Kajsa hopst im Sessel auf und ab und Ella wird vom Klingeln des Telefons errettet. Es ist Josefin.
»Er war wieder da! Wir werden nach der Arbeit ein Glas Wein zusammen trinken!«
»Der Knacker?«, ruft Ella und macht schnell die Tür zu. »Nach der Arbeit ein Glas Wein zusammen trinken!«, sagt Ella höhnisch.
»Hätte ich vielleicht sagen sollen: ›Nee, ich geh mit meiner besten Freundin in die Pizzeria. Wir wollen uns über einer capricciosa pickelige Jungs angucken.‹ Ich habe mir ein Kleid gekauft. Mit Schlitz«, sagt Josefin.
Josefin sitzt auf dem Badewannenrand, sie hat den Hörer zwischen Wange und Schulter eingeklemmt und seift ihre Beine mit Rasierschaum ein.
»Worüber redet man denn mit so einem?«, fragt Ella skeptisch.
»Keine Ahnung«, antwortet Josefin und schleudert einen haarigen Batzen Rasierschaum in die Badewanne. »Ich werde mir ein paar Themen überlegen.«
Das mit den Haaren ist eklig. Es ist, als ob sie nicht zu ihr gehören würden, als ob es sie beleidigen würde, weil sie aus ihrer Haut herauswachsen. Sie spült den Batzen schnell weg, er löst sich auf und schwimmt herum und verschwindet dann im Abfluss.
»Willst du einen Spickzettel mitnehmen? Was ist deine Lieblingsfarbe?«, zieht Ella sie auf. »Wer ist dein Idol?«
»Hoffentlich kriege ich kein Black-out«, murmelt Josefin und zieht mit dem Rasierer eine Spur im Schaum auf ihrem Bein.
»Hast du Haustiere? Was sind deine Hobbys? Wie wird man Anwalt?«, fährt Ella fort und wird unsicher, ob sie sich lustig macht, weil sie neidisch ist oder weil sie klüger ist als Josefin.
»Was schaut ihr euch heute Abend für einen Film an, du und deine Mutter?«, fragt Josefin tröstend.
»Gar keinen. Ich gehe auf ein Fest«, sagt Ella und zupft ihre Augenbrauen. »Zu Martina.«
»Fest? Ohne mich? Kommen auch Jungs?«
»Vielleicht. Er muss schon ziemlich gebraucht sein, dieser Opa«, sagt Ella bedächtig.
»Bist du neidisch?«
»Nicht auf meine beste Freundin.«
Ella würde sich nie von einem Sechsunddreißigjährigen mit einem Rettungsring über dem Gürtel ausführen lassen! So verzweifelt ist sie noch nicht!
»Übrigens muss er ja gebraucht sein, wenn er Erfahrung haben soll«, knurrt Josefin und trocknet ihre Beine ab.
»Die Frage ist nur, wie gebraucht. Er ist vielleicht geschieden. Vielleicht deswegen.«
»Was heißt ›deswegen‹?«, faucht Josefin und verlässt das Badezimmer.
Aus der Küche kommt der Geruch von Würstchen. Ganz normaler Essensgeruch. Zu Hause ist alles so normal. Helen fragt durch das Brummen der Dunsthaube, ob Josefin wie immer zu Ella geht und Video guckt.
»Wir gehen auf ein Fest«, antwortet Josefin. »Zu Martina.« »Hör auf! Du spinnst!«, zischt Ella.
»Ja, ja, ja, aber was hätte ich denn sonst sagen sollen?« Josefin schlüpft in ihr Zimmer, öffnet ihre Schminktasche und verschafft sich einen Überblick über das Make-up. Der Erfolg im Leben hängt von der Verpackung ab. Es kommt auf die Farben an, die Linien, den Lidschatten, Lippenstift und den Eyeliner. Und natürlich die Haare. Vervollständigt durch das Mienenspiel. Und Körpersprache. Und sonst noch was. Wenn man nicht die Verantwortung dafür übernimmt, ist man selber schuld, wenn das Leben misslingt. Man hat die Schuldigkeit, das Beste aus den Gaben zu machen, die man bekommen hat.
»Wie soll ich denn sein? Kühl, elegant, leidenschaftlich? Mystisch?«
»Selbstständig, ist doch klar!«, sagt Ella und zwickt sich mit der Pinzette in die dünne Haut an der Augenbraue.
»Aber ist das attraktiv?«, grimassiert Josefin und drückt sich getönte Creme in die Hand.
»Er will schließlich keine dumme Gans haben, oder?«
»Das bin ich nicht.«
»Das glaubt er bestimmt.«
»Und warum?«, faucht Josefin.
