Der Ansatz, dem Kolts folgt, ist der Compassionate Mind Approach. Wenn man Mitgefühl weckt und sich davon leiten lässt, wird es unsere Aufmerksamkeit, die Gedanken und Gefühle und unser Verhalten beeinflussen – mit anderen Worten, wie unser Geist als Ganzes funktioniert. Der Compassionate Mind Approach geht auf viele andere gut entwickelte Ansätze zurück, darunter auch auf buddhistische Traditionen. Außerdem wurzeln Formen des Compassionate Mind Approach – besonders die, die Teil der CFT bilden – in einem wissenschaftlichen Verständnis davon, wie unser Geist funktioniert. Ohne Zweifel wird sich in Zukunft unser wissenschaftliches Verständnis erweitern und verbessern. Etwas, was sich nicht verändern wird, ist hingegen die Tatsache, dass Freundlichkeit, Wärme und Verstehen immer eine große Hilfe sind. In diesem Buch werden Ihnen diese Qualitäten immer wieder begegnen, sodass auch Sie lernen werden, verständnisvoll, unterstützend und freundlich, aber auch offen und mutig zu sein, wenn Sie mit Ihrer Wut arbeiten.
Viele Menschen leiden stumm und im Verborgenen an einer Vielzahl von Problemen mit Wut und Frustration – manche empfinden deswegen Scham oder, weil sie so empfinden, Ärger, andere haben manchmal Angst, Wut und Frustration könnten die Oberhand gewinnen. Leider hält Scham viele davon ab, Hilfe zu suchen. Wenn wir aber unser Herz für Mitgefühl öffnen, können wir die ersten Schritte tun, auf neue Weise mit unseren Problemen umzugehen. Meine mitfühlenden Wünsche begleiten Sie auf Ihrer Reise.
Paul Gilbert
August 2011
Einleitung
In diesem Buch wird ein neues Modell vorgestellt, mithilfe dessen man Wut verstehen und mit ihr arbeiten kann. Es beruht auf einem neuen Ansatz, der von Paul Gilbert, einem bekannten britischen Psychologen, entwickelt wurde. Gilberts Compassionate Mind Approach geht davon aus, dass wir zunächst Kenntnisse von der Funktionsweise unserer Psyche haben müssen, wenn wir effektiv mit ihr arbeiten wollen. Die Compassion Focused Therapy (CFT), die therapeutische Methode, die aus diesem Ansatz hervorgegangen ist, stellt wirkungsvolle Strategien für die Arbeit mit schwierigen Emotionen wie z. B. Wut bereit und dafür, wie wir uns in Richtung auf ein glücklicheres und gesünderes Leben entwickeln können. Wir werden uns in diesem Buch intensiv mit Mitgefühl befassen, aber im Hintergrund steht immer die Erkenntnis, dass wir alle glücklich sein und Leiden vermeiden wollen. Kombiniert mit der Sensibilität für die Unvermeidlichkeit von Leiden und einer Motivation, zu helfen, Leiden in uns und in anderen Menschen zu erleichtern, bildet diese Einsicht die Grundlage dafür, wie man mit Mitgefühl in der Welt sein kann. Mitgefühl spielt seit Langem im Herzen verschiedener spiritueller Traditionen eine zentrale Rolle, vor allem im Buddhismus. In der Psychologie hat es aber historisch eine viel weniger formale Stellung eingenommen, als man erwarten könnte, wenn man bedenkt, dass professionelle Helfer auf dem Gebiet der psychischen Gesundheit den größten Teil ihrer Zeit darauf verwenden, Patienten zu helfen, mit Leiden zu arbeiten.
Viele Menschen, die in solchen Berufen arbeiten, beginnen zu verstehen, dass Mitgefühl eine wichtige Rolle bei der Arbeit mit schwierigen Emotionen spielen kann. Ferner belegt die Forschung, die aus der gemeinsamen Anstrengung westlicher Psychologen und buddhistischer Mönche hervorgeht, dass Mitgefühl potentiell auch helfen kann, Teile des Gehirns zu stärken, die für die Regulierung von Emotionen wichtig sind. Besondere Therapieformen bilden sich heraus, die die Kultivierung von Mitgefühl mit sich selbst und mit anderen einsetzen, um Menschen zu helfen, mit den Schwierigkeiten des Lebens umzugehen.
Dieses Buch verwendet die CFT, um Ihnen zu helfen, mit Ärger und mit Wut umzugehen, die auf der Reaktion des Gehirns auf reale oder vorgestellte Bedrohungen und Gefahren und auf unseren frühen Erfahrungen beruhen. Es will Ihnen helfen, Scham wegen Ihrer schwierigen emotionalen Erfahrungen aufzugeben und stattdessen Verantwortung für sie zu übernehmen. Gemeinsam werden wir Möglichkeiten finden, mit diesen Emotionen zu arbeiten und Strategien zu entwickeln, die Ihnen helfen, mit Ihrer Wut umzugehen. Wir werden viele Praktiken und Techniken kennenlernen, die Ihnen helfen werden, Ihre Beziehung mit Ihren Emotionen, mit Ihren Lebenserfahrungen und mit anderen Menschen zu verändern. Sie können lernen, freundlicher mit sich selbst und mit anderen zu sein und mit Ihrer Wut so zu arbeiten, dass sie Ihr Leben, so wie Sie es gern leben möchten, nicht mehr stört.
