Max Abele hatte schon früh die Nase ständig in Büchern stecken, was ihn unheilbar phantasie- und kreativsüchtig werden ließ. Um diese Sucht zu befriedigen, wurde zunächst die Werbung sein Metier, bis er begann, eigene Welten in Form diverser Romane zu erschaffen. Geboren in Südamerika als Sohn eines ungarischen Vaters und einer ostpreußischen Mutter, lebt Max Abele heute in den Weiten der schwäbischen Pampa glücklich mit seiner Familie.
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.
© 2021 Emons Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagmotiv: Montage aus mauritius images/Heiko Osswald, stux/Pixabay.com
Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer
Umsetzung: Tobias Doetsch
Lektorat: Christiane Geldmacher, Textsyndikat Bremberg
E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-96041-807-8
Originalausgabe
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Dieser Roman wurde vermittelt durch die Montasser Medienagentur, München.
Der Schwabe im Moor
frei nach Annette von Droste-Hülshoff
O schaurig ist’s, übers Moor zu gehn,
wenn weiße Schwaden dich umwehn.
Wenn bleich der Mond am Himmel steht
und der Schwab’ im Grab sich dreht.
O schaurig ist’s, übers Moor zu gehn,
lässt sich der Tod doch gern dort sehn.
Wenn flüsternd sich das Schilf bewegt
und sich im Schlick der Schwabe regt.
O schaurig ist’s, übers Moor zu gehn,
wenn tote Schwaben auferstehn.
Hier geht der Kleeblattmörder um,
gibst du nicht Acht, macht er dich stumm.
Juni 1985
»Rerrp-rerrp! Rerrp-rerrp!«
Um Himmels willen, was war das denn? Entsetzt hielt der Mann den Atem an. Stocksteif stand er da und lauschte in die nächtliche Stille.
Da – schon wieder dieses grauenvolle Geräusch! Als ob jemand mit einem harten Gegenstand über die Zähne eines Kamms streichen würde. Aber wer schlich schon um diese Zeit mit einem Kamm durchs Moor? Ein Moorgeist vielleicht? Schwachsinn! Was für ein bescheuerter Gedanke.
»Rerrp-rerrp! Rerrp-rerrp!«
Schweiß perlte die Stirn des Mannes hinab, das höhnische Schnarren jagte kalte Schauer über seinen Rücken. Angestrengt starrte er den Steg entlang, der sich eintönig und schier endlos vor ihm erstreckte. Inmitten eines Schilfgürtels gelegen, führte er kerzengerade über das moorige Gewässer, verjüngte sich in der Ferne zu einem lang gezogenen, diffusen Trapez und verlor sich schließlich im nächtlichen Dunkel und im aufkommenden Nebel.
»Rerrp-rerrp!«
Nicht schon wieder! Der Blick des Mannes bohrte sich in das vom bleichen Mondlicht beschienene Schilfdickicht – von wo, zum Donnerwetter, kam bloß dieses irre Geräusch?
Zögernd ging er weiter und gelangte schließlich zu einer Stelle, an der sich Bäume, Sträucher und andere Gewächse rechts des Stegs den Platz mit den Schilfstängeln teilten. Links öffnete sich dem Blick das offene Gewässer des Federsees. Still und dunkel lag er da. Irgendwie heimtückisch, wie ein schlafendes Monster. Erneut blieb der Mann kurz stehen, diesmal, um sich zu orientieren. Wann, zum Henker, würde er endlich die Plattform am Ende des Stegs erreicht haben, die ihm als Treffpunkt benannt worden war? Wo er den »Geheimnisvollen« treffen würde, diesen bescheuerten, geldgeilen Sack, dem er noch nie zuvor persönlich begegnet war. Gerade wollte er weitergehen – als er erneut innehielt. Ziemlich weit vorne, dort, wo der Steg endete, direkt über dem Freiwasser, schien für einen kurzen Moment ein winziges gelbes Licht aufgeblitzt zu sein.
Ein Irrlicht? Eine Sinnestäuschung?
