»Echt?« Di Marco musste lachen.
»Mir ist das Lachen damals im Hals stecken geblieben. Und weißt du, mit was die Polizisten meine Vernehmung begründet haben? Dass Geschlechtsumwandlungen mittlerweile weitgehend problemlos möglich seien.«
»Mannomann.« Mehr fiel Di Marco dazu nicht mehr ein. »Wie bist du da wieder rausgekommen?«
»Schlau, wie die waren, kamen sie drauf, dass ich eine andere Augenfarbe als der Terrorist hatte. Und Augenfarben konnten damals ja allenfalls mithilfe von Kontaktlinsen simuliert werden. Nach acht Stunden durfte ich dann endlich wieder gehen und mich in mein Bett legen.«
»Dass du da überhaupt noch Lust hattest, zur Polizei zu gehen …«
»Das konnten meine Freunde auch nicht verstehen. Die haben mich sogar für verrückt erklärt, genauso wie mein Vater, meine Mutter und Richie.« Babic dachte an die langen Diskussionen mit Hensen, die mit allen Mitteln versucht hatte, ihr diese Schnapsidee auszureden. »Aber ich wollte es jetzt erst recht. Ich dachte mir, dass man den Job nur besser machen kann als diese Deppen.«
»Meine Güte.« Di Marco schüttelte den Kopf. »Leider gibt’s auch heute noch genug von der Sorte. Schau dir nur mal Haak und Strickle an, und die sind bei Weitem nicht die einzigen Bekloppten.«
Sie bogen in die Straße ein, in der Babics Hotel lag. Di Marco fuhr an den Seitenstreifen und stellte den Motor ab.
Babic blieb im Auto sitzen und fragte: »Was ging da heute früh eigentlich ab, mit dir und diesen beiden?«
»Wir sind mal richtig aneinandergeraten. Die Typen sind nicht nur Spinner, musst du wissen, die sind richtig gefährlich.«
Di Marco sah aus dem Fenster.
»Die beiden waren früher bei der Sitte. Ich hatte damals eine Freundin, die gerade bei der Kripo anfing und den beiden zugeteilt wurde. Eines Abends erzählte sie mir, sie sei von einer Prostituierten angerufen worden, die sich von Polizisten bedroht fühlte. Am selben Abend noch haben die beiden sich getroffen. Wie sich herausstellte, hatte meine Freundin in ein Wespennest gestochen.«
Er sah Babic nun direkt an. Seine Miene war ernst.
»Die Informantin erzählte meiner Freundin von einer Art Polizeigeheimklub, der mehrere Zuhälter unter Kontrolle hatte, die wiederum Prostituierte zwangen, für alle möglichen Perversitäten zur Verfügung zu stehen.«
Er machte eine kurze Pause.
»Von normalen Perversitäten bis hin zum Aufschlitzen vor der Kamera oder Tiere in Körperöffnungen stecken. Die Polizisten vermittelten Freier, meist reiche Typen, die bei Razzien in die Finger der Sitte geraten waren. Statt sie vor Gericht zu bringen, brachten diese Schweine die Freier dazu, künftig nur noch zu den Frauen zu gehen, bei denen sie von den Zuhältern Provision kassierten. Deshalb gab es, wenn Frauen aussteigen wollten, auch jede Menge Druck.« Di Marcos Kiefermuskeln spannten sich sichtbar an. »Psychisch und physisch. Verbale Demütigungen, stundenlanger Schlafentzug, Schläge, Vergewaltigungen und so weiter.« Sein Blick löste sich wieder von Babic.
»Meine Freundin kam am selben Abend noch zu mir. Ihrer Meinung nach hingen auch Haak und Strickle in der Sache drin. Sie hatte allerdings keine Beweise, weil nur diese eine Informantin aussagen wollte. Und ausgerechnet diese Frau hatte nicht direkt mit Haak und Strickle zu tun, sondern nur von ihnen gehört.«
Di Marco spürte die Wut in sich aufsteigen wie jedes Mal, wenn er über die Sache sprach. »Sie war so dumm, die beiden am nächsten Tag ganz offen darauf anzusprechen – warum stöhnst du?«
»Sorry, aber ich kann von solchen Dummheiten ein Lied singen.«
»Sie leider nicht mehr.« Er hielt inne und schluckte. »Haak und Strickle stritten natürlich alles ab. Aber von dem Zeitpunkt an bekam meine Freundin die beschissensten Aufgaben zugeteilt und wurde von fast allen Kollegen gemobbt. Damals ging auch unsere Beziehung auseinander. Sie wurde immer niedergeschlagener und rief mich eines Abends an, sie sei echt fertig. Ich war da gerade mit einer anderen Frau am Anbändeln und sagte ihr, ich hätte frühestens am nächsten Tag Zeit für sie.«
Mia Babic hätte beinahe seine Hand genommen.
