Jedes Regal stellt einen bestimmten Bereich dar (siehe Kapitel 1):
praktisches Leben
sensorisches Leben
Sprache
Mathematik
Entdeckung der Welt
Innerhalb dieser großen Bereiche sind die Aktivitäten von einfach nach schwierig geordnet, von links nach rechts und von oben nach unten. Das einfachste Material befindet sich also oben links. Deshalb müssen die Regale ausreichend niedrig sein, damit das Kind sie erreichen kann. Das komplizierteste Material befindet sich unten rechts.
Diese Ordnung wird vom Kind unbewusst übernommen und gestattet ihm, beim Lernen selbstständig zu handeln. Tatsächlich weiß es, dass es zum nächsten Material übergehen kann, wenn es das vorhergehende, das sich links davon befindet, beherrscht. Das Kind muss also nicht warten, bis ihm ein Erwachsener erklärt, welche Aktivität für sein Niveau geeignet ist, sondern weiß ganz von selbst, wozu es in der Lage ist, und kann völlig selbstständig arbeiten.
Der Begriff des Kinderhauses, den Maria Montessori zur Beschreibung ihrer Schulen gewählt hat, passt ganz perfekt (siehe Kapitel 3). Ein Montessori-Klassenzimmer sieht aus wie ein echtes Haus, das an die Bedürfnisse und die Größe des Kindes angepasst ist. Das Kind kann sich darum kümmern, es sauber zu halten, den Tisch decken, die Möbel umstellen und so weiter.
Man braucht kein Spielzeug, das die Mentalität der Erwachsenen widerspiegelt, wenn man den Kindern Miniaturreproduktionen der alltäglichen Gegenstände bereitstellt. Maria Montessori hat anhand zahlreicher Beispiele gezeigt, dass Kinder eher von Dingen begeistert sind, die an ihre Größe angepasst sind, als von Spielzeug. Die Gegenstände, die den Kindern bereitgestellt werden, sind einfach, aber sie gestatten ihnen, ernsthaft damit zu arbeiten, ähnlich wie die Erwachsenen.
Das Kind muss in seiner Umgebung alles für seine intellektuelle Entwicklung erforderliche Material finden, was notwendigerweise Bewegung beinhaltet.
Schöne Dinge
Montessori-Klassenzimmer sind häufig hell und gut beleuchtet. Die Wände sind kaum dekoriert, um die Kinder nicht von ihrer Arbeit abzulenken. Die Kinder können kleine Blumensträuße aufstellen, die sie selbst gepflückt haben. Diese Zimmer sind schön gestaltet, damit die Kinder gerne dort hingehen, um zu arbeiten. Sie entsprechen dem grundlegenden Bedürfnis des Kindes, sich mit Schönem, Ästhetischem zu umgeben. Auch die Schule ist ein Ort, an dem man die Liebe für schöne Dinge entdeckt.
Psssssssssssst, es wird gelernt!
In den Montessori-Klassen gibt es keine lehrergeführten Stunden mehr. Damit gibt es auch keinen Lehrer und keine Lehrerin mehr, die ihre Stimmen erheben, um sicherzustellen, dass ihre Autorität anerkannt wird, und dass die Kinder nichts anderes tun, als ihnen zuzuhören. Im Gegenteil, wenn der Erzieher eingreifen muss, dann macht er dies flüsternd, und seine Präsentation der Materialien ist völlig individuell.
Jedes Kind widmet sich seiner Aufgabe. Wenn die vom Kind gewählte Arbeit einem seiner tiefen Bedürfnisse entspricht, wird es sich ganz darauf konzentrieren, um sie so gut wie möglich auszuführen. Jedes ist deshalb völlig in seiner eigenen Aufgabe versunken, und es muss keinerlei Unruhe entstehen. Es handelt sich also keinesfalls um Zustände wie auf dem Basar, wie sich ablehnende Eltern die Methode gerne vorstellen!
Maria Montessori erkannte auch, wie sehr das Kind die Stille schätzt, deshalb erfand sie viele Spiele rund um die Stille. Diese ruhige und stressfreie Atmosphäre ermöglicht es dem Kind auch, sich auf sich selbst zu konzentrieren und besser zu verstehen, wer es ist, wie es sich fühlt und was es braucht. Sich selbst gut zu kennen, ist von größter Bedeutung, um erfüllt aufzuwachsen. Stille ist ein grundlegendes Element der Montessori-Atmosphäre.
