Dürrer-Vogel drohte Keyaschante damit, dass man Tscheyesawin das Leben nähme, wenn irgendein Angriff von hinten erfolgen würde. Keyaschante traf daraufhin natürlich jede Vorsichtsmaßnahme, um einen möglichen Angriff abzuwehren. Manchmal ritt er in die Wälder, die gelegentlich an ihrem Weg lagen, dann wieder ritt er die Strecke zurück, die sie genommen hatten, um etwaige Spuren zu verwischen.
Immer hoffte er, dass er vielleicht die Chance hätte, vor einem möglichen Angriff mit seinen Leuten in Kontakt zu treten, damit er einen Plan zu ihrer Rettung ausarbeiten konnte.
Jede Nacht, nachdem sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, stellte der Bartlose einen Zeitplan für die Wachen auf. Keyaschante wusste, dass dieser, trotz seiner jungen Jahre, der wahre Anführer der Bande war, und Dürrer-Vogel nur ein Kundschafter.
Tscheyesa-win blieb von Keyaschante getrennt und jede ihrer Bewegungen wurde argwöhnisch beobachtet. Sie war die Versicherung dafür, dass man das Land der Teton Sioux sicher durchqueren konnte, und alle wussten das. Dem jungen Paar wurde es nicht erlaubt, ein einziges Wort miteinander zu sprechen und ihre einzige Verständigungsmöglichkeit bestand aus Blicken und gelegentlich einem heimlichen Signal mit der Hand.
Eines Nachts, nach einem langen Tagesmarsch durch unwegsames Gelände, sah Keyaschante blicklos zum Sternenhimmel hinauf und dachte voller Sorge an Tscheyesa-win. Er fragte sich, wie sie das scharfe Tempo, das von Dürrer-Vogel bestimmt wurde, mithalten konnte. Er bemerkte nicht, dass Dürrer-Vogel sich näherte und zuckte beim Klang der Stimme des Santee zusammen.
„Keyaschante, es ist schwer für deine Frau, so zu reisen, wie wir dies tun. Es wird bald vorbei sein. Wir waren schnell, seitdem wir den Missouri Fluss überquert haben, und wir werden den Yellowstone Fluss in etwa drei Tagen erreichen.“
Dürrer-Vogel schwieg einen Moment und setzte sich müde zu Keyaschante. Erschien nervös zu sein, und dies stand im Widerspruch zu seinem sonst so selbstsicheren Gehabe der vergangenen Tage.
Mit leiser Stimme fuhr er fort: „Jim sagte, dass er dich und deine Frau gehen lassen wird. Er sagte auch, dass er dir die beiden lahmen Pferde geben wird. Wir werden bald aus eurem Gebiet verschwinden, und dann werdet ihr für uns nicht mehr länger von Nutzen sein.“
„Das ist gut“, antwortete Keyaschante. „Ich glaube nämlich, dass meine Frau nicht in der Lage ist, noch viel weiter zu gehen. Doch sage mir… warum bist du mit diesen Blassgesichtern zusammen? Wir sind doch beide Sioux, du und ich, wir müssen mit aufrechter Zunge miteinander sprechen, wie ein Bruder zum anderen.“
„Gut gesprochen, Keyaschante, aber du weißt nicht, was ich weiß.“ Der Santee hielt inne, um nach den richtigen Worten zu suchen. „Wenn ich an die Leute denke, die ich kenne, dann sehe ich eine lange Reihe, Indianer und Weiße; aber in den vergangenen Wintern sehe ich nur noch Weiße! Wie eine nicht enden wollende Flut!“
Eine gewisse Bitterkeit beschlich die Stimme Dürrer-Vogels. „In dem Land meiner Kindheit lebten wir als freies Volk, bis vor ein paar Jahren. Nun gibt es unser altes Leben nicht mehr, denn die Blassgesichter haben jetzt dort die Macht. Mit ihren vielen Blauröcken und Waffen haben sie all das genommen, was uns gehörte. Wir sind nichts anderes als das Treibholz nach einer Flut. Die weißen Männer besitzen das meiste unseres Landes, aber nicht gemeinsam mit ihren Brüdern, sondern allein. Sie streben danach, mehr als ihre Nächsten zu besitzen und bekämpfen sich untereinander. Sie gieren regelrecht nach diesen Besitztümern! Für sie scheint richtig und falsch das gleiche zu sein.“
Dürrer-Vogel kämpfte, um seine Gesichtszüge zu kontrollieren. „Für mein Volk gibt es keine Wünsche und Ziele mehr. Für die meisten besteht der Sinn des Lebens nur noch darin, sich zu betrinken, und nicht mehr darin, das zu bewahren, was ihren Brüdern seit hunderten von Monden gehörte. Ebenso weigern sich viele, ihre bisherige Lebensweise aufzugeben, denn sie verstehen unter Freiheit, dass sie das Recht haben, zu jagen, zu essen und zu feiern.“
