1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Mittlerweile besaßen auch wir ein schönes, großes neues Zelt. Es bot für uns Vier eine abgetrennte Schlafkabine und außerdem genügend Platz, um uns bei miesem Wetter drinnen aufhalten zu können. Der Luxus nahm von Jahr zu Jahr zu. Damit ich im Zelt auf dem Erdboden spielen konnte, wurde das Zelt mit einem großen Teppich ausgelegt. Nun hatten wir auch richtige, aus Stangen zusammengebaute Schränke, in denen wir unsere Sachen übersichtlich aufbewahrten.
Um diesen Luxus länger als die sonst gewohnten drei Wochen zu genießen, entschlossen sich meine Eltern zum Dauercamping. Dies bedeutete, dass das Zelt im Mai aufgebaut und erst im September wieder abgebaut wurde. So fuhren sie fast jedes Wochenende nach Lehnin. Ich kam natürlich in den Ferien mit. In den Sommerferien war dann ein großer Urlaub für etwa drei Wochen angesagt. Mit jeder Fahrt zum Zeltplatz wurden immer noch weitere Utensilien mitgenommen. Wir mussten sogar mit der Zeit ein weiteres kleineres Zelt aufstellen, in dem wir die ganzen Kartons, Zeltsäcke, Koffer und Ähnliches aufbewahrten.
Schon allein für mich nahm man zwei Wagen mit. Einmal den Handwagen, der sich im Wald immer aufs Neue bewährte. In der Zwischenzeit hatte ich auch einen anderen Rollstuhl bekommen. Dieser war viel handlicher als der erste. Auch bei ihm waren die großen Räder vorn und die kleineren zum Lenken hinten. Die Sitzfläche, die Fußstütze sowie die Rückenlehne waren zwar starr, konnten aber schnell einzeln herausgenommen werden. Dann ließ sich der Rest problemlos zusammenklappen und passte so ins Auto.
Sogar auf einen Kühlschrank mussten wir beim Camping nicht verzichten, obwohl es keinen Strom gab. Neben unserem Zelt hoben wir ein tiefes Loch aus. Die dort reingelegten Lebensmittel blieben so kühl. Auch bei höheren Temperaturen. Um eine bessere Übersichtlichkeit und vor allem Sauberkeit zu erreichen, kamen wir auf die Idee, eine Milchkanne, wie sie auf den Weiden zum Melken der Kühe Verwendung fand, einzugraben. Diese Kanne besaß noch einen idealen Deckel, sodass kaum Schmutz hineinfiel. Der perfekte Kühlschrank fürs Campen!
Die Autos der an Lehnin vorbeiführende Autobahn konnte man – wenn der Wind aus der entsprechenden Richtung wehte – auf dem Zeltplatz hören. In der Woche störte dies kaum, da nur verhältnismäßig wenige Fahrzeuge und dazu mit einer geringen Geschwindigkeit (im Gegensatz zu heute) diese benutzten. Doch am Wochenende, vor allem am Sonntagabend artete das Befahren der Autobahn im ohrenbetäubenden Lärm aus. Warum nur? In unserem dreiwöchigen Urlaub erkundeten wir dieses Phänomen:
Die nahe gelegene A2 konnten wir bequem zu Fuß erreichen. Es war außerdem gleich eine schöne Gelegenheit, einen gemeinsamen Sonntagsspaziergang zu unternehmen. Meine Eltern zogen mich wie gewohnt mit dem Handwagen. Einige Stellen waren zwar sehr sandig, aber zu zweit schafften sie es.
Je näher wir der Autobahn kamen, umso intensiver wurde das Brummen der Autos. Durch einige Baumlücken sahen wir dann schon die Autos vorbeihuschen. Und das waren viele, sehr viele! Auf der, über die Autobahn führende, kleinen Brücke blieben wir stehen. Als wir das »Schauspiel« zum ersten Mal sahen, das da unter uns ablief, trauten wir unseren Augen kaum. Wir glaubten uns in einer anderen Welt. Westauto an Westauto, und das in allen erdenklichen Farben! Die Fahrzeuge, die da unter uns lang fuhren, kannten wir nur sehr flüchtig. Alles schöne Autos, die wir so auf unseren Straßen nie sahen.
Diese Autos flogen nur so an uns vorbei. Doch nicht lange. Mit der Zeit hatten wir unsere Erfahrung und sagten: »Die stehen gleich.« Es dauerte dann auch nicht lange, bis die Autos bedeutend langsamer fuhren und sogar zum Stillstand kamen. Wow! Ein Stau auf der Autobahn. So etwas kannten wir nur aus dem Fernsehen, aus dem Westfernsehen. Aber nun hatten wir die Gelegenheit, dies einmal live mitzuerleben.
Diesen Stau konnten wir uns jedoch schnell erklären. Kurz hinter der Brücke befand sich die Abfahrt nach Westberlin. Und alle, die am Wochenende nach Westdeutschland fuhren, kamen am Sonntag wieder zurück.
