Die aktuelle Studienlage weist insgesamt auf die hohe Bedeutung einer pflanzenreichen Kost und bestimmter Pflanzenstoffe in Bezug auf die Prävention, das Fortschreiten und das Überleben bei Prostatakrebs hin (Berkow et al., 2007). Es gilt auch als wissenschaftlich gesichert, dass regelmäßige Bewegung sowie Normalgewicht das Risiko eines Prostatakarzinoms deutlich senken.
Eine Reihe von Studien zeigt auch bezüglich der gutartigen Prostatahyperplasie, dass sich eine Ernährung, die arm an tierischen Produkten, pflanzlichen Ölen und Energie sowie reich an Sojaprodukten ist, günstig auswirkt (Araki et al. , 1983; Denis et al. , 1999; Gaynor, 2003; Lagiou et al. , 1999; Suzuki et al. , 2002).
Der im 7. Kapitel (ab Seite 201) beschriebene Ernährungsplan berücksichtigt alle bisherigen Erkenntnisse zur Ernährungstherapie von Prostatakrebs. Insbesondere übergewichtigen Prostatakrebspatienten kann er zudem helfen, ihr Gewicht auf eine nachhaltige und gesunde Weise zu normalisieren.
4.2 Ernährung auf Basis von Fleisch, Milch und Zucker: bis zu 27-mal höhere Prostatakrebssterblichkeit
Die Ernährungsweise beeinflusst maßgeblich die Prostatakrebsmortalität
Der Vergleich weltweiter Prostatakrebs-Sterberaten mit dem im jeweiligen Land über Jahrzehnte vorherrschenden Ernährungsmuster liefert sehr interessante Rückschlüsse. Die Schweiz, Schweden und Norwegen waren jahrzehntelang führend im Konsum von Milchprodukten, Fleisch und Zucker. Im Jahr 2000 war die altersstandardisierte Prostatakrebssterblichkeit mit 27 Todesfällen pro 100.000 Männer in allen drei europäischen Ländern 27-mal höher als in China (1 pro 100.000), 19-mal höher als in Vietnam (1,4 pro 100.000), 13,5-mal höher als in Südkorea (2 pro 100.000), 10-mal höher als in Thailand (2,65 pro 100.000) und immerhin noch 5-mal höher als in Japan (5,47 pro 100.000) (s. Abb. 10; Ferlay et al. , 2000).
Abb. 10: Altersstandardisierte Prostatakrebssterblichkeit nach WHO-Daten (Ferlay et al. , 2000)
Die Überlebensvorteile der Asiaten verschwinden nach einer Migration in westliche Länder und der Übernahme eines westlichen Ernährungsmusters. Chinesen und Japaner in den USA wiesen in den 1980er Jahren, also vor der Einführung des PSA-Tests als möglicher Störfaktor, eine wesentlich höhere Prostatakrebsinzidenz auf als ihre Landsleute im Heimatland (Muir et al. , 1991). Auch in Asien selbst ist durch die zunehmende Verwestlichung bereits eine starke Zunahme der altersstandardisierten Prostatakrebssterblichkeit festzustellen. Die
Zunahme ist umso größer, je früher und intensiver die Verwestlichung einsetzte, was sich an den Zahlen Japans und der Philippinen zeigt. Die besonders stark verwestlichten Philippinen lagen im Jahr 2000 mit einer Sterblichkeitsrate von 11/100.000 nicht mehr weit entfernt von den USA und Deutschland mit jeweils 18/100.000 (Ferlay et al. , 2000). Die altersstandardisierten Prostatakrebsraten sind in den westlichen Ländern rückläufig (von 2000 bis 2008), während sie in Asien steigen. Den Rückgang der Prostatakrebsmortalität in den letzten zehn Jahren in den westlichen Ländern verursachen wahrscheinlich insbesondere verbesserte Therapien und eine verbesserte Früherkennung durch den PSA-Test (Collin et al. , 2008; Etzioni et al. , 2008). Für den Anstieg in Asien wird die allgemeine Verwestlichung der Länder verantwortlich gemacht, insbesondere der stark steigende Konsum von tierischen Fetten und Proteinen, die Zunahme von Übergewicht und die abnehmende körperliche Aktivität (Baade et al. , 2009).
Dieses Kapitel soll die These untermauern, dass die lebenslange Ernährungs- und Lebensweise die maßgeblichen Faktoren bei der Entwicklung des Prostatakarzinoms sind. Entscheidend ist hierbei nicht nur, was Prostatakrebskranke die letzten Jahre vor ihrer Erkrankung gegessen haben, sondern vielmehr ihr lebenslang praktiziertes Ernährungsmuster, das zur Entwicklung des Karzinoms beigetragen hat.
