Und dann die zweite Überraschung: Einen Jünger stellt man sich jung vor. Die Jünger des heiligen Antonius aber waren, in der großen Mehrheit, gestandene Männer. Auch bedeutende Männer. Was hatte sie hinausgetrieben in eine Landschaft, die im Alten Ägypten als tödlich galt?
Noch größer war die dritte Überraschung: Diese Männer, die in äußerster Entsagung draußen in der Wüste lebten, hatte sich Athanasius von Alexandrien genau so vorgestellt, wie wir sie uns vorstellen: abgezehrt und tieftraurig. Abgezehrt sahen sie wohl aus, doch zu gleicher Zeit waren sie göttlich guter Laune – „denn”, fährt Athanasius wörtlich fort, „denn da wurde keiner vom Steuereintreiber geplagt”.
„Denn da wurde keiner vom Steuereintreiber geplagt”: Das ist die historische Wirklichkeit. Nicht aus Angst vor Kleopatras ägyptischen Töchtern sind Antonius und seine Jünger in die Wüste geflohen, sondern aus Angst vor der römischen Steuerfahndung.
Im Jahr 284 war in Rom Diokletian Kaiser geworden. Diokletian war nicht nur ein böser Christenverfolger, sondern hatte, schlimmer noch, eine fatale Ähnlichkeit mit einem besonders berühmten deutschen Finanzminister. Das Wichtigste im Staat, dachte sich Diokletian, sei ein korrektes Steuerwesen. Tatsächlich gelang es ihm, den römischen Fiskus so effizient zu reorganisieren, dass von Britannien bis nach Ägypten kein einziges Steuerschlupfloch mehr blieb, keine einzige Steueroase.
Es war die totale Besteuerung und es war der wirtschaftliche Ruin des Römischen Reiches. In Gallien zuerst brach ein blutiger Aufstand verzweifelter Steuerzahler los, der die gesamte Provinz verwüstete. Das war der „Bagaudenkrieg”. Gleich danach griffen in der Provinz Afrika, das heißt im heutigen Algerien und Tunesien, die bankrotten Bürger zu den Waffen. Das war die „Revolte der Circumcellionen”.
Am schlimmsten war es in Ägypten. Dort trieben die römischen Steuerbeamten die Abgaben nicht selber ein, sondern machten in jedem Dorf die drei oder vier reichsten Bürger mit ihrem Privatvermögen haftbar für die gesamte Steuerschuld ihrer Gemeinde. Nicht etwa die armen Schlucker, vielmehr die reichen Großgrundbesitzer flohen jetzt vor dem drohenden Steuerbankrott zu Tausenden, hinaus in die Wüste. Ein solcher reicher Großbauer, berichtet Athanasius von Alexandrien, sei auch der heilige Antonius gewesen. „Dreihundert Aruren Land, fruchtbar und schön anzusehen”, habe Antonius besessen (umgerechnet etwa 80 Hektar), bevor er dem Fiskus in die Wüste entrann.
Unzählige folgten ihm nach und so gilt der heilige Antonius nicht nur als „Patriarch der Eremiten”, sondern auch, zu Recht, als „Vater des westlichen Mönchtums”. Aus seiner Eremitenstadt in der Wüste Ägyptens ist ja das ganze Klosterwesen der katholischen Kirche hervorgegangen. Und eine Ahnung steigt in uns auf: Ist vielleicht das ganze christliche Mönchtum, ja ist vielleicht, historisch-kritisch betrachtet, der ganze katholische Klerus gar nicht aus Angst vor der Frau entstanden, sondern aus Angst vor dem Finanzamt? Werfen wir, vor jedem überstürzten Urteil, einen klärenden Blick nach Rom.
Während Antonius noch immer in der Wüste saß, hatte Konstantin der Große der Christenverfolgung ein Ende gesetzt. Historisch bedeutsam war dabei gar nicht das so genannte Mailänder Edikt von 313, sondern eine Serie von Folge-Erlassen, in denen Konstantin in wahrhaft majestätischer Großzügigkeit den Priestern der Katholischen Kirche etwas gewährte, wovon alle Bürger Roms genauso träumten wie der Ägypter Antonius: völlige Steuerfreiheit.
Plötzlich herrschten mitten in Rom Zustände wie in der Wüste Ägyptens: Die gesamte christliche Elite, dort die Mönche, hier die Priester, alle waren sie auf wunderbare Weise steuerfrei geworden.