»Am nächsten Morgen war sie tot. Vor einen Zug gesprungen … Ich weiß, ich trage selbst die Schuld daran. Aber das macht meine Wut auf diese beiden Schweine nicht kleiner.« Er atmete tief durch. »Nachweisen konnte man ihnen nichts. Entweder sind sie sehr geschickt, oder jemand von oben hält eine schützende Hand über sie.«
Einen Moment lang sagten beide nichts, blieben nur ruhig sitzen und hingen ihren Gedanken nach.
Babic brach das Schweigen. »Ich freue mich, mit euch zusammenzuarbeiten.«
Sie sah Di Marco direkt ins Gesicht. Schöne Augen, dachte sie.
Di Marco erwiderte ihren Blick. Sein Gesicht entspannte sich. Ein Gefühl von Wärme machte sich in der unteren Bauchgegend breit.
Babic zögerte. »War übrigens eine klasse Leistung von dir gestern im Supermarkt. Besser konnte man es nicht machen. Ich schulde dir was.«
Di Marco freute sich sichtlich und wartete, ob noch was käme.
»Ich geh jetzt ins Bett. Danke fürs nach Hause bringen. Bis morgen.« Ein Lächeln, leicht verschmitzt. Di Marco lächelte zurück.
Der Netzmörder nannte sich ZZZ, König der Hacker. Er war ein Adrenalinjunkie, der Kampf gegen den elektronischen Kapitalismus gab ihm die wahre Befriedigung in seinem Leben.
Es war genau 23.55 Uhr. Er spannte unbewusst die Muskeln seines Unterarms an, als er sich an sein Terminal setzte und sich ins Netz einklinkte. Er öffnete sein Microsoft Outlook 3000, gespannt auf die virtuellen Identitäten, die es heute zu eliminieren galt.
Jedes Mal, wenn er sich an den Bildschirm setzte, musste er daran denken, dass das Zeitalter der Hacker eigentlich schon fast vorbei war. Als das Netz noch manipulierbar wie ein Kleinkind war, konnten gute Hacker fast überall reinkommen. Das war ein richtiger Sport gewesen. Und es gab nicht wenige Netzterroristen, die immer wieder versuchten, ökologische, wirtschaftliche und soziale Katastrophen herbeizuführen. Zu diesen Spinnern hatte er nie gehört. Er war ein Künstler. Bereits vor vielen Jahren war er ein Meister in der Königsdisziplin ambitionierter Hacker gewesen, nämlich, in die Systeme der US-amerikanischen Regierungseinrichtungen einzudringen.
Die Europäer hatten früh Abwehrmaßnahmen gegen das gewaltsame Eindringen in wichtige Datenbanken ergriffen. Sie arbeiteten bereits mit Organisationen wie dem Chaos Computer Klub zusammen, als die US-amerikanischen Sicherheitsexperten noch auf traditionelle Aufrüstung setzten und den internationalen Terrorismus mit Hilfe von Drohnen, Mittel- und Langstreckenraketen zu besiegen versuchten.
Außerdem hatten die Europäer schon sehr früh eine Reihe international renommierter Experten für Datensicherheit mit Kontakten zur Hackerszene rekrutiert und konnten so dazu beitragen, das Netz, die militärischen Einrichtungen der NATO und die mittlerweile vollkommen von der elektronischen Datenverarbeitung abhängige Weltwirtschaft vor einem Totalabsturz zu schützen. Er lachte leise vor sich hin. Sie brauchten Leute wie ihn, um sich vor Leuten wie ihm zu schützen.
Er hatte selbst an der Entwicklung eines ultrastabilen Sicherungssystems für die NSA mitgearbeitet, was in seinem realen Job niemand wusste. Es lag auch an ihm, dass Hacker es heute nicht mehr so leicht hatten wie früher.
Paradoxerweise machte die verbesserte Sicherheit seinen aktuellen Job etwas leichter. Weltweit gab es nur noch rund ein Dutzend Hacker, die in der Lage waren, komplexe Sicherungssysteme zu knacken. Und er war der Star.
Seinen Hackernamen hatte er einer deutschen Punkband aus Bielefeld entlehnt, deren vermutlich einzige CD auf nicht nachvollziehbare Weise in der Musikbox einer kalifornischen Strandbar seiner Heimatstadt gelandet war, in der sein älterer Bruder als Barkeeper gearbeitet hatte. Für ihn, den achtjährigen Jungen, war die Musik dieser Gruppe die vertonte Rebellion gegen alle lästigen Pflichten wie Schule, Hausaufgaben oder saubere Klamotten gewesen.
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