Die CFT greift auf Mitgefühlspraktiken zurück, die seit Tausenden von Jahren verwendet werden, aber sie nutzt auch das wissenschaftliches Verständnis davon, wie der Geist und die Psyche funktionieren. Sie greift auf die evolutionäre Psychologie zurück, die unsere Hirnfunktionen vor dem Hintergrund unserer evolutionären Geschichte betrachtet (das heißt, wie wir so wurden, wie wir sind), und hilft uns so, den Sinn einiger manchmal sehr frustrierender Aspekte unseres Verhaltens zu verstehen. Die CFT profitiert auch von der sogenannten „affektiven Neurowissenschaft“, die uns hilft, unsere emotionalen Erfahrungen in Verbindung mit den Vorgängen in unserem Gehirn zu verstehen. Auf der Grundlage dieser Ansätze vertritt das Compassionate-Mind-Modell (auf dem die CFT beruht) die Auffassung, dass Mitgefühl sowohl einzigartig als auch wirkmächtig ist: Es ist einfach gut für uns, wie der Dalai Lama meint, wenn wir Mitgefühl kultivieren. Es ist auch die einzig sinnvolle Reaktion, wenn wir bedenken, wie schwer zusammenpasst, wie sich unser Gehirn entwickelt hat, um mit bestimmten Bedrohungen und Gefahren umzugehen, und wie wir jetzt in einer Welt leben, die uns mit ganz anderen Arten von Gefahren und Bedrohungen konfrontiert.
In den ersten drei Kapiteln dieses Buches betrachten wir Wut aus der Perspektive der CFT. Wir beginnen, Wut als das Produkt der Systeme zur Regulierung von Emotionen zu verstehen, die sich über Millionen von Jahren entwickelt haben. Wir werden beschreiben, wie diese uralten Systeme mit unseren Fähigkeiten interagieren können, zu denken und zu fantasieren (oder zu imaginieren), und uns in Zyklen von Wut und Feindseligkeit halten und blockieren können. Wir werden auch andere Systeme zur Regulierung von Emotionen kennenlernen, die uns helfen können, Wut und starke Aggression mit anderen Emotionen auszugleichen und Kontrolle darüber zu gewinnen, wie wir denken und fühlen. Später werde ich die Konzepte von Mitgefühl und vom mitfühlenden Selbst und eine Reihe von Übungen vorstellen, mit denen man mit Wut arbeiten kann, um einen ruhigen, zuversichtlichen, weisen und mitfühlenden Geist zu kultivieren.
Einige Praktiken und Ansätze, die in diesem Buch verwendet werden, sind für die CFT typisch und manche kennen Sie vielleicht schon. Zum Beispiel stammen das Selbstbehauptungstraining und Techniken zur Veränderung der Weise, wie man denkt, aus der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT). Bei der CFT geht es nicht darum, das Rad neu zu erfinden. Vielmehr stellt sie uns eine Möglichkeit zur Verfügung, wie wir uns selbst transformieren können und die mit sehr wirksamen und etablierten Methoden der Veränderung kompatibel ist. Gleichzeitig fügt sie etwas Neues hinzu: ein mitfühlendes Verständnis davon, wie unser Geist funktioniert. Unser Ziel ist es, das mitfühlende Selbst (Compassionate Self) zu entwickeln, sodass wir auf eine Weise mit den Schwierigkeiten des Lebens umgehen können, die uns ermöglicht, unsere Wut zu kontrollieren, statt von ihr kontrolliert zu werden.
Meine Einführung in dieses Thema entstand als Folge meiner Beschäftigung mit meiner eigenen Wut. Viele meiner Studenten haben mir in meinen Psychologieseminaren erzählt, dass sie eines Tages Kinder haben möchten. Ich habe dann oft geantwortet: „Wenn Sie ein guter Vater (oder eine gute Mutter) sein möchten, dann versuchen Sie, selbst zu so einem Menschen zu werden, wie Sie es auch Ihrem Kind wünschen. Kultivieren Sie in sich selbst die Eigenschaften, die Sie Ihrem Kind wünschen.“ Wenn Sie möchten, dass Ihr Kind freundlich ist, dann lernen Sie, Menschen freundlich zu behandeln. Wenn Sie wollen, dass es mit schwierigen Umständen gut umgehen kann, dann lernen Sie selbst, sich solchen Situationen zu stellen. Die Idee ist, dass Kinder dadurch lernen, das Leben zu bewältigen, dass sie mit den Menschen interagieren und die Menschen beobachten, die ihnen nahe sind. Wie wir uns gegenüber unseren Kindern und in ihrer Umgebung verhalten, hat mehr Einfluss auf ihren Charakter, als wenn wir ihnen nur sagen, wie sie sich verhalten oder nicht verhalten sollten.
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