Das ist, was Traumaüberlebende brauchen, wenn sie sich mit einem nicht integrierten Trauma auseinandersetzen. Sie müssen in die Lage versetzt werden, ihre Aufmerksamkeit auf fordernde Stimuli zu richten und gleichzeitig ein gewisses Maß an Gewahrsein für den größeren Kontext zu behalten. Wenn sie einen Flashback erleben, müssen sie wissen, dass sie in diesem Augenblick lediglich ein vergangenes Trauma wiedererleben, statt tatsächlich wieder in der betreffenden Situation zu stecken. Der so geschaffene innere Raum kann gerade ausreichen, um kontinuierliche Überforderung zu vermeiden.
Lassen Sie uns zu Nick zurückkehren. Wenn er von seinem Vater sprach, fing sein Herz an, unkontrolliert zu rasen. Nach einer Minute war er nicht mehr in der Lage, sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren. Seine Atmung beschleunigte sich, er konnte keinen Augenkontakt mehr herstellen, er fühlte sich überwältigt und in Gefahr. Er war in einer anderen Zeit, in einer Situation, die ihn in Panik versetzte. Ich bat Nick, sich im Raum umzusehen und verschiedene Objekte zu benennen – das Gemälde an der Wand, das Bücherregal in der Ecke, die Grünpflanze neben dem Fenster. Dies ist eine Orientierungsübung, um Traumaüberlebenden wieder in die Gegenwart zurückzuhelfen. Dann forderte ich Nick auf, wahrzunehmen, dass sein Vater nicht im Raum war. Sobald er das getan hatte, ließ ich Nick eine Reihe von Sätzen wiederholen, die sein duales Gewahrsein unterstützen sollten. „In diesem Augenblick“, sagte Nick schließlich, „spüre ich, dass mein Herz rast, weil ich an meinen Vater denke. Gleichzeitig sehe ich mich um und erkenne, dass mir in diesem Zimmer, in diesem Moment, keine direkte Gefahr droht.“ *Schließlich nahm er wieder Augenkontakt zu mir auf, und ich konnte erkennen, dass er zurückgekehrt war. Er wusste, dass er sich in der Gegenwart befand und dass er einen Flashback erlebt hatte. „Genau das passiert mir zu Hause“, sagte er, „aber nie schaffe ich es, innezuhalten und zu realisieren, was tatsächlich geschieht.“
In ihrer Beschreibung des dualen Gewahrseins unterscheidet Rothschild zwischen dem beobachtenden Selbst und dem erlebenden Selbst. Das erlebende Selbst ist unser inneres Gefühl des Traumas – für Traumaüberlebende häufig die starken viszeralen Anzeichen von traumatischem Stress. 67Also Nicks erlebendes Selbst im Alarmzustand, mit rasendem Herz und flachem, schnellem Atem. Das beobachtende Selbst hat währenddessen etwas Abstand zum Erlebnis. Wir werden Zeuge des Ereignisses, statt von ihm überwältigt zu werden. Nicks beobachtendes Selbst meldete sich zurück, als er verstand, was mit ihm geschah. Er wusste, dass er nicht vor seinem Vater stand, sondern in meiner Praxis war und eine traumatische Erinnerung durchlebte.
Achtsamkeit stärkt das beobachtende Selbst und darüber hinaus die Kapazität des dualen Gewahrseins. Mit Übung können Traumaüberlebende lernen, Zeuge ihrer Erfahrung zu werden, ohne sich mit ihr zu identifizieren. Durch das Gewahrsein zweier simultaner Dinge – und mithilfe erfahrener Anleitung – können sie traumatische Stimuli erleben, während sie mit einem Fuß fest im gegenwärtigen Augenblick verwurzelt bleiben.
KONFRONTATION
Wenn wir uns selbst überlassen sind, neigen wir typischerweise dazu, uns vom Schmerz ab- und den angenehmen Dingen zuzuwenden. Aber ein Teilaspekt beim Üben von Achtsamkeit besteht darin, sich gezielt dem auszusetzen, was in unserem Bewusstseinsfeld geschieht, sei es angenehm oder unangenehm. Egal ob wir Tagträumen über unsere nächste Mahlzeit nachhängen oder ob wir einen stechenden Schmerz in unserer Schulter spüren, wir bleiben präsent. Wir lassen, was auch immer gerade geschieht, Einfluss auf uns nehmen – hier und jetzt. Für viele Meditationsanfänger kann sich das sperrig anfühlen, aber Achtsamkeit funktioniert anders. Wir wenden uns dem Entstehenden zu und nicht von ihm ab.