Der Mann spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Durchsichtige Nebelschleier, die wie besoffene Gespenster über die weitläufige Moorlandschaft torkelten, taten ihr Übriges, seinen Puls in die Höhe zu treiben. Selbst dem Vollmond, der schmutzig fahl am Himmel stand, schien die Angst ins Gesicht geschrieben – in seinem duckmäuserischen Licht nahmen sich die Gewächse wie die dunklen Silhouetten von Untoten aus. Wie die schwarzen Seelen derer, die ihrer schwarzen Taten wegen ins schwarze Moor verbannt worden waren. Vielleicht gab es sie ja wirklich, diese Spacken aus den alten Volkssagen. Die Untoten und Nachzehrer. Die Aufhocker und Hakenmänner. Steckte nicht in jeder Sage auch ein Körnchen Wahrheit? Sollte er ausgerechnet heute, an seinem zwanzigsten Geburtstag, das Opfer eines dieser nach Tod und Verwesung stinkenden Ungeheuer werden? Die, das Totenkopfgebiss bleckend, ihre Opfer hämisch grinsend auf den Grund des Sees hinunterzogen? Ihnen auf die Schulter sprangen und sie in die Fluten drückten, damit sie blubbernd in der sumpfigen Brühe ersoffen?
Nein, doch nicht er! Er, Anton Huber, von seinen Freunden Huber Toni genannt, der zukünftige Besitzer eines Millionenvermögens …
Aber halt! Vielleicht waren es ja gar nicht die Untoten, die etwas von ihm wollten. Vielleicht gab es ja noch eine andere Erklärung für das, was hier gerade abging. Eventuell wollte ihn nur jemand verladen. Ihm Angst einjagen. So eine richtige Verarsche mit ihm veranstalten. Jemand, der wusste, dass er heute Nacht hier sein würde. Aber wer? Etwa der, mit dem er sich hier treffen sollte?
Eigentlich undenkbar!
Und wenn doch? Was, wenn der Typ es sich anders überlegt hatte? Immerhin ging es um eine Menge Kohle. Konkreter: um ziemlich viel Kohle! Und Kohle verdirbt den Charakter. War derjenige, den er hier gleich treffen würde, etwa so blöd zu glauben, dass er ihm, dem Huber Toni, Angst einjagen und ihn in die Flucht schlagen könnte?
Erneut schnarrte es dunkel und geheimnisvoll aus dem Schilfdickicht. Abermals blitzte am Ende des Stegs direkt über dem See das winzige Licht auf. Geschätzte vier-, fünfmal hintereinander. Gegen seinen Willen erstarrte der Huber Toni aufs Neue.
Diese saublöde Inszenierung! Worauf hatte er sich da bloß eingelassen! Sich hier und heute zu dieser unchristlichen Zeit mit jemandem zu treffen, mit dem er sein Lebtag lang nie etwas zu tun gehabt hatte. Am liebsten hätte er kehrtgemacht und sich in seine Ulmer Stammdisco verkrümelt. Aber er hatte ein Vermächtnis zu erfüllen, er musste seiner Pflicht nachkommen, und er gehörte nicht zu den gewissenlosen Drecksäcken, die sich der Verantwortung entzogen. Außerdem, wie gesagt, ging es um Geld. Um sauviel Geld. Geld, das ihm, dem Huber Toni, nun mal zustand.
»Rerrp-rerrp! Rerrp-rerrp!«
Mist, elender! Er spürte, wie er in Wut geriet. Allmählich hatte er die Schnauze voll. Ob Untote oder andere ihm unbekannte Vollpfosten, sie konnten ihn mal. Und das kreuzweise!
»Saubleede Rendviecher, saubleede! Halbdaggl, elendige!«, brüllte er auf Schwäbisch in die moorige Nacht. Zum einen, um sich Mut zu machen, zum anderen, um ausnahmslos allen, die ihn kreuzweise konnten, die Meinung zu geigen. Gleich darauf präzisierte er auf Bayerisch: »Leckts mi doch am Oarsch, Saubagaasch, dreckerte! Kimmts her, i ziach eich an Scheitel mit der Schoassbirscht’n, dass’tser nimmer wissts, wias ihr hoaßts, damisch’s Dreckspack, damisch’s!«
Der Huber Toni war zwar ein wenig beschränkt, aber er war immerhin schwäbisch-bayerisch, also zweisprachig, aufgewachsen. Empfangen hatte ihn seine Mutter in Bad Buchau, geboren hatte sie ihn in Ulm, aufgewachsen war er in München und später wieder in Ulm. Auf diese Weise hatte er wunderschöne Zeiten sowohl in der bayerischen als auch in der schwäbischen Metropole verbracht und sich’s gut gehen lassen, ohne je mit Wiedergängern, Vampiren und anderen Untoten konfrontiert gewesen zu sein.
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