Die Umgebung des Kindes und das Haus müssen deshalb gut durchdacht sein und an das Kind angepasst werden, damit es seine Persönlichkeit frei ausdrücken kann. Ohne dass Probleme im Hinblick auf seine Sicherheit entstehen, und ohne dass jemand es bremst, weil es »zu klein« oder »zu schwach« für das ist, was es selbst für möglich hält.
Das Kind als Person
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben die Hygiene-Fortschritte die Kindersterblichkeit deutlich verringert. Bei Kindern unter einem Jahr nahm diese noch mehr ab, weil die Gesellschaft begann, den Kindern mehr Bedeutung zuzumessen. Man fing an, Spielplätze, Parks, Bücher, Möbel oder Reisen an Kinder anzupassen. Das Kind war präsenter als zuvor. Bis zu diesem Zeitpunkt nahm das Kind keinen Platz ein, weder in der Gesellschaft noch in der Familie, und die Schule war nicht an seine Bedürfnisse angepasst. Es war eher eine Last für den Erwachsenen, der immer mehr mit seinen Aufgaben und seiner Arbeit beschäftigt war. Das Haus war auf die Bedürfnisse der Erwachsenen ausgelegt, und das Kind musste um Erlaubnis bitten, wenn es sich frei bewegen und Zugang zu Dingen erhalten wollte, die es interessierten.
Eine vorbereitete Umgebung von Geburt an
Die Umgebung muss für das Kind ab seiner Geburt gut durchdacht werden. Es geht nicht nur darum, dass es dem Baby gut geht, dass die Mutter nicht zu sehr unter dem Babyblues leidet, oder die modernste Wiege gekauft wird, die es gibt. In der Montessori-Pädagogik geht es darum, das Neugeborene unter optimalen Bedingungen zu empfangen (siehe Teil III).
Die Geburt ist ein völliger Umbruch. Es muss ausreichend warm sein, damit es dem Kleinen gut geht, das Licht darf nicht zu hell sein, um die Augen des Babys nicht zu überlasten, das 9 Monate im Halbdunkel gelebt hat. Auch der Umgebungslärm muss so weit wie möglich gedämpft werden und die Menschen in seiner Umgebung sollten möglichst sanft sprechen, um die Ohren des Babys nicht zu erschrecken. Die ersten Kontakte sind von größter Wichtigkeit. Das Baby soll also nicht sofort in vertikale Position gebracht, sondern sanft und vorsichtig behandelt werden. Es sollte so lange wie möglich in Kontakt mit seiner Mutter bleiben, die nicht lebenswichtige Versorgung kann später erfolgen. Anschließend ist es wichtig, dass das Baby in einer ruhigen, vorbereiteten Umgebung bleibt, in weiche und angenehme Stoffe eingehüllt.
Nach Maria Montessori ist als Umgebung des Neugeborenen ein zentraler Ort festzulegen. Sie hielt die Geburt für die schwierigste Existenzkrise schlechthin, die es zu überwinden gilt. Das Kind kommt sehr plötzlich auf die Welt, wobei es innerhalb kürzester Zeit aus dem sicheren Bauch der Mutter an die Luft gelangt. Und doch ist es das Kind, dem später die Verantwortung für die Welt, in die es geboren wird, übertragen wird. Es liegt an ihm, für ein besseres Morgen zu sorgen, also sollten wir es sehr bewusst willkommen heißen!
Aufnahmefähig wie ein Schwamm
Maria Montessori erklärt, dass das Kind unbewusst alle Informationen über seine Umgebung speichert, in sich aufnimmt wie ein Schwamm. Das heißt, es verinnerlicht direkt und nachhaltig alles, was es in seiner Umgebung vorfindet, aber auch das, was sich um es herum abspielt: die Einrichtung des Zimmers, das Verhalten der Erwachsenen, die gesprochene Sprache und so weiter. Aus diesem Grund ist es wichtig, alles vorab zu durchdenken. Der Erwachsene muss sein eigenes Verhalten gut reflektieren, weil das Kind maßgeblich von dem beeinflusst wird, was es in seiner Kindheit sieht und erlebt.
