Die Blassgesichter riefen zur Jagd.
Kriegsschreie durchbrachen die Stille des Waldes.
Die Luft war erstickt von anderen, fremden Schwingungen und Gedanken. Die rauchenden Mysterien aus Eisen überrollten den Tomahawk, sorgenvolle Trauergesänge klangen rhythmisch durch die Nächte.
Wie ein immerwährender Frost, quälte eisige Abneigung die Ureinwohner und ließ ihnen nur wenig Platz zum Überleben.
Hunger war ein ständiger Begleiter in den Tipis der Rocky Mountains, und trieb die narbigen und ungebeugten Köpfe ins flache Land.
Der Wille zu herrschen bestimmte das Handeln und den Geist der Eroberer und brachte dem Land der Rocky Mountains eine traurige Veränderung. Nun hält nur noch die einsame Fichte die Totenwache über meine Vorfahren. Denn die Blassgesichter sind gekommen, um für immer zu bleiben.
Dallas Chief Eagle
HEIRAT UND GEFANGENNAHME
„Wacht auf, wacht auf!“, schallte die Stimme des Ausrufers durch das Lager. Sein lauter Singsang durchbrach die Stille des frühen Morgens. „Zieht eure Festkleidung an, denn dies ist ein Tag der Freude! Heute wird eine neue Familie gegründet!“
Dieser Bekanntmachung folgte der zeremonielle schrille Schrei. Als er langsam durch das Sioux-Lager ging, wiederholte der Rufer seine Ankündigung und ließ ihr jedes Mal den zeremoniellen Schrei folgen.
In Erwartung des großen Ereignisses wurden die schläfrigen Augen schnell wach, und jeder bereitete sich darauf vor, den Tag in aller Fröhlichkeit zu verbringen. Aufgeregt schwatzend machten sich die Frauen an die Arbeit, denn das Festmahl, das jede Heirat begleitete, musste bereits früh zubereitet werden.
Junge Hunde wurden an Pfähle gebunden und zu Tode geprügelt, damit man ihre zarten Körper mit dem Essen zusammen kochen konnte. Es verlieh dem Eintopf ein besonders würziges und köstliches Aroma. Nachdem man sie auf das Feuer geworfen hatte, um die Haare abzusengen, wurden die jungen Hunde abgeschabt, gesäubert und zerlegt. In kleine Stücke geschnitten und mit wilden Rüben gekocht, wurde Hundefleisch als Delikatesse betrachtet und nur zu besonderen Gelegenheiten serviert.
Auserlesenes, getrocknetes Wildbret und getrocknetes Büffelfleisch wurden für ein weiteres schmackhaftes Gericht mit getrocknetem Mais gekocht. Durch das Kochen mit Kräutern und anderer Pflanzen wurden weitere Leckereien zubereitet oder zerstoßene Maiskörner wurden mit Büffeltalg und Bienenhonig vermischt, um daraus Wasna, eine Art Keks, zu formen. Soßen und Nachspeisen aus wilden Beeren vervollständigten das Menu für dieses Festmahl.
Aber selbst mit all den verschiedenen Aktivitäten war der Tag lang, und gegen Abend waren die Menschen der Spiele, des Kochens und des Scherzens überdrüssig und erwarteten freudig die Stunde, an der das Festmahl beginnen sollte.
Nun war endlich der Zeitpunkt gekommen, an dem Chiefeagle, der alte und geachtete Anführer des Lagers, sein Volk zusammenrief. Sein Name bedeutete nicht „Häuptlingsadler“, sondern Adler, der die anderen führt.
„Meine Verwandten!“, begann er mit Nachdruck. „Am heutigen Tag ist mein Herz sehr glücklich, obwohl ich auch ein wenig traurig bin; traurig deshalb, weil mein Zuhause einen starken, jungen Mann verlieren wird, der mir sehr ans Herz gewachsen ist. Dieser tapfere Junge hat in den wenigen Jahren seines Lebens bereits viele Dinge gelernt – Dinge, die manche Menschen aus diesem Land nie wissen werden.“
Die aufkommenden Gefühle erstickten seine Stimme und der alte Mann musste sich räuspern, bevor er fortfahren konnte. „Mit Weisheit und in edler Absicht wählte er einen schwierigen Weg, und gelobte, diesen bis zum Ende zu gehen. Er hat sich vom Rande des großen, weißen Weges eine zerbrechliche Blume für sein Herz gepflückt; eine wunderschöne Blume, die ihm viel Harmonie und zauberhafte Momente bringen wird.“
Er machte eine lange Pause, und sein Volk wartete still auf seine nächsten Worte. „Meine Stimme versagt mir, aber mein Herz wünscht ihnen alles Gute. Im Namen meines Volkes werde ich das Heilige Mysterium bitten, ihnen den Reichtum ewigen Glücks zu geben.“
Chiefeagle drehte sich langsam um seine Achse, und unter dem tosenden Beifall der Leute schritt er mit gesenktem Haupt auf sein Zelt zu.