»Weil du zugesagt hast!«
Josefin zwängt sich in die Schlangenhaut mit Schlitz. Sie bekommt das Kleid fast nicht über die Hüften und sie muss vorne am Schlitz ziehen, damit das Dunkel zwischen den Schenkeln nicht allzu deutlich wird.
»Du meinst also, ich könnte für ihn nicht interessant sein?«
»Natürlich kannst du das, die Frage ist nur, ob er das weiß.«
»Ich mache nicht alles mit. Ich bin eine moderne Frau! Wir werden uns nur ein wenig unterhalten!«
»Selbstständig und frei. Opas in diesem Alter haben bestimmt noch nie solche Frauen getroffen. Die glauben das nur«, sagt Ella und schaut sich siegesgewiss im Spiegel an und stellt fest, dass sie noch ein bisschen Mascara braucht.
»Was ist, wenn er es sich anders überlegt? Und feststellt, dass ich langweilig bin?«, stößt Josefin voller Entsetzen hervor.
Sie ist vielleicht langweilig? Dass Ella sie nett findet, bedeutet ja nicht, dass auch andere es finden! Und schon gar nicht ein erwachsener Mann!
»Ich werde ein bisschen lässig sein«, beschließt Ella und zerzaust sich das Haar, damit es nicht so aussieht, als hätte sie sich Mühe gegeben gut auszusehen. Und noch ein wenig Puder auf die Nase.
Josefin bekommt Gänsehaut, obwohl ihr heiß ist.
»Stell dir vor, ich weiß nicht mehr, wie er aussieht?!«
»Und stell dir vor, was für schreckliche Sachen passieren können!«, warnt Ella.
»Er ist schließlich Anwalt!«, bemerkt Josefin.
»Aber wenn man ein bisschen nervös ist und zu Abend isst und versucht charmant und verführerisch zu sein, während man kaut und nichts verkleckern will und gleichzeitig spricht, da kann es leicht passieren, dass man zu viel Luft schluckt, weil man solche Angst hat, und wenn er einem dann später in den Armen liegt und der Bauch im Weg ist, und drückt er sich gegen einen und . . .«
Ella hüpft mit geschürztem Mund durchs Zimmer, aufgekratzt von all den Peinlichkeiten, die passieren können, und normalerweise hätte Josefin gelacht und sich noch Schlimmeres einfallen lassen.
»So etwas passiert nicht«, sagt sie jetzt trocken.
»Man muss sich mental auf alle Eventualitäten vorbereiten. Und wenn nicht wir über solche Dinge reden können, mit wem sollen wir dann reden?«
»Ich habe keine Lust jetzt über so was nachzudenken«, protestiert Josefin und tuscht aufgeregt ihre Wimpern.
»Es kann einem auch schlecht werden und man muss sich übergeben!«, erinnert Ella und lächelt sich verführerisch im Spiegel an.
»Warum das denn?«, grimassiert Josefin.
»Lebensmittelvergiftung.«
»Nein!«, wimmert Josefin.
»Und dann hat man Popel in der Nase, wenn man den Kopf verführerisch zurücklegt, und man stinkt aus dem kleinen Rosenmund: ›Ich liebe dich!‹«
»Warum musst du so gemein sein?«, fragt Josefin.
»Hast du mal darüber nachgedacht, dass wir alle eigentlich wandelnde Kack- und Kotzpäckchen sind?«
»Du blöde Sozialrealistin!«, protestiert Josefin.
»Findest du, dass ich kindisch bin?«, fragt Ella.
»Vielleicht ein bisschen.«
»Ich möchte nur, dass wir aufhören uns zu sehnen«, seufzt Ella.
»Du erreichst nur, dass ich mich noch mehr sehne«, stellt Josefln fest und knallt ihre Tasche mit dem Ersatz-Make-up zu und verlässt das Zimmer.
Draußen in der Küche dröhnt der Dunstabzug über den Essensgerüchen und die kleinen Geschwister decken den Tisch für einen stinknormalen Freitagabend.
»Oho, oho«, sagt Helen und hebt den Bratenwender. »So möchte man aussehen! Und unsereins kriegt bloß Würstchen!«
Julia läuft Josefin in den Flur hinterher und umarmt ihre Beine. Sie schaut mit glänzenden Augen zu ihrer großen Schwester hoch.
»Du bist so schön!«, flüstert sie. »Du siehst aus wie eine Prinzessin!«
Josefin dreht und wendet sich vor dem Spiegel, selbst überrascht von dem Ergebnis ihrer Bemühungen. Es ist genau wie bei ›Machen Sie das Beste aus Ihrem Typ‹. Ein schickes Kleid, Schminke und ein wenig Frisur – was für ein Unterschied! Sie sieht aus wie eine Frau von Welt! Man sieht überhaupt nicht, dass es nicht stimmt!
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