhr ihr schon in ihre Heimat voraus. Nicht weil er es dort besonders schön fand oder ihrer überdrüssig war, nein, ihr Vater Calippo hatte ihn darum gebeten. »Ich muss mit deinem Mann reden«, hatte er seiner Tochter am Telefon erklärt. »Es geht um etwas Geschäftliches«. Worum im Einzelnen, das wusste sie nicht, und das interessierte sie auch nicht. Männersache. Francesca wusste schon von Kindesbeinen an, dass Papa schon immer ein Clanchef der Ndrangheta war. Aber auch für sie galt, was für alle Frauen in der Region gilt: Loro vedono. Sanno. Non chiedono – Sie sehen, Sie wissen. Sie fragen nicht. Papas Wort galt. Er wusste, ob etwas wichtig oder weniger wichtig war, ob eine Sache dringend erledigt werden musste oder noch Zeit hatte. Francesca war weder blind noch naiv. Sie wusste, dass sich ihr Vater mit illegalen Dingen beschäftigte. Sie sah es, aber sie sagte nichts, wie alle Frauen der Mafiamitglieder. Sie war damit groß geworden. Im Gegenteil, sie war stolz, dass Papa ihren deutschen Mann schon vor langer Zeit in sein Herz geschlossen hatte. Die beiden hatten sich von Anfang an gut verstanden und ihr Vertrauen zueinander war von Jahr zu Jahr gewachsen. Sie hatte ihren Favorito, wie sie ihren Mann liebevoll nannte, auf einer Mittelmeerkreuzfahrt kennen und lieben gelernt. Er war schon damals ganz anders als die meisten italienischen Männer, welche sie kannte. Ruhiger, zuverlässiger, rücksichtsvoller, stellte sich nicht ständig in den Vordergrund. Er hörte gerne zu, sah unheimlich gut aus und war der perfekte Liebhaber. All die positiven Eigenschaften hatte ihr Favorito bis heute konserviert und sie wusste, dass er ihr in all den zurückliegenden Jahren immer treu geblieben war und sie sprichwörtlich immer noch auf Händen trug. Ihr Mann arbeitete hart, war aber berufsbedingt leider sehr oft unterwegs. Umso mehr liebte Francesca das Leben an seiner Seite, wenn er mal zu Hause war. Sie war glücklich und stolz auf ihre beiden Söhne, denen sie den dunklen Teint und die kohlschwarzen Augen vererbt hatte, und sie freute sich schon jetzt auf das baldige Wiedersehen mit ihrem Mann im fernen Platì.
Читать дальше