»Etz komm endlich, Bärle, hilf mir halt e bissle!«, drang Luises Stimme energisch durch die Schlafzimmertür. Offensichtlich befand sie sich im Flur.
»Wieso, was isch ’n?«, wiederholte Querlinger seine Frage eine Spur genervter.
»Frog net lang rum, komm einfach«, befahl Luise.
»Jawoll, Frau General!«, knurrte Querlinger. Mit einem Ruck erhob er sich, schlug die Bettdecke zurück, schwang die Beine aus dem Bett und inspizierte den Bettvorleger zu seinen Füßen.
»Wo sind meine Schlappen?«, rief er.
»Woher soll ich das wissen?«
»Ohne Schlappen mach ich keinen Schritt aus dem Schlafzimmer.«
Undefinierbares Rumoren. Schuhschranktür-auf-und-Zuklappen.
»Da!«
Die Schlafzimmertür ging einen Spalt weit auf, und die Schlappen flogen herein.
Da? Was sollte das denn!
»Bin ich vielleicht ein Hund, oder was?«
»Wieso ein Hund?«
»Dem wirft man den Knochen, den er fressen soll, auch einfach so hin!«
»Du sollst die Schlappen nicht fressen, sondern anziehen!«
Donnerwetter! Heute war das Mäusle ganz schön schlagfertig. Querlinger grinste.
Er schlüpfte gemächlich in die Schlappen und schlurfte in den Flur. Luise stand auf einer Trittleiter. Im Mundwinkel hatte sie einen Dübel stecken, in den Händen hielt sie einen Schlagbohrer.
»Also, was gibt’s, wozu brauchst du einen müden, erschöpften Marathontänzer wie mich?«, fragte Querlinger, obwohl sein kriminalistisch geschultes Auge natürlich längst bemerkt hatte, dass der Handwerker in ihