Werner Rosenzweig
EIN FRANKEN-KRIMI
Volk Verlag München
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ISBN 978-3-86222-367-1
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Prolog – Johanna
Ein knappes Jahr später
Pressekonferenz
Die Villa
Café am Dom
Orientierungslos
Überfordert
Wer nicht wagt …
Zusammenarbeit
Überstunden
Santi-Figli-di-Dio
Widerspruch
Du sollst nicht lügen
Mafia
Informationsaustausch
Ertappt
Tonis Liste
Wie alles begann
Grenzkontrolle
Zusammenfassung
Erstkontakt
Der ehemalige Domspatz
Das dritte Opfer
Heilloses Durcheinander
Der rätselhafte Hausverwalter
Gefragt – gesagt
Die Sonnleitners
Wer einmal lügt …
Beim Schneiders Willi
Das Interview
Das Telefonat
Die erste Kolumne
Neuigkeiten
Neues aus der Presse
Neue Erkenntnisse
Am Hollergraben
Bei Max Müller
Ratloser Mafioso
Der frühe Vogel
Strategiebesprechung
Bürgerpark Hain
Verhaftung
Vernehmung
Die Wut des Diözesanrates
Unterwegs in Würzburg
Mafia und Vatikan
Reserls Rückkehr
Lignellis Vermächtnis
Lignellis Geständnis
Filmaufnahmen
Alibis
Di Rossis Geschichte
Die Postbotin
Gottesdienst
Warum?
Ehrlich gesagt
Danksagung
Johanna, die Tochter von Max und Irmgard Sonnleitner, sah schon von Kindesbeinen an immer blass und kränklich aus. Ihre feinen, hellen Gesichtszüge ähnelten denen einer Porzellanpuppe. Leicht zerbrechlich, fast durchscheinend. Auch ihr zarter Körperbau vermittelte stets den Eindruck von Anfälligkeit und Instabilität. Doch der erste äußere Eindruck konnte täuschen. Wenn sie wollte, konnte Johanna durchaus zäh und widerspenstig sein. Sie hatte ihren eigenen Kopf, wie man so schön sagt. Außerdem war sie in hohem Maße intelligent und wusste ihren Willen durchzusetzen.
Als sie fünf Jahre alt war, bemerkte das Kindergartenpersonal erstmals zentralnervöse Bewegungsstörungen an ihr. Der Körper des Mädchens verfiel ab und an in eigenartige Zuckungen, die Johanna offensichtlich nicht beeinflussen konnte. Ganz am Anfang dauerten sie nur wenige Sekunden. Im Laufe der Zeit kamen die Anfälle in immer kürzeren Zeitabständen und die wilden Zuckungen und Körperverrenkungen konnten bis zu einer halben Minute andauern. Hinzu kamen seltsame gutturale Laute, die sie von sich gab, die aber niemand verstand. In diesen Phasen hatte sie ihren Körper nicht mehr unter Kontrolle.
„Sie kann nichts dafür“, diagnostizierte ein Facharzt. „Ihre Tochter ist krank“, klärte er nach mehreren Untersuchungen die Eltern auf, „ich vermute bei ihr eine seltene Krankheit. Das sogenannte Tourette-Syndrom, eine nervliche Erkrankung genetischen Ursprungs. Neben den nervösen Zuckungen, den sogenannten Tics, kommt bei Ihrer Tochter aber noch eine weitere Begleiterscheinung hinzu. Eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, was man abgekürzt auch als ADHS bezeichnet.“
Max und Irmgard Sonnleitner waren geschockt, als sie den Erklärungen des Arztes lauschten.
„Was kann man dagegen tun?“, wollte Johannas Vater wissen.
„Ist die Krankheit heilbar?“, fiel ihre Mutter ein.
„Nun, auf jeden Fall müssen wir Ihre Tochter medikamentös behandeln“, riet der Arzt, „was aber nicht heißen muss, dass die Medikamente Heilung bringen. Sie können günstigenfalls bewirken, dass die Anfälle in längeren Zeitabständen, also weniger häufig und weniger heftig erfolgen. Ob Johanna je wieder gesund wird, kann ich heute noch nicht sagen, aber es gibt Hoffnung. Es gibt Fälle, bei denen die Krankheit nach der Pubertät so gut wie völlig abklingt beziehungsweise gänzlich verschwindet. Wie sich das bei Ihrer Tochter entwickeln wird, kann Ihnen heute niemand vorhersagen. Wichtig ist jedenfalls die Schule. Ich meine vor allem das Klassenumfeld und die Lehrerschaft. Sie wissen, Kinder können grausam sein. Einige könnten sich lustig machen über Johannas Krankheit. Wenn das passiert, müssen die Lehrer sofort einfühlsam einschreiten. Johanna darf kein Mobbing-Opfer werden, denn das könnte sich nur negativ auf den weiteren Krankheitsverlauf auswirken.“
„Warum gerade Johanna? Warum hat Gott ausgerechnet uns damit bestraft?“
Je älter ihre Tochter wurde, desto häufiger traten die Anfälle auf. Nebenwirkungen der Medikamente blieben nicht aus. Johanna wurde häufig schwindelig, ab und an konnte sie nur noch verschwommen sehen und sie klagte über Benommenheit.
