Ist die Gefahr oder Störung beendet, bleibt für Maßnahmen aufgrund des Polizeirechts regelmäßig kein Raum mehr. Eine beendete Rechtsverletzung kann aber ggf. als Ordnungswidrigkeit oder Straftat verfolgbar sein, wofür die Polizei jedoch aufgrund anderer Vorschriften zuständig ist.
Beispiel
A geht in die B-Bank mit dem Vorsatz, sie zu überfallen. Bis zum Beginn des Tatversuchs i. S. des § 22 StGB liegt polizeirechtlich eine Gefahrin Form einer drohenden Rechtsverletzung (z. B. § 255 StGB) vor. Maßnahmen hiergegen ergeben sich aus dem Polizeigesetz. Mit dem Versuch schlägt die Gefahr in eine Störung um, denn die Rechtsverletzung ist eingetreten und dauert an. Maßnahmen hiergegen ergeben sich ebenfalls aus dem Polizeigesetz (Gefahrenabwehr in Form der Störungsbeseitigung). Nach dem Überfall (Beendigung der Straftat) ist die Störung in Form der Rechtsverletzung abgeschlossen. Sie muss nun als begangene Straftat aufgeklärt und verfolgt werden, was auf der Grundlage des Strafverfahrensrechts erfolgt. (Unabhängig davon können gleichzeitig noch andere Gefahren bzw. Störungen vorliegen wie bspw. verletzte oder gefesselte Personen. Maßnahmen hiergegen sind wiederum präventiv.)
Zur Gefahr gehört auch die Anscheinsgefahr. Diese liegt vor, wenn sich am Ende zwar herausstellt, dass eine Gefahr tatsächlich gar nicht vorlag, der drohende Schadenseintritt aber aufgrund einer verständigen und vertretbaren Prognose eines gewissenhaft und besonnen handelnden Polizeibeamten angenommen wurde. Unter diesen Voraussetzungen liegt eine „echte“ Gefahr i. S. des Polizeigesetzes vor, so dass Maßnahmen aufgrund einer Anscheinsgefahr rechtmäßig sind. Das ergibt sich direkt aus dem oben definierten Begriff der konkreten Gefahr.
Beispiel
M steht in den Abendstunden vor dem Geschäft des Juweliers J und blickt durch die Schaufensterscheibe angespannt in den Ladenraum. Seine Hände sind in der Tasche und scheinen einen größeren Gegenstand zu greifen. Plötzlich läuft er auf den Laden zu. Polizist P hat alles beobachtet und hält ihn an, weil er davon ausgeht, M wolle den Juwelier überfallen. Tatsächlich wollte M nur seine Freundin F in Empfang nehmen, die gerade aus dem Geschäft kam.
Im Gegensatz dazu liegt eine Schein- oder Putativgefahrvor, wenn eine Gefahrenlage allein in der subjektiven Vorstellung des Beamten bestand, also objektiv kein Anlass vorlag, von einem drohenden Schaden für polizeiliche Schutzgüter auszugehen. Die Scheingefahr ist daher keine Gefahr und kann deshalb nicht zur Grundlage für polizeiliche Maßnahmen gemacht werden. Dabei ist es unerheblich, ob die Polizei schuldhaft gehandelt hat. Zu fragen ist lediglich, ob ein gleichsam objektivierter Beamter aufgrund der Umstände von einer Gefahr ausgehen konnte. 39
2. Die Zuständigkeit der Polizei für die Verfolgung von Straftaten
Die Zuständigkeit der Polizei für die Verfolgung von Straftaten ergibt sich aus § 1 Abs. 4; § 78 Abs. 1 BbgPolG i.V. mit § 161 Abs. 1 oder § 163 Abs. 1 StPO. Gemäß § 163 Abs. 1 StPOhaben die Behörden und Beamten des Polizeidienstes Straftaten zu erforschen und alle keinen Aufschub duldenden Anordnungen zu treffen, um eine Verdunkelung der Sache zu verhüten. Diese Norm kommt in Betracht, wenn die Polizei – wie regelmäßig der Fall – im Rahmen des ersten Zugriffs, also aufgrund eigener Kenntniserlangung strafverfolgend tätig wird. 40Sie hat danach unverzüglich die Staatsanwaltschaft zu informieren (§ 163 Abs. 2 Satz 1 StPO), wenn nicht wegen schleuniger Vornahme richterlicher Untersuchungshandlungen die Übersendung an das Amtsgericht notwendig ist (§ 163 Abs. 2 Satz 2 StPO). Gemäß § 161 Abs. 1 StPOsind die Behörden und Beamten des Polizeidienstes darüber hinaus verpflichtet, auf Ersuchen oder im Auftrag der Staatsanwaltschaft strafverfolgend tätig zu werden (Tätigkeit aufgrund Weisung oder im Auftrag der Staatsanwaltschaft). Das ist insbesondere möglich, wenn die Staatsanwaltschaft vor der Polizei Kenntnis von einer Straftat erlangt. Zur Verfolgung von Straftaten ist die Polizei verpflichtet ( Legalitätsprinzip); ihre Befugnisse hierbei ergeben sich aus der Strafprozessordnung.