Nur schwer konnten wir uns von dem Anblick der uns selten zu Gesicht zu bekommenden Autos trennen. Aber da wir ja mehrere Wochen Urlaub hatten, kam der nächste »Autobahntag« bald wieder und so gingen wir langsam zu unserem Zelt. Wenn die Zeit es noch zuließ, versuchten wir auf dem Rückweg beiläufig für unser Abendbrot zu sorgen.
Der Wald rund um die Autobahn muss ideale Wachstumsbedingungen für Pilze geboten haben. Sie übersäten in manchen Jahren regelrecht den Boden. Überwiegend wuchsen hier Maronen. Richtig suchen brauchte man sie nur selten. In den meisten Fällen musste man sie einfach nur abschneiden.
An einigen Wochenenden kamen uns meine Großeltern besuchen. Auch sie wollten für sich Pilze sammeln. Dann zogen wir alle gemeinsam los, zu den Wäldern an der Autobahn. Oft fuhr mein Vater oder Opa mit dem Auto hinterher. Dies erwies sich dann auch als sehr hilfreich, denn anders hätten wir die Massen an Pilzen gar nicht weg bekommen. Es war manchmal wie verhext. Der ganze Kiefernwald stand voller Maronen. Man hätte sie zuweilen mit der Sense abmähen und ernten können. So machte Pilze sammeln richtig Spaß, denn wir schleppten (oder fuhren) sie eimer- und körbeweise nach Hause.
Natürlich konnte ich nicht direkt beim Pilze suchen mitmachen. Mich in dem Handwagen quer durch das dichte Unterholz zu ziehen, ging nun beim besten Willen nicht. Wenn ich einen Pilz vom Wegesrand aus sah, machte ich ganz aufgeregt meine Eltern darauf aufmerksam, so als hätte ich ihn zuerst entdeckt. Doch viel mehr konnte ich ihnen nicht helfen. Aber immer nur dazustehen und zuzugucken, das wurde mir sehr schnell zu langweilig. Meinen Bruder interessierten die Pilze sowieso nicht und er turnte schon längst im Wald herum. Das reizte mich natürlich ebenfalls. Wenn der Waldboden nicht zu nass war, setzten mich meine Eltern auf die Erde und so konnte ich mit Andreas den Wald erkunden. Das konnte richtig spannend sein.
Das Gebiet um Lehnin war damals Truppenübungsplatz der NVA. Nicht unbedingt während der Hauptsaison der Zeltler hielten die Soldaten ihre Manöver in unserer unmittelbaren Nähe ab, doch in der Ferne hörte man schon manchmal Donnerschläge von Panzern, die ihre Übungen absolvierten. Auch konnte es einmal im Jahr vorkommen, dass diese zum vom Zeltplatz nicht weit entfernten Schampsee fuhren. Dieser See war eigentlich ein reiner Anglersee. Doch an den zwei langen Seiten dieses Gewässers befand sich jeweils eine Panzereinfahrt. Hier übten die Soldaten mit den Panzern durch das Wasser zu fahren. So ein Manöver einmal hautnah mitzuerleben, war schon etwas Spannendes.
Auch fand man in sämtlichen Waldstücken rund um Lehnin Spuren der Streitkräfte. So auch beim Spielen. Wenn ich auf den Böden der Wälder herumkroch, während meine Eltern Pilze suchten, fand ich die eine oder andere Hülse einer Patrone. Das war immer ziemlich aufregend. Unsere Eltern waren selbstverständlicher Weise nicht gerade begeistert, wenn wir mit diesem Zeug rumspielten. Oft taten wir es heimlich, wenn Mutti und Vati sich auf die Pilze konzentrierten. Es waren stets wirklich nur leere Patronenhülsen, die wir fanden, dennoch zogen uns die Dinger magisch an.
Robbten wir an manchen Tagen etwas tiefer in den Wald hinein, entdeckten Andreas und ich auch mal riesige Vertiefungen im Erdboden, wo ganze Panzer hineinpassten, die zur Tarnung dienten. In diesen gewaltigen Löchern zu spielen, war einfach traumhaft. Wenn wir Glück hatten, fanden wir so ein Panzertarnloch, in dem seitlich noch eine kleine Aushöhlung war, in der man sich zusätzlich verstecken konnte. Oft machten wir uns dann einen Jux. Hatten wir wieder einmal so ein perfektes Versteck gefunden und wir hörten unsere Eltern nach uns rufen, verhielten wir uns mucksmäuschenstill. So hatten sie ihre liebe Mühe, uns zu finden. Doch ist es von mir ein Manko, dass ich in solchen Situationen nicht lange still sein kann. Über kurz oder lang fange ich an zu lachen. So war es schon damals. Und deshalb fanden uns unsere Eltern auch immer ziemlich schnell.
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