Ich kenn das Haus gut. Sonst fahr ich immer in den dritten Stock. Das ist das Büro von Susis Escortagentur »Die Berlinerin«. Die Jobs, die mir dieses Etablissement vermittelt, haben mich im Leben wirklich weitergebracht. Danke, Susi. Ich frag mich, was du mit all den Provisionen gemacht hast, die ich dir schon erflirtet und erknutscht hab. Wenn du sie nicht für ein Kinderhospiz gestiftet hast, hol ich sie mir irgendwann wieder. Wenn ich nicht mehr ganz so fertig bin.
Das Holz in einer Ecke der Fahrstuhlkabine ist feucht, es stinkt. Oder bin ich das etwa? Ich drück die Zwei: Doktor Selma Ehrlich, Rechtsanwältin . Mit dem Finger zieh ich nach, was jemand ins Tableau geritzt hat: Hurntöschta21 . Luft anhalten, zweiter Stock. Der Gestank steigt nicht mit mir aus.
Ich klingel. Es summt, die Tür springt auf. Dahinter alles schnieke, so weiß-glatter Designlook, softes Licht, Kunst. Ein Typ hinter dem Empfang. Dunkel, Haare lockig, zurückgegelt, weißes Hemd, offener Kragen. »Bitte?«, fragt er.
»Guten Tag, Meista«, sag ich und zieh die Nase hoch. Damit hab ich seine volle Aufmerksamkeit. »Liberty Vale. Sorry, aber ich brauch jetzt mal eure Hilfe.« Der Junge hinterm Tresen ist so ein fragiler Orientbeau, vielleicht Mitte zwanzig, also ein paar Jährchen zu jung für mich. Trotzdem Ehering. Wie der mich anstarrt. Wenn der wüsste, wie flexibel ich bin. An bestimmten Körperstellen. »Bin ich jetzt Anwalts Liebling, Süßer?«, kumpel ich ihn an und knall schlitzohrig meine Versicherungskarte auf den Tresen.
Der Mann kommt hinter dem Empfang hervor. Er riecht besser als der Fahrstuhl. Nimmt die Karte. Schiebt mich zu einer Sitzecke. »Kaffee?«, fragt er.
»Wenn ihr nix anderes habt.«
»Doch, aber das zahlt Ihre Rechtsschutz nicht.«
Wenn der wüsste, was die noch alles nicht zahlt. Aber weiß er ja nicht. Er verschwindet, rumort rum. Ich zähl die Tapetenmuster, die schlingern so möbiusmäßig ineinander, ganz schlecht wird mir davon, dann ist der Hübsche wieder da. Der Kaffee ist klein, riecht aber klasse.
»Kommen Sie«, sagt er. »Seltsamerweise will Doktor Ehrlich Sie gleich sehen.«
Ich zwinker ihm zu und kipp den Kaffee runter.
Selma kommt hinter einem total zugepackten Schreibtisch hervor. Auch auf dem Boden und auf dem Sofa stapeln sich Akten. Sie lacht, als sie meinen Blick sieht. »Das muss so«, sagt sie und umarmt mich ohne Zögern, »sonst denken die Mandanten noch, man hätte weiter nichts zu tun.«
Selma ist klein, hat dunkles Haar, einen Pagenschnitt, Grübchen. Ihr Kostüm ist so seriös, dass es auch allein bei Gericht erscheinen könnte.
»Du hast einen Schlafanzug an«, stellt sie fest.
»Das ist nur …«, wie sag ich das jetzt?, »… situationsbedingt. Genau. Aber hey, sag mal, der Typ da draußen, sitzt der auf deinem Schoß, wenn du ihm diktierst?«
»Melek? Och, nö. Sie’s ’n Transgender. Nicht mein Fall.«
Wir lachen beide. Selma, weil ich reingefallen bin, ich vor allem, weil es mir peinlich ist.
»Ich bin sonst nicht Macho«, entschuldige ich mich. Offenbar bin ich zu verwirrt, um Männlein und Weiblein zu unterscheiden.
»Jetzt hör mal, Libby.« Selma lehnt sich vor. »Ich warte schon ewig darauf, dass du bei mir aufschlägst. Das ganze Viertel spricht darüber. Papa sagt, er hängt dir Essen an die Tür.«
»Ich … Nett von deinem Papa. Sag ihm das mal.« Ich will plötzlich nur noch, dass es vorbei ist. Alles. Ich nerve, und ich weiß es selbst. »Pass auf, Selma, ich hatt mal einen Traumjob. Jetzt hab ich Burnout, glaub ich. Manchmal braucht man halt Zeit für sich. Diese Zeit ist jetzt rum.« Ich schiebe ihr die Post rüber.
Sie liest. »Damit kommst du heute? Das ist morgen, Mann, morgen!« Sie schüttelt den Kopf.
»Ich kann da nicht allein hin«, murmel ich und denk: Hilf mir, Selma!