2.1 Straftat und Tatverdacht
Tatbestandliche Voraussetzung für die Verfolgung von Straftaten ist das Vorliegen eines Anfangsverdachtseiner Straftat. Unter einer Straftatversteht man die tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung, die ein Gesetz mit Strafe bedroht. 41Ein Anfangsverdachtliegt vor, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass eine Straftat begangen wurde (§ 152 Abs. 2 StPO). In der Regel ergibt sich der Anfangsverdacht aus Strafanzeigen, Zeugenaussagen, Spuren oder eigenen Wahrnehmungen der Polizeibeamten. Aufgrund dessen muss es nach kriminalistischer Erfahrung möglich erscheinen, dass eine verfolgbare Tat begangen wurde, selbst wenn der Verdachtsgrad insoweit noch gering sein mag. Lediglich bloße Vermutungen, dass eine Straftat geschehen sei, genügen nicht. 42Der Anfangsverdacht kann sich zu einem dringenden oder hinreichenden Tatverdacht verdichten. Dringender Tatverdachtist Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls. Er liegt vor, wenn nach dem Stand der Ermittlungen die hohe, d. h. überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte die Straftat als Täter oder Teilnehmer begangen hat. 43 Hinreichender Tatverdacht, der für die Eröffnung der Hauptverhandlung vorliegen muss, ist dann zu bejahen, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch. 44 Mangelnder Tatverdachtführt hingegen zur Einstellung des Strafverfahrens (§ 170 Abs. 2 StPO).
2.2 Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft
Während sich § 161 und § 163 StPO an die Behörden und Beamten des Polizeidienstes, also an alle Polizisten richten, setzen zahlreiche Eingriffsbefugnisse der Strafprozessordnung voraus, dass sie von Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaftangeordnet werden. Wer das ist, ergibt sich aus § 152 GVG in Verbindung mit einer entsprechenden Rechtsverordnung des brandenburgischen Justizministers. 45Bei jeder Maßnahme ist genau zu prüfen, ob sie von allen Angehörigen des Polizeidienstes oder nur von Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft angeordnet werden dürfen. 46
3. Aufgaben der Polizei für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten
Neben der Strafverfolgung ist die Polizei noch für die Aufklärung von Ordnungswidrigkeiten zuständig. Diese Aufgabe nimmt sie entweder originär oder subsidiär oder auf Ersuchen der originär zuständigen Behörde wahr.
3.1 Subsidiäre und originäre Zuständigkeit
Grundsätzlichhat die Polizei alle Ordnungswidrigkeiten zu erforschen, wenn sie davon Kenntnis erlangt. Diese Aufgabe ergibt sich aus § 1 Abs. 4; § 78 Abs. 1 BbgPolG i.V. mit § 53 Abs. 1 Satz 1 OWiG. Sie hat dabei die gleichen Rechte wie bei der Strafverfolgung (§ 53 Abs. 1 Satz 2 bzw. Abs. 2 OWiG). Allerdings ist ihre Zuständigkeit insoweit auf den ersten Zugriff, also auf feststellende und verfahrenssichernde Maßnahmen beschränkt. Man spricht wiederum von Eilkompetenz oder subsidiärer Zuständigkeit, und man nennt die Polizei in diesem Fall auch Ermittlungs- oder Feststellungsbehörde. Nach dem ersten Zugriff muss sie gemäß § 53 Abs. 1 Satz 3 OWiG die originär zuständige Verwaltungsbehörde i. S. des § 35 OWiG unverzüglich informieren. Diese wird auch Ahndungs- oder Verfolgungsbehördegenannt. Der Ahndungs-/Verfolgungsbehörde obliegt der weitere Verfahrensgang; sie kann das Verfahren einstellen oder einen Bußgeldbescheid erlassen. Dabei hat sie grundsätzlich dieselben Rechte wie die Staatsanwaltschaft und ist „Herrin des Verfahrens“ (§ 46 Abs. 2 OWiG). Aus diesem Grund kann sie sich auch im weiteren Verlauf des Bußgeldverfahrens der Polizei bedienen, indem sie sie gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. mit § 161 Satz 2 StPO zur Vornahme von Ermittlungshandlungen bindend ersucht. 47
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