Eine ruhige Umgebung für die Konzentration
Maria Montessori hat verstanden, dass ein Wesen, das sich zu konzentrieren weiß, sein Lernen in den Vordergrund stellt. Wer als Kind und später als Erwachsener trotz Schwierigkeiten an seiner Arbeit bleibt, kann eigene Lösungen finden. Die Fähigkeit der Konzentration ist die Basis allen Lernens. In einer ruhigen und aufgeräumten Umgebung können sich Kinder selbst im jüngsten Alter lange konzentrieren. Dies gelingt schon einem Baby für mehrere Minuten, wenn die Umgebung vom Erwachsenen geeignet vorbereitet wurde (siehe Kapitel 3).
Den Ausgangspunkt für die Spiele um die Stille stellt ein Ereignis dar, das im ersten Kinderhaus in San Lorenzo stattgefunden hat. Maria Montessori kam mit einem 4 Monate alten Baby in das Klassenzimmer und fragte die Kinder, ob sie genauso leise sein könnten wie dieses Baby, von dem man nur ein leichtes Atmen hörte. So begann alles: Die Kinder hatten Spaß an dieser Herausforderung.
Anschließend hat Maria Montessori weitere Aktivitäten zum Thema Stille eingeführt. Eine davon besteht darin, alle Kinder nacheinander zu rufen, indem ihr Name geflüstert wird. Sie müssen sehr aufmerksam sein, um zu erkennen, wann sie zum Erzieher kommen sollen. Eine weitere Übung ist, die Kinder bei einer Versammlung im Kreis oder in einer Ellipse zu bitten, auf alle Umgebungsgeräusche zu achten. Sie sind dann sehr konzentriert und freuen sich, die verschiedenen Geräusche zu hören.
Lernen, auf der Linie zu gehen
Wenn man in ein Montessori-Klassenzimmer kommt, entdeckt man häufig eine Linie in Form eines Kreises oder einer Ellipse auf dem Boden. Diese Linie hat eine ganz bestimmte Bedeutung. Sie gestattet den Kindern, allgemeine Übungen für die Motorik durchzuführen, wie beispielsweise »auf der Linie gehen«. Die gemeinsame Versammlung findet ebenfalls auf der Linie statt. Die Kinder sitzen der Größe nach geordnet auf dieser Linie, ruhig und konzentriert, und tauschen sich mit dem Erzieher über verschiedene Themen aus.
Die Mischung der Altersgruppen
Ein weiterer grundlegender Aspekt in einer Montessori-Umgebung ist, dass dort Kinder unterschiedlicher Altersstufen zu finden sind. In manchen Einrichtungen findet man Kinder zwischen 0 und 3 Jahren, in den Schulen Umgebungen für 3 bis 6 Jahre, 6 bis 9 Jahre, 9 bis 12 Jahre und so weiter.
Diese Altersgruppen wurden abhängig vom Entwicklungsstadium des Kindes gewählt. Die jüngsten, die alles beobachten, was in ihrer Umgebung passiert, lernen viel und kommen voran, wenn sie sehen, was die älteren Kinder machen. Häufig werden sie dazu angeregt, sich ein Ziel zu setzen, weil sie stimuliert werden, und zwar ganz nach ihren eigenen Interessen, und nicht, weil ein Erwachsener sie anleitet. Durch die Beobachtung der größeren Kinder wissen sie häufig schon, wie mit bestimmtem Material umzugehen ist, ohne dass sie dazu die Hilfe des Erwachsenen benötigen. Wenn sie einen Kameraden bei einer Aktivität beobachten, wie beispielsweise Lesen zu lernen oder bestimmte Aufgaben zu erledigen, empfinden sie dieses Ziel als leicht erreichbar, und sie sehen klar, welche Etappen notwendig sind, um es zu erreichen.
Die größeren wiederum lernen Sensibilität und respektieren den Unterschied aufgrund des Alters der Jüngeren. Sie sind sich bewusst, dass sie mit gutem Vorbild vorangehen müssen, weil die Jüngeren ihre Handlungen oft nachmachen. Das ist sehr wichtig für sie, weil sie wissen, dass sie eine Aufgabe haben, einen Einfluss auf andere menschliche Wesen. Sie freuen sich, den Jüngeren zu helfen, sie zu begleiten und ihnen zu zeigen, wie Dinge gemacht werden.
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