»Das war vor allem in ausländischen Modemagazinen. Frankreich, Italien, Schweiz, England, Australien, Deutschland, Spanien, Amerika natürlich . . .«
Jetzt wird Ella von der anderen Seite gezeigt. Sie macht sich sehr gut aus dieser Perspektive. Jetzt sieht sie intellektuell aus, obwohl sie über die Liebe spricht.
»Er war ein wunderbarer Mann und Filmpartner! Ja, das war mein letzter Film. Oh nein, wir sind nur Freunde!«
Das Publikum hält wieder die Luft an. Ist das wahr? Konnte er ihr wirklich widerstehen? Und wollte sie ihn nicht haben? Sie wird ein bisschen verlegen, verrät jedoch nichts. Der Moderator erwähnt, dass viele berühmte und begehrte Männer ihren Lebensweg gekreuzt haben.
»Ja, ich habe sie alle geliebt.«
Sie hat neben all ihren Männern gestrahlt und vor allem strahlten sie neben ihr. Und wenn sie sie verlassen hat und weiterschwebte, haben sie alle, völlig am Boden zerstört, beteuert, wie wahnsinnig sie sie geliebt haben.
Jetzt kommt plötzlich eine Archivaufnahme, wir sehen Ella, wie sie aus dem Flugzeug steigt, der Wind ihre langen Haare zerzaust, sie trägt eine Sonnenbrille und eine Menschenmenge ist versammelt. Die Leute jubeln und werfen Blumen.
»Danke, danke, es ist wonderful to be back auf schwedischem Boden und es ist so good to feel das Wohlwollen und die Sympathie der schwedischen Menschen, vor allem nach meinem skandalumwitterten . . .«
Ella muss nachdenken. Dem skandalumwitterten was?
»Aufbruch.«
Jetzt sind wir wieder im Studio. Ella blinzelt in den Scheinwerfer, die Show ist zu Ende, jetzt ist der Moment für den wundervollen Blumenstrauß gekommen. Das Mädchen, das ihn hereinbringt, wird rot, der Moderator erhebt sich vom Sofa und den Menschen im Publikum stehen die Tränen in den Augen. Ella ist aufrichtig gerührt und wirft ihrem treuen, schwedischen Publikum Kusshändchen zu.
»I love you! I love you! Ich möchte nur noch ein paar Worte zum Abschluss sagen!«
Das Publikum hält erwartungsvoll die Luft an. Alle verstummen.
»Man weiß nie, wohin das Leben einen führt. Wenn ich mich an meine Jugend erinnere, dann denke ich, dass das Leben sehr überraschende Wendungen nehmen kann. Ich möchte deshalb nur sagen . . .«
Die Gesichter des Publikums sind wie Blumen, die sich der Sonne zuwenden, und Ella ist sich bewusst, dass sie jedes Wort auf die Goldwaage legen muss. Dann spricht sie. Aufrecht. Ernsthaft.
»Gebt nie die Hoffnung auf!«
Das Publikum steht auf und klatscht so laut und so lange, dass der Tontechniker sich sein ganzes Berufsleben lang an diesen Vorfall erinnern wird, die Scheinwerfer drehen sich, die Kameras tanzen um sie herum . . . Da klingelt das Telefon.
»ICH GEH DRAN!«
Ella reißt sich vom Spiegel los, das Publikum und der Jubel verschwinden, sie stürzt sich aufs Telefon und sagt mit ihrer sinnlichsten Stimme: »Ja, hier ist Ella . . .!«
Aber es ruft kein Junge an.
»Man kann sie verbrennen!«, prustet Josefin. »Dann sterben sie! Das tut noch mehr weh!«
Josefin liegt in ihrem Himmelbett und blättert in einer Zeitschrift, die voller Tipps und guter Ratschläge für Mädchen aller Altersstufen ist.
»Es ist wahnsinnig teuer«, sagt Ella und betrachtet ihre flaumigen Beine.
»DAS ESSEN IST FERTIG!«, ruft Josefins Mutter Helen und klopft an Josefins Tür. Josefin schiebt die Himmelbettvorhänge zur Seite und geht mit ihrem schnurlosen Telefon am Ohr in die Küche. Rasmus und Julia, ihre beiden kleinen Geschwister, die ihre Eltern plötzlich haben wollten, als Josefin groß wurde, laufen an ihr vorbei, wie immer hungrig.
»Es gibt so ein propellerartiges Dingens, das die Haare mit der Wurzel herausdreht«, sagt Josefin. »Aber das tut noch mehr weh.«
Mama Helen, Rasmus, Julia und Papa Tomas sitzen schon bei Tisch, Josefin nickt ihnen im Vorbeigehen zu und setzt sich, immer noch mit dem Hörer am Ohr.