Als er seine Fassung wiedererlangte, kehrte der alte Häuptling zurück, um zu verkünden, dass das Essen nun fertig sei. Daraufhin ging das ganze Dorf dazu über, große Mengen an Speisen zu verschlingen, bis sie buchstäblich platzten. Doch selbst dann baten sie noch um Nachschlag und hielten fordernd ihre Becher und Schüsseln hoch. Das Festmahl war mehr als reichlich gewesen, und was sie nicht mehr verzehren konnten, wurde für später aufgehoben. Die Sioux hatten zu viele Hungersnöte erlebt, um auch nur einen Krümel des Essens zu vergeuden. Es war kein Zufall, dass zum Schluss nicht der geringste Speiserest im Kochgeschirr zu finden war.
Während des gesamten Abendessens waren die Leute darauf bedacht, der Braut und dem Bräutigam genügend Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Keyaschante wurde für seinen Mut und seine Großzügigkeit sehr bewundert, und man mochte ihn wegen seines schüchternen und aufrichtigen Wesens. Sein Name bedeutete „Schildkrötenherz“ und gab ihm Kraft und Weisheit. Alle Herzen waren mit Freude darüber erfüllt, dass der Enkel ihres hoch geachteten Anführers Chiefeagle eine Frau heiraten würde, die mit ihrer hellen Haut und ihren blauen Augen längst eine der ihren geworden war.
Das Festessen verbrachten die Braut und der Bräutigam im Stehen, wie es der Brauch verlangte. Durch die blauschwarzen Haare von Tscheyesa-win stach ihre helle Haut noch mehr hervor. Ihre ungeflochtenen Haare umgaben ihr ovales Gesicht wie ein Wasserfall aus natürlichen Locken und ein leichter Windhauch schien mit ihnen zu spielen. Ihre blauen Augen waren groß und ausdrucksvoll, und ihre vollen, verletzlichen Lippen hatten die Farbe wilder Kirschblüten.
Tscheyesa-wins atemberaubende natürliche Schönheit wurde durch ihre Kleidung noch betont. Von den Schultern bis zu den Füßen war sie in weiße Rehhaut gehüllt und mit der wahren Kunstfertigkeit der Sioux waren ihre Mokassins, Leggins und das Kleid mit Mustern aus Stachelschweinborsten verziert. Ihre stolze und aufrechte Gestalt war in der Tat eine bemerkenswerte Erscheinung. Sie hatte eine sportliche Figur mit einer schlanken, zierlichen Taille und breiten Hüften, deren Anmut viele Jahre auf dem Rücken eines Pferdes verrieten. Umso ungewöhnlicher erschien daher ihr Name, denn Tscheyesa-win bedeutete „Frau, die immer weint“.
Jetzt konnte man auch die dumpfen Töne einer Trommel hören. Die im Herzen jungen Menschen wurden ungeduldig, und noch ehe die Älteren ihr Mahl beendet hatten, nahmen die jungen, stürmischen Krieger eine große, geschmückte Zeremonien-Trommel, trugen sie zum Mittelpunkt des Lagers und begannen den langsamen Rhythmus des Rund-Tanzes zu schlagen. Als die Trommeln lauter wurden, stimmten die Sänger ein Liebeslied an, das der Braut und dem Bräutigam huldigte.
Als das Lied beendet war, wurde es auf einmal ganz still, und nur ein einsamer Trommler schlug sanft mit halber Geschwindigkeit den Takt des vorherigen Liedes. Keyaschante und seine Braut erhoben sich, und er legte mit einer schüchternen Bewegung den Arm um ihre Taille. Seite an Seite betraten die beiden nun langsam, mit erhabenem Schritt den Tanzbereich. Mit verschränkten Händen und ohne einen Blick auf ihre Umgebung zu verschwenden, tanzten sie den Takt aus zwei wiegenden Schritten. Nachdem sie einmal den Kreis der Zuschauer abgeschritten hatten, nahmen die übrigen Trommler den Takt mit viel Freude wieder auf.
Dies war das Zeichen für die Frauen endlich aufzustehen und die Männer ihrer Wahl zum Tanz zu bitten. Paar um Paar reihte sich hinter der Braut und dem Bräutigam ein, folgte den Schritten des Kaninchen-Tanzes.
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