Manche Autoren haben Parallelen zwischen diesem Prozess des Sich-Zuwendens und der Konfrontationstherapie gezogen – eine weitverbreitete Technik der Verhaltenstherapie, die Menschen dabei helfen soll, sich mit ihren Ängsten auseinanderzusetzen. 68Entwickelt von Edna Foa, einer Professorin, die sich auf die Behandlung von Angstzuständen spezialisiert hat, werden Klienten in der Konfrontationstherapie bestimmten Stimuli ausgesetzt, mit dem Ziel, ihre übermäßige Angst besser bewältigen zu können. 69Wie bei der Achtsamkeit werden Menschen dazu ermutigt, sich den schwierigen Dingen zu stellen. Jemand, der Angst vor Hunden hat, kann sich in Übungen einen Hund vorstellen – oder sich sogar physisch mit einem Hund konfrontieren. Dies findet üblicherweise in einem neutralen Raum statt, in dem der Klient normalerweise damit anfängt, sich einen Hund vorzustellen, sich Bilder anzusehen und sich langsam an die tatsächliche Konfrontation mit einem Hund heranzutasten.
Konfrontationstherapie ist eine der am besten untersuchten Methoden bei der Behandlung von PTBS. Obwohl die Forschung gezeigt hat, dass sie bei der Behandlung von PTBS effektiv ist, ist sie umstritten: die Abbruchrate ist tendenziell hoch, und nur ein Drittel der Personen, die an den Studien teilnahmen, wiesen einige Verbesserungen ihrer Traumasymptome auf. 70Ob Konfrontationstherapie die Traumasymptome auslöscht oder schlicht die emotionale Sensitivität abstumpft, ist ebenfalls eine wichtige Frage. 71Was ich hier sagen möchte, ist, dass Konfrontation eine Rolle beim Üben von Achtsamkeit spielt und idealerweise die eigene Toleranz gegenüber traumarelevanten Stimuli erhöht, was wiederum bei der Integration des Traumas helfen kann.
Eines Nachmittags, als Nick mit Connor auf dem Spielplatz war, wurde er durch den Anblick eines Vaters, der seinen Sohn heruntermachte, getriggert. Nick spürte, wie in seinem Bauch Wut und Angst aufwallten. Er verspürte das starke Bedürfnis, zu dem Vater hinüberzugehen und ihm einen Kinnhaken zu verpassen. Aber dann hielt Nick inne. Er atmete tief ein und schloss die Augen, während er auf der Parkbank saß. Auch wenn es ihm viel abverlangte, seine Emotionen und Empfindungen zu tolerieren, waren sie doch auszuhalten. „Dranbleiben“, sage er sich selbst. „Renn vor diesen Gefühlen nicht davon.“ 72Er erlaubte sich selbst, die Hitze in seinem Magen zu spüren und die Panik, die ihm durch die Schultern schoss. Nach einer Minute öffnete Nick seine Augen. Er sah sich im Park um und sah Connor glücklich im Sand spielen. Er fühlte sich mitgenommen, aber präsent. Achtsamkeit hatte anscheinend seine Fähigkeit erhöht, Gefühle, die einst zutiefst quälend gewesen waren, zu tolerieren.
Wie ich in Kapitel 5 zeigen werde, ist diese Form der Konfrontation nur dann von Nutzen, wenn die Person das, womit sie konfrontiert ist, auch aushalten kann. Wenn Nick achtsam mit seiner extremen Wut umgegangen und dann von ihr übermannt worden wäre, hätten schlichte Achtsamkeitsanleitungen wahrscheinlich nicht mehr ausgereicht. Er hätte etwas anderes gebraucht. Aber Konfrontation kann Traumaüberlebenden einen konstruktiven Dienst erweisen, wenn sie in einer sicheren Umgebung mit Achtsamkeit gepaart wird.
EIN ZWEISCHNEIDIGES SCHWERT
Bis jetzt habe ich mich ausschließlich auf den potenziellen Nutzen von Achtsamkeit für Traumaüberlebende konzentriert. Die drei Komponenten der Selbstregulation – Aufmerksamkeitsregulation, Körpergewahrsein und emotionale Regulation – sowie duales Gewahrsein und Konfrontation helfen alle, unsere Kapazität für Traumaintegration zu erhöhen. Aber wie steht es um die allgemeineren Risiken von Achtsamkeit? Wie ich bereits angedeutet habe, gibt es im Zusammenhang mit Trauma bestimmte Risiken, derer wir uns als Teil unserer Meditationspraxis bewusst sein müssen.
Um dies weiter zu verdeutlichen, lassen Sie uns zu Nick zurückkehren. An einem frühen Abend, als Tara und Connor fort waren, um Taras Familie zu besuchen, setzte sich Nick auf den Wohnzimmerboden, deckte sich mit einer Decke zu und beschloss, Einzelmeditation auszuprobieren. Er begann mit einigen einfachen Anleitungen, die er online gefunden hatte: Er konzentrierte sich auf seinen Atem und nahm sich vor, zu seinem Atem zurückzukehren, wann immer sein Geist zu wandern begann. Zehn Minuten später wurde Nick jedoch von extremer Unruhe erfasst. Er erlebte eine Reihe von gewohnten Flashbacks mit seinem Vater und dem Gefühl, in Gefahr zu sein. Immer wieder öffnete er seine Augen, um sich zu vergewissern, dass niemand im Raum war, aber sobald er die Augen wieder schloss, kamen die verstörenden Bilder sofort zurück.
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