Weltweit korreliert das westliche Ernährungsmuster mit vielen Fleisch- und Milchprodukten sowie viel Zucker durchweg mit einer hohen Prostatakrebsmortalität, während das asiatische Ernährungsmuster auf Basis von Reis, Sojabohnen und Gemüse mit einer sehr niedrigen Mortalität einhergeht (s. Tab. 3, Seite 77).
Traditionelle Ernährung in Okinawa
Die Ernährungsweise in asiatischen Ländern war ursprünglich sehr arm an tierischem Protein aus Milch und Fleisch. Die Bewohner von Okinawa stellten lange Zeit die langlebigste Population der Welt dar. Traditionell (1949) verzehrten sie pro Tag 15 g Fisch, nur 3 g Fleisch und so gut wie keine Milchprodukte (Willcox et al. , 2007). Dementsprechend lag der Wert für die Proteinaufnahme aus tierischen Lebensmitteln bei lediglich 3,3 g pro Tag, die Proteinzufuhr aus pflanzlichen Lebensmitteln betrug dagegen 35,7 g. Das pflanzliche Protein stammte zu einem großen Teil aus Sojabohnen, die große Mengen an Isoflavonen enthalten. Isoflavone tragen aufgrund ihrer phytoöstrogenen Wirkung zum Schutz vor Prostatakrebs und Brustkrebs bei. Dennoch kann dies alleine die extrem niedrige Krebsrate nicht erklären. Wesentliche Merkmale der Okinawa-Ernährung waren immer auch reichlich Gemüse, Süßkartoffeln (Carotinoide), Tofu (Isoflavone), Kräuter, Gewürze (z. B. Kurkuma mit Curcumin) und Grüntee (Polyphenole wie z. B. Catechine) sowie insgesamt eine Ernährung mit einer relativ geringen Gesamtenergieaufnahme (Kalorienrestriktion), hoher Vitalstoff- und niedriger Kaloriendichte (Willcox et al. , 2007). Mitte der 1990er Jahre war die absolute, nicht altersstandardisierte Prostatakrebsmortalität für Japaner (8/100.000) übrigens doppelt so hoch wie für die Männer auf Okinawa (4/100.000), obwohl diese älter wurden (Japan Ministry of Health and Welfare 1996, www.okicent.org). Okinawa liegt geografisch näher bei China und Taiwan als bei Japan – und dies gilt auch kulturell. Erst 1872 fiel es politisch Japan zu.
Traditionelle Ernährung in China
Auch in China wurden traditionell wenig Fisch und Fleisch sowie praktisch keine Milchprodukte konsumiert. Der Verzehr von Fleisch ist jedoch in den letzten zwei Jahrzehnten drastisch um mehr als das 14-Fache angestiegen, beträgt aber immer noch nur etwa die Hälfte des westlichen Niveaus (Brown, 2009). Nach wie vor werden wenig Milchprodukte verzehrt, auch wenn der Trend neuerdings stark steigend ist. Der Fischkonsum hat sich seit den 1990er Jahren in etwa vervierfacht. Allem Anschein nach folgt China mit einigen Jahrzehnten Verzögerung dem Beispiel Japans, dessen Verwestlichung in den 1960er Jahren begann und dessen Prostatakrebsmortalität im Jahr 2008 altersstandardisiert um 150 % höher lag als in China, Vietnam oder Thailand (Ferlay et al. , 2010). Allerdings erfolgt die Verwestlichung Chinas schneller und intensiver als in Japan, was sich bereits in rapide steigenden Zahlen für Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen äußert. Die altersstandardisierte Prostatakrebsmortalität ist in China seit 2000 bereits um 80 % gestiegen (Ferlay et al. , 2000 und 2010).
Traditionelle Ernährung in Japan
The Cambridge World History of Food (2000) berichtet, dass Japan auf eine sehr alte Ernährungskultur ohne Fleisch- und Milchprodukte zurückblickt. Von 675 n. Chr. bis in das 15. Jahrhundert war das Essen von Säugetieren weitestgehend staatlich verboten – man nahm die Gewaltlosigkeit der buddhistischen Lehre ernst. Daher gab es auch keine Tierzucht. Milchprodukte konnten sich auch danach nie in Japan, China oder Korea etablieren, da die Laktoseintoleranz in diesen Ländern weit verbreitet ist. Die Betonung der japanischen Küche lag darauf, den natürlichen Geschmack der Lebensmittel zu bewahren. Frischkost galt als Devise, auch Fisch wurde häufig roh verzehrt. Insgesamt basierte die japanische Ernährung auf fettarmer, pflanzlicher Kost mit Fischbeigabe. Dies hat sich im Zuge der Verwestlichung Japans seit dem 2. Weltkrieg zunehmend verändert, auch wenn besonders die älteren Japaner noch an ihren alten Ernährungsmustern festhalten, viel Wert auf eine schlanke Linie legen und besonders lange leben.
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