Der Begriff „Polizei“hat verschiedene Bedeutungen: Zunächst ist damit eine bestimmte staatliche Tätigkeit gemeint: die Abwehr und Beseitigung von Gefahren oder Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung (Gefahrenabwehr). Man spricht auch von Polizei im materiellen Sinne, ohne dass damit gesagt wird, wer diese Tätigkeit ausübt. Wenn in diesem Lehrbuch aber von „Polizei“ die Rede ist, so ist damit stets die Behörde bzw. Tätigkeit der Vollzugspolizei gemeint, die in Brandenburg gemäß § 72 Abs. 1 BbgPolG dem Polizeipräsidium zugewiesen ist (Polizei im institutionellen/organisatorischen Sinne). 9Die Aufgaben des Polizeipräsidiums ergeben sich aus § 78 BbgPolG, und sie umfassen viel mehr als nur die Gefahrenabwehr. Der Begriff der Polizei im institutionellen Sinne und jener der Polizei im materiellen Sinne sind also nur teilweise deckungsgleich. Hinzu kommt, dass das Polizeipräsidium nicht die einzige Behörde in Brandenburg ist, die die Aufgabe der Gefahrenabwehr wahrzunehmen hat. Es teilt sich diese Kompetenz vielmehr mit den Ordnungs- und Sonderordnungsbehörden (vgl. § 1 OBG). Polizei und Ordnungsbehörden arbeiten aufgrund verschiedener Rechtsgrundlagen: insbesondere Ordnungsbehördengesetz bzw. Polizeigesetz. Beide Gesetze ähneln sich aber in weiten Teilen. 10
2.3 Strafverfahrensrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht
Strafverfahrens- bzw. Strafprozessrecht ist der Inbegriff derjenigen Normen, die dazu dienen, in einem rechtlich geordneten Verfahren zu ermitteln, ob eine strafbare Handlung vorliegt, und – falls dem so ist – eine strafbare Handlung zu ahnden. Es dient der Durchsetzung des materiellen Strafrechts und ermöglicht der Idee nach, den durch die Straftat gestörten Rechtsfrieden wiederherzustellen. Zugleich zieht es den Strafverfolgungsbehörden und damit auch der Polizei Grenzen hinsichtlich ihrer Eingriffsrechte, da Straftaten nur auf rechtsstaatlichem Wege und nicht um jeden Preis aufgeklärt und verfolgt werden sollen. 11 Beteiligte des Strafverfahrenssind
– das Subjekt des Verfahrens: Verdächtiger, Beschuldigter, Angeschuldigter und Angeklagter;
– die Verteidigung: in der Regel Rechtsanwälte als Wahl- oder Pflichtverteidiger;
– die Anklagebehörde: Staatsanwaltschaft oder Amtsanwaltschaft;
– die Polizei;
– das Gericht, und zwar als Organ der Gerichtsverhandlung selbst sowie als Ermittlungs- bzw. Untersuchungsrichter;
– Verletzte; Zeugen; Sachverständige.
Anders als beim Polizeirecht, dessen Ziel die Verhinderung und Beseitigung von Gefahren für polizeiliche Schutzgüter (also u. a. auch die Verhütung und Beendigung von Straftaten) ist, geht es dem Strafverfahrensrecht um die Ahndung begangener Straftaten. Ähnlich liegt es auch beim Ordnungswidrigkeitenrecht, das starke Bezüge zum Strafprozessrecht aufweist, indem sich die Verfahrensnormen und Eingriffsbefugnisse zur Aufklärung und Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten grundsätzlich aus der Strafprozessordnung ergeben (§ 46 Abs. 1; § 46 Abs. 2; § 53 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 OWiG). Allerdings geht es im Ordnungswidrigkeitenrecht lediglich um die Verfolgung von Rechtsverstößen unterhalb der Kriminalität („Bagatelldelinquenz“); es sanktioniert die Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, ohne die Handlung als sozialschädlich i. S. des Strafrechts zu stigmatisieren. Man spricht daher bisweilen nicht ohne Grund von „Verwaltungsunrecht“. 12Die meisten Ordnungswidrigkeiten sind über eine Vielzahl von Gesetzen aus dem Bereich des Verwaltungsrechts verteilt, meist an deren Ende. Beispiele sind das Straßenverkehrsrecht (§ 49 StVO i. V. mit § 24 StVG), das Waffenrecht (§ 53 WaffG) oder das Forstrecht (§ 37 LWaldG). Nur wenige Tatbestände sind im zentralen Ordnungswidrigkeitengesetz geregelt.