Ihre Eltern litten mit ihr und entwickelten eigene Schuldgefühle. „Was für ein unerzogener Fratz“, mussten sie sich anhören, wenn sie mit Johanna im Eiscafé saßen und ihre Tochter mal wieder von einem ihrer Anfälle geplagt wurde. „Schlechte Angewohnheiten, versäumte Erziehung … Liegt wohl am Elternhaus … Wenn das mein Kind wäre …“
Die Sonnleitners hatten österreichische Wurzeln. Ihre Vorfahren kamen aus der Steiermark, ganz in der Nähe von Graz, und ihre nächsten Verwandten lebten immer noch in dieser Gegend. Vor zwei Jahren war die Familie von Österreich nach Strullendorf bei Bamberg umgezogen. Ausschließlich wegen der Krankheit ihrer Tochter.
Bei Johanna stand im Herbst der Wechsel von der Grundschule an ein Gymnasium an. Lange hatten sie im Internet recherchiert, welche Schule für ihre Tochter am besten geeignet wäre. Dann waren sie auf die Einrichtung der Santi-Figli-di-Dio in Bamberg gestoßen, deren Träger das Erzbistum Bamberg war. Diese Heiligen Kinder Gottes seien eine Laienorganisation der römisch-katholischen Kirche, die im Bereich der Seelsorge und der geistlichen Bildung von minderjährigen Kindern wirke, lernten sie, als sie sich lange genug mit der Website von Santi-Figli-di-Dio auseinandergesetzt hatten.
Die Sonnleitners waren besonnene Leute. Sie brachen nichts übers Knie und holten sich auch andernorts Rat zu der kirchlichen Laienorganisation ein. Sie sprachen mit den Zuständigen in den Diözesen Wien, St. Pölten und Linz.
„Wer sagt Ihnen denn, dass nicht der Teufel selbst die Krankheit über Ihre Tochter gebracht hat?“, meinte der Wiener Beauftragte des Befreiungsdienstes. „Glauben Sie mir, der Satan ist omnipräsent. Mit unseren Exorzismen haben wir nur gute Erfahrungen gemacht.“ Doch die Sonnleitners wollten nichts von Exorzismus hören. „Ich selbst bin auch ein Mitglied von Santi-Figli-di-Dio und kann Ihnen die Bamberger Schule nur wärmstens ans Herz legen“, fuhr der Geistliche fort. „Wenn Sie möchten, kann ich bei der örtlichen Organisation auch ein gutes Wort für Sie einlegen.“
„Unsere Erziehung und Bildung basiert auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes“, versicherte wenige Tage darauf der Schulleiter, Dr. Johannes Sieber, den Sonnleitners. „Wir sind ein Internat und können uns so rund um die Uhr und individuell um jeden einzelnen unserer Schüler kümmern. Sehen Sie, bei Santi-Figli-di-Dio handelt es sich um eine im Jahr 1963 von dem italienischen Bischof Angelo Marotti gegründete Laienorganisation der römisch-katholischen Kirche in Form einer Personalprälatur. Was heißt das? Eine Prälatur ist eine vom Zweiten Vatikanischen Konzil angeregte und eingeführte institutionelle Rechtsform der römisch-katholischen Kirche. Papst Paul VI. hat sich damals noch persönlich für deren Gründung eingesetzt. Santi-Figli-di-Dio soll sich in besonderem Maße seelsorgerisch und mit Bildungsauftrag um Kinder kümmern, die Probleme jeglicher Art haben. Natürlich stehen das Kirchliche und die Lehre der katholischen Kirche dabei auch mit im Vordergrund. Schließlich bezuschusst der Vatikan das Vorhaben.“ Dr. Sieber lächelte und breitete die Arme aus. „Wir sind quasi eine gottgewollte Bewegung zum Schutze Minderjähriger und ein Vorzeigeprojekt in ganz Europa, arbeiten aber ganz im Stillen, ohne große Selbstdarstellung. Falls gewünscht, ist unsere Einrichtung sogar während der offiziellen Schulferien für unsere Schüler offen. Wir bieten ununterbrochene Betreuung, auch Nachhilfe. Insbesondere für leistungsschwächere Jugendliche wird dieses Angebot seitens der Eltern gerne angenommen.“
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