„Dürrer-Vogel“, unterbrach ihn Keyaschante, „das zu tun, was du tust, ist mit dem Mut einer Maus zu vergleichen. Wir sind ein stolzes Volk, und was wir jetzt tun, wird unsere Zukunft in den heiligen Paha Sapa beeinflussen. Wenn wir jetzt nicht handeln, sind wir Feiglinge. Nur Dummköpfe würden ihre Waffen niederlegen und kapitulieren. Das müssen wir den weißen Leuten verständlich machen. Wir müssen sie bekämpfen, um zu zeigen, dass wir keine Kinder sind. Ho! Es ist besser, im Kampf zu sterben!“
Dürrer-Vogel lachte bitter und entgegnete: „Ich werde dir etwas erzählen! Verstehe meine Worte und du wirst von meinen Taten nicht so empört sein.“
Er machte eine kurze Pause und fuhr dann mit monotoner Stimme fort: „Vor einiger Zeit wurde ich Kundschafter für die Blauröcke, den berittenen Soldaten der Regierung. Ich werde gar nicht erst versuchen, alle Gründe hierfür zu nennen, aber ich war einer der Überlebenden einer Gruppe Santees, die von der übermächtigen Streitmacht weißer Soldaten vernichtet worden war. Alle meine Verwandten wurden abgeschlachtet und das gleiche geschah auch mit meinem Geist. Mir blieb nichts als mein nackter Körper, und um diesen zu ernähren, trat ich den Soldaten bei. Sie versorgten mich mit Essen und Kleidung. Als Gegenleistung half ich ihnen als Scout.
Bald schon wurde ich der Anführer der Kundschafter, und dies vergrößerte natürlich die Möglichkeiten, meinen Leuten zu helfen. Auch kam ich in näheren Kontakt mit den Blauröcken und es entwickelte sich zwischen uns so etwas wie eine Freundschaft – mit Jim, dem Bartlosen, sogar eine engere Freundschaft.
Er lehrte mich die englische Sprache und zeigte mir die Lebensweise des weißen Mannes. Er unterstützte meine Gedanken und meine Taten. Er war unter den Weißen mein einzig wahrer Freund.“
Dürrer-Vogel fuhr in einer leisen, monotonen Stimme fort und es erweckte den Anschein, als würde er mit sich selbst reden.
„Eines Tages bekam er Schwierigkeiten und rechnete mit Vergeltung von den anderen Blauröcken. Daraufhin fragte er mich, ob ich sein Kundschafter werden wolle, und ich willigte ein. Er sagte mir, dass es seine Vorgesetzten nicht gerne sähen, wenn er den Armeeposten verließe, und deshalb müssten wir nachts gehen, während die anderen schliefen. In dieser Nacht schlichen wir und zwei weitere Männer aus dem Stützpunkt und machten uns auf den Weg zu den Goldfeldern.“
Er machte eine nachlässige Handbewegung und grunzte verächtlich.
„Als Anführer der Kundschafter war es leicht für mich, Pferde und Verpflegung für unsere lange Reise zu besorgen. Wir trieben die Pferde an, und sie waren bereits sehr müde, als wir auf euer Lager trafen. Wir hatten vor, eure Pferde zu stehlen, aber wir konnten es nicht, weil ihr zu dicht bei ihnen gewesen seid. Jim und die anderen wollten euch beide umbringen, aber ich überzeugte sie davon, dass dies nicht gut wäre.“
Um seine Worte zu unterstreichen, schlug Dürrer-Vogel leicht auf Keyaschantes Knie, dann fuhr er fort. „Falls deine Verwandten die schändliche Tat entdeckt hätten, würden sie uns wie Wölfe jagen, um euren Tod zu rächen. Es war das Beste, euch als Geiseln mitzunehmen, da eure Leute nichts unternehmen würden, um euch beide nicht zu gefährden. Und jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir euch freilassen werden, so dass ihr nach Hause gehen könnt.“
„Mein Herz liegt im Staub für dich, Dürrer-Vogel. Obwohl ich dir in vielen Punkten nicht zustimme, muss ich dir dafür danken, dass du unser Leben verschonst. Du wirst nie fürchten müssen, dass wir dich verraten, wenn wir frei sind. Tscheyesa-win wird dies verstehen. Aber sie kann die weißen Männer nicht verstehen, denn seit sie ein kleines Baby war, lebt sie wie eine Sioux und kennt nur unsere Kultur. Dürrer-Vogel, sag’ mir, was denken die weißen Männer über sie?“
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