»Martina rasiert ihre«, sagt Ella und denkt an den Tag, als Martina in der Französischstunde ihre frisch rasierten Beine streichelte und von der Liebe träumte. Bis zu diesem Tag hatte Ella nicht über das Thema »unerwünschter Haarwuchs« nachgedacht.
»Das wird bloß piksig«, konstatiert Josefin trocken und pikst mit der Gabel in eine Kartoffel. »Meine sind ganz schwarz geworden! Das ist wegen der Pille! Und was hab ich davon? Nichts! Ich sterbe bald!«
»Bitte Josefin, wir essen!«, sagt Tomas.
»Leg auf!«, sagt Helen.
»Bekommt man schwarze Haare von der Pille?«, fragt Ella.
»Man kann auch Thrombosen bekommen. Oder Gelbsucht. Und man kann schlechte Laune bekommen«, sagt Josefin und gießt Julia Milch ein.
»DANKE!«, brüllt Julia.
»Und man kann die Lust verlieren«, fährt Josefin fort. »Aber das war bei mir nicht so.«
»In der Schule gibt es überhaupt keinen einzigen«, seufzt Ella.
Da reißt Kajsa, Ellas Mutter, die Tür auf und guckt ärgerlich, als ob sie etwas wollte, das Ella nicht gemerkt hat.
»Das Essen ist fertig, habe ich gesagt«, faucht sie und verschwindet wieder.
»Sie haben keine Lebensart«, stellt Josefin fest.
»Sie sind voll kindisch«, stöhnt Ella und räumt das Allernotwendigste in die Schultasche: Spiegel, Lippenstift, Haarbürste. Sie hängt die Tasche über die Schulter und betrachtet sich skeptisch im Spiegel. Sie findet, dass sie blöd aussieht.
Josefin versucht mit zwischen Ohr und Schulter eingeklemmtem Hörer eine Kartoffel zu schälen.
»Ein bisschen Erfahrung ist immer gut«, sagt sie und merkt nicht, dass die Spannung am Esstisch zunimmt.
»Du wirst die Erste sein, du bist ja draußen in der großen Welt«, seufzt Ella.
»Nicht bei meiner Kundschaft«, jammert Josefin.
»Wir müssen am Wochenende ausgehen, aber überall haben sie Mindestalter einundzwanzig«, sagt Ella. »Wenn wir den Mund halten, können wir für einundzwanzig durchgehen. Geschminkt.«
Sie wirft sich im Spiegel einen reifen Blick zu.
»Meine Kartoffel. Die ist geflogen.«
Josefins Kartoffel rollt über den Esstisch und wird von Julia aufgefangen.
»Ist sie meine große Schwester oder was?«, beschwert Julia sich.
»Jetzt reicht es!«, mault Tomas. »Ihr könnt später weiterreden.«
Gleichzeitig schreit Ellas Mutter Kajsa aus der Küche: »ELLA! KOMM JETZT! ES GIBT ESSEN, HABE ICH GESAGT!!!«
»Hast du deinen Vater gefragt, ob er einen geschiedenen Mann für meine Mutter kennt?«, fährt Ella fort.
»Nein. Ich weiß nicht, wo meine Kartoffel abgeblieben ist.«
»Und warum machst du es nicht?«, fragt Ella beleidigt.
»Kann sie das denn nicht selber machen?«, fragt Josefin.
»One moment please«, sagt Ella und beschließt essen zu gehen.
Sie legt den Hörer auf und verlässt das Zimmer.
Plötzlich verstummt Josefin am Esstisch. Sie hört sogar auf ihre Kartoffel zu schälen. Die ganze Familie starrt sie an.
»Bist du jetzt fertig?«, fragt Rasmus.
Als Ella in der Küche auftaucht, hellt Kajsas Gesicht sich auf.
»Hallo! Gut! Hast du jetzt alles für morgen gerichtet?«, fragt sie.
Ella beantwortet Kajsas Frage nicht, sondern hebt den Hörer des Wandtelefons ab und setzt ihr Gespräch mit Josefin fort: »Oder die Tanten auf deiner Arbeit. Frag die!«
Kajsa schaut sie verblüfft an.
»Die haben absolut keine Ahnung von Männern«, schnaubt Josefin und schält wieder ihre Kartoffel.
»Denken sie an nichts anderes?«, brummt Tomas und schaut seine Frau vorwurfsvoll an, als ob es ihre Schuld wäre.
»Und wie sieht es mit einem geschiedenen Verwandten aus? Vielleicht mit Hund?«, schlägt Ella vor.
Jetzt fährt Rasmus hoch, reißt Josefin den Hörer aus der Hand und schreit: »LEG JETZT AUF, DU BLÖDE KUH!«
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