II. Aufgaben und Zuständigkeiten der Polizei
Die Aufgaben der Polizei ergeben sich aus § 1 BbgPolG. Danach ist die Polizei in jeweils verschiedenem Umfang zuständig für
– die Gefahrenabwehr,
– den Schutz privater Rechte,
– die Vollzugshilfe zugunsten anderer Behörden,
– andere, der Polizei durch Rechtsvorschriften übertragene Aufgaben.
1. Die Zuständigkeit der Polizei für due Gefahrenabwehr
1.1 Polizei und Ordnungsbehörden
Gemäß § 1 Abs. 1 BbgPolG hat die Polizei die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Gefahrenabwehr besteht aus drei Teilbereichen, nämlich:
– der klassischen Gefahrenabwehr, d. h. der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BbgPolG);
– der vorbeugenden Bekämpfung bzw. Verhütung von Straftaten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BbgPolG); 13
– der Vorbereitung auf künftige Gefahrenabwehr (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BbgPolG), womit vor allem die Vorhaltung von Daten, die Bereitstellung von Geräten und die Planung von Einsätzen gemeint ist.
Zu beachten ist jedoch, dass – von der vorbeugenden Bekämpfung (Verhütung) von Straftaten und der Vorbereitung für künftige Gefahrenfälle abgesehen – die Polizei im Rahmen der Gefahrenabwehr grundsätzlich nur insoweit zuständig ist, als die Abwehr der Gefahr durch die originär zuständige Ordnungsbehörde nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint (§ 2 Satz 1 BbgPolG). Die Polizei „konkurriert“ also im Bereich der Gefahrenabwehr zum Teil mit den Ordnungsbehörden. Sie hat dann nur das Recht des ersten Zugriffsund wird subsidiäraufgrund einer Eil-oder Eilfallkompetenztätig. 14Nur in wenigen Bereichen ist die Polizei aufgrund gesetzlicher Zuweisung für die Gefahrenabwehr auch originärzuständig. Es handelt sich insbesondere um
– den Bereich des Straßenverkehrs und Wasserstraßenverkehrs gemäß § 1 Abs. 4 i. V. mit § 78 Abs. 2 BbgPolG; 15
– den Bereich des Waffenrechts nach § 1 Abs. 4 BbgPolG i.V. mit § 1 Abs. 1 und Abs. 4 der brandenburgischen Rechtsverordnung zur Durchführung des Waffengesetzes (DVO WaffG); 16
– den Bereich des Versammlungsrechts nach § 1 Abs. 4 BbgPolG i.V. mit § 1 der brandenburgischen Rechtsverordnung zur Übertragung der Zuständigkeiten nach dem Versammlungsgesetz (ZustVO VersamG). 17
Es ist also stets zu prüfen, ob die Polizei originär oder subsidiär gefahrenabwehrend tätig wird. Handelt sie subsidiär, hat sie die jeweils zuständige Ordnungsbehörde unverzüglich über ihren Zugriff zu unterrichten (§ 2 Satz 2 BbgPolG). Unabhängig davon aber, ob die Polizei subsidiär oder originär gefahrenabwehrend tätig wird, muss tatbestandlich stets eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnungvorliegen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BbgPolG).
1.2 Die öffentliche Sicherheit oder Ordnung
Die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ist das polizeiliche Schutzgut; nur ihr können Gefahren drohen. Zur öffentlichen Sicherheitzählen: 18
– die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung,
– die subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen,
– der Bestand und die Funktionsfähigkeit des Staates, seiner Einrichtungen und Veranstaltungen. 19
Als Inbegriff der öffentlichen Sicherheit ist regelmäßig zuerst die Unverletzlichkeit der Rechtsordnungzu prüfen. Denn fast alle Handlungen, die die Polizei zum Einschreiten berechtigen, beruhen auf einer Verletzung des geltenden Rechts und damit auf einer Verletzung der Rechtsordnung. Rechtsordnung meint die Gesamtheit des oben erläuterten geltenden Rechts. Wann immer also gegen Rechtsnormen verstoßen wird oder dies droht, ist die öffentliche Sicherheit in Gestalt der Unverletzlichkeit der Rechtsordnung gestört bzw. gefährdet. Besonders augenfällig wird dies bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. 20Legales Handeln kann demgegenüber die öffentliche Sicherheit nicht verletzen, denn rechtmäßiges Verhalten ist ja gerade zugelassen und gerechtfertigt. 21Zu beachten ist aber, dass die Polizei grundsätzlich nur für die Verletzung des öffentlichen Rechtszuständig ist, während ihr der Schutz des Privatrechts, das natürlich auch zur Rechtsordnung gehört, nur unter den Voraussetzungen von § 1 Abs. 2 BbgPolG obliegt. 22Wird aber neben dem privaten Recht zugleich eine Norm des öffentlichen Rechts, z. B. ein Strafgesetz verletzt, entfällt diese Einschränkung.
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