»Ganz ruhig, Libby.« Selma schiebt eine Packung Kleenex über den Tisch. »Wir machen das schon. Ich helfe dir. Niemand muss zu einer polizeilichen Vernehmung erscheinen. Und die können dich auch nicht zwangsweise vorführen lassen. Jetzt putz dir die Nase und erzähl erst mal alles. Von Anfang an.«
Selmas Souveränität versetzt mir einen Stich. Einerseits lieb ich sie dafür. Andererseits könnt ich auf ihrer Seite des Schreibtischs sitzen, wenn ich das Studium nicht geschmissen hätt. »Gib noch ’n Kaffee aus.« Ich schlag die Beine über. »Und übrigens muss ich leider gleich mal mit einem Geständnis anfangen, betreffs meiner Rechtsschutzversicherung.«
Der frühe Abend eines sonnenlosen Maitags. In Konrad Trasseurs Kanzlei ist es kaum heller als auf der Straße. Die Wände sind mit afrikanischen Masken gepflastert. Es riecht dumpf nach staubigem Holz, wie im Ethnologischen Museum.
Trasseurs Bürofenster geht direkt auf den Lietzensee. Über dem Wasser hängt der allgegenwärtige träge Frühlingsregen. Trasseurs Assistentin reicht Sanders mit lasziver Gleichgültigkeit ein Glas. Die transparente Seide ihrer Bluse knistert, als sie seinen Arm berührt. Ihre Lippen schimmern mit ihrem Lacklederrock um die Wette.
Trasseur lächelt ihrem Hinterteil hinterher. »Ich habe meinen Asbach Uralt früher gern mit Champagner getrunken.« Sein Gesicht ist feist und braun wie das eines Großwildjägers. Seine Augen sind viel zu klein und viel zu schwarz, um Vertrauen zu erwecken.
Sanders kennt Trasseurs Gesicht bereits aus der Bunten , die er im Warteraum durchgeblättert hat. Dort ist Konrad Trasseur mit seiner Frau Waltraud abgebildet – sie tanzen auf dem Investorenball in Saint-Tropez mit dem Geldadel aus aller Welt in den Morgen. Mit ihrer Brathähnchenbräune und ihrer goldenen Robe erinnert ihn Waltraud Trasseur an ein halbgegessenes Ferrero Rocher. Dabei hat sie das Geld, nicht der Notar. Liebe macht dumm, denkt Sanders. Das ist eine universelle Wahrheit, und Trasseur ist nicht der einzige Mann auf der Welt, der sich auf dieser Grundlage ein schönes Leben macht.
»Es ist eine verrückte Zeit, Herr Sanders.« Der Notar nippt mit seinen Teewurstlippen am Glas. »Ich kenne Ihren Vater schon so viele Jahre. Er hat nie erwähnt, dass er einen erwachsenen Sohn hat.«
Sanders riecht am Asbach. Wenn einem so viel Gutes widerfährt … »Sie haben meinem Vater ein Direktinvestment empfohlen«, sagt er, »Am Rabennest. Klingelt da was?«
»Wenn ich gewusst hätte, dass Rainhard so einen smarten Sohn hat, hätte ich Sie ja schon längst mal zu unseren Incentives für Interessenten eingeladen. Sicher machen Sie auf dem Golfplatz eine hervorragende Figur.«
»Bitte beantworten Sie einfach nur meine Frage.«
Trasseur lacht. »Nehmen Sie’s nicht so schwer, Junge. Mit der Familie geht es mir nicht anders als Ihrem Vater. Ich habe Millionen von Euros auf der Bank und halte mehr Immobilienanteile als Donald Trump. Aber ich habe keine Ahnung, was meine Familie so macht.«
»Ich mag es nicht, wenn man mich anlügt.« Sanders legt das Prospekt der Am Rabennest Sanierungsgesellschaft auf den Tisch.
Trasseur steht auf. Mit seinen aufgeschwemmten Hedonistenhänden zündet er sich eine Zigarette an. »Was wissen Sie über meine Familie?«
»Was in der Zeitung steht. Sie haben Ihr Geld früh geheiratet. Eine lächerliche Ehe. Ihre Frau hat sich vor ein paar Jahren in den Serpentinen oberhalb von Monte Carlo fast totgefahren. Sie haben einen Sohn, Oliver, der auch in Immobilien macht. Verlobt ist er mit Saskia Schwarz. Beide blond und beide nichts wert.«
»Ich mag Zyniker«, sagt Trasseur. »Aber Sie haben recht. In der Familie Trasseur kennt niemand den Unterschied zwischen einer Kreditkarte und, sagen wir …«
»Einer Arschkarte?«
»Die üblichen Laster der oberen Zehntausend, Herr Sanders.«
»Hatten Sie auch einen Toilettenpömpel im Briefkasten, Herr Trasseur?«
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