Alsbald begann in Rom ein wahrer Oklahoma-Run reicher Familienväter auf die katholische Priesterweihe. Noch gab es ja keine Zölibatspflicht. Nach jüdischem Vorbild vererbten vielmehr die meisten christlichen Priester ihrem Sohn ihr Amt. Gelang es einer reichen römischen familia , ihren pater familias – auf Deutsch gesagt ihren Papi – zum Priester weihen zu lassen, so war die ganze Familienbande hinfort steuerfrei.
Das Priestertum Jesu Christi als Steuersparmodell für reiche Papis? Einer solchen fatalen Entwicklung Einhalt geboten zu haben, ist das Verdienst der heiligen Paula. Diese unerhört mutige Frau aus dem Geschlecht der Scipionen hatte auf einer Bildungsreise nach Ägypten auch die dortigen Einsiedlerkolonien in der Wüste besucht. Dort war ihr etwas aufgefallen. Bei aller guten Laune herrschte unter den Söhnen des heiligen Antonius doch so etwas wie christlicher Ernst und echte Askese. Die klimatischen Bedingungen in der Wüste waren nämlich so streng, dass es undenkbar war, einen Haushalt mitzunehmen. Frauen, Bräute, Töchter, Söhne dieser ägyptischen Steuerflüchtlinge hatten zurückbleiben müssen in den Dörfern am Nil. Naturnotwendig lebten Antonius und seine Jünger im Zölibat. Sie waren „μοναχοι”. Daraus ist unser Wort „Mönch” geworden. Eigentlich aber heißt das griechische Wort „μοναχος” ganz einfach „Single”.
Und jetzt die geniale Idee der heiligen Paula: Warum nicht eben jene Lebensweise, die in der Wüste Ägyptens naturnotwendig war, in Rom einführen als asketisches Gesetz? Das Single-Dasein als moralisches Korrektiv gegen Übermut im neuen klerikalen Steuerparadies? Nach ägyptischem Vorbild, gegen den erbitterten Widerstand der reichen römischen Papis, setzte die heilige Paula, diese wunderbare, tapfere Frau, in Rom den Zölibat durch.
Manche halten den katholischen Klerus für eine mittelalterliche Institution. Das ist historischer Unsinn. Die mittelalterliche Klerusgeschichte ist nichts als ein mühseliger Versuch von Epigonen, das doppelte Erbe der Antike zu bewahren: einerseits Steuerfreiheit für den Klerus, anderseits, als asketisches Korrektiv dazu, den Zölibat. Der einzige originelle Kopf unter all den mittelalterlichen Bewahrern antiker Kirchenordnung ist Papst Bonifatius VIII. Am 25. Februar 1296, mit der Bulle „Clericis laicos”, verbietet er nicht nur Kaisern und Königen bei Strafe der Exkommunikation, von Priestern oder Mönchen Steuern einzutreiben. Nein, als wahrer Jünger des heiligen Antonius tut dieser großartige Papst den allerletzten Schritt: „Anathema sit” – zu ewiger Höllenstrafe verdammt sei jeder Priester oder Mönch, der sich überhaupt dazu zwingen lässt, dem Staat Steuern zu bezahlen.
Papst Bonifatius VIII war der letzte, der den historischen Durchblick besaß. Nach ihm kamen, wie gesagt, die Maler. Die mit der Gnade der späten Geburt, mit dem geringen Wissen und der blühenden erotischen Phantasie. Ganz zum Schluss kam Karlheinz Deschner. In seinem Buch „Das Kreuz mit der Kirche” schreibt Deschner wörtlich, der heilige Antonius habe in der Wüste ständig „ganze Legionen nackter Frauen” um sich gesehen. Ja ist denn Karlheinz Deschner nicht selber Manns genug, um zu wissen, dass ein einziger Beamter der Steuerfahndung ungleich gefährlicher ist als ganze Legionen nackter Frauen?
Lasset uns beten!
Heiliger Antonius von Ägypten, Patriarch der Eremiten, Mönchsvater des Westens und Schutzpatron der christlichen Steuerflüchtlinge! Aus deinem himmlischen Steuerparadies blick gnädig herab auf uns geplagte Steuerzahler des 21. Jahrhunderts. Schütze du die letzten Steueroasen der Christenheit. Schütze Luxemburg und Liechtenstein. Protect Jersey and Guernsey. Segne die Schweiz! Schenke uns, wir bitten dich, schenke nicht nur Priestern und Mönchen, sondern all den verzweifelten christlichen Steuerzahlern einen Papst, der dem Fiskus aufs Neue so furchtlos entgegentritt wie Bonifatius VIII mit seiner großartigen Bulle „Clericis laicos”. Auf dass wir alle dereinst, von irdischer Steuertyrannei erlöst, eingehen zu dir, Antonius, ins himmlische Steuerparadies .
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