Dieses Konzept des Schwamms, der alles in sich aufsaugt, ist grundlegend für die Montessori-Pädagogik. Heute wird es von den Neurowissenschaftlern bestätigt, die festgestellt haben, dass jede Erfahrung, die das Kind erlebt, gut oder schlecht, angenehm oder unangenehm, direkt die Struktur seines Gehirns verändert. Das bedeutet, die Architektur des Gehirns eines Kindes von 6 Jahren ist fast dieselbe wie diejenige, die es als Erwachsener haben wird. Natürlich muss das Kind etwas machen, wiederholen, experimentieren, um zu begreifen, was es sieht. Jede vom Kind empfangene Stimulanz stellt eine neue Erfahrung dar, und das Kind will unbedingt dieselbe Aktivität wiederholen. Die Umgebung muss also besonders durchdacht sein, damit das Kind so viele neue angenehme Erfahrungen wie möglich machen kann, die dann wiederum die Struktur seines Gehirns positiv beeinflussen. Es muss in seiner Umgebung alles finden, was es in seinen Geist aufsaugen kann, um sich auf einem sicheren, glücklichen und inspirierenden Fundament entwickeln zu können.
Freie Bewegung für Kinder!
Maria Montessori war eine der ersten, die darüber nachgedacht hat, die Möbel an die Größe der Kinder anzupassen. Dieses Konzept war in ihrer Zeit einfach umzusetzen, und auch heute stellt dies kein Problem dar. Es ist nicht schwierig und nicht teuer, für die Größe und das Gewicht des Kindes geeignetes Material zu beschaffen.
Die Umgebung, in der das Kind leben wird, darf seine Lust auf Entdeckung nicht behindern. Maria Montessori hat sofort den althergebrachten Schultisch entfernt, weil er überhaupt nicht an den Körperbau des Kindes angepasst ist, es davon Rückenschmerzen bekommt und sich nicht bewegen kann.
Anschließend hat sie dafür gesorgt, dass die Tische und Stühle für die Kinder leicht waren, damit das Kind sie einfach an einen anderen Ort verschieben kann. So ist es in der Lage, die Möbel dort abzustellen, wo es sie zum Arbeiten braucht, und kann sich so seine Umgebung zunutze machten. Die leichten Möbel haben auch noch einen anderen Zweck für das Kind: Wenn es dagegen stößt, hört es ein Geräusch. Das veranlasst es dazu, in seinen Handlungen präziser zu sein, damit es sich nicht mehr stößt.
Das Kind ist also nicht mehr gezwungen, still zu sitzen, was seine Grobmotorik beeinträchtigt, sondern es hat die Kontrolle über seine Bewegungen und Gesten, kennt sich selbst perfekt und kann sich agil und präzise bewegen. Die Umgebung ist daher so gestaltet, dass sich das Kind frei bewegen und frei wählen kann – eine weitere Neuerung von Maria Montessori.
Kein Lehrertisch mehr!
Der Lehrertisch hat in der Montessori-Pädagogik keinen Platz mehr, da die Kinder keinen vom Lehrer vorgegebenen Unterricht erhalten. Tische und Stühle werden nicht mehr in einer bestimmten Ordnung aufgestellt. Stattdessen findet man in jedem Zimmer weniger Tische und Stühle als Kinder, weil diese die Möglichkeit haben, ihre Aktivitäten auf einem Tisch, einem Teppich oder sogar im Stehen auszuführen.
Das Königreich des Regals
In der Montessori-Pädagogik werden die dem Kind vorgeschlagenen Aktivitäten in niedrigen offenen Regalen angeboten, sodass das Kind auf den ersten Blick sieht, was es alles machen kann.
Im ersten Kinderhaus hat die Erzieherin dem Kind das Material gegeben, mit dem es arbeiten wollte, und sie hat es auch wieder weggeräumt. Maria Montessori gelangte jedoch schnell zu der Überzeugung, dass es dem Kind möglich sein sollte, seine Aktivitäten frei zu wählen und das Material selbst aufräumen zu können. Jedes Kind hat ein tiefes Bedürfnis nach Ordnung. Es ist deshalb wichtig, dass seine Umgebung immer auf dieselbe Weise aufgeräumt ist, damit es sich jederzeit zurechtfindet, gewissermaßen mit geschlossenen Augen. Damit fühlt es sich sicher und kann seine Fähigkeiten entwickeln. Andernfalls muss es ohne Unterlass versuchen, sich zu integrieren und seine Umgebung zu verstehen. Dies erfordert Zeit, sodass es sich nicht mehr auf andere Dinge konzentrieren kann. Es muss das beherrschen, wovon es umgeben ist, um es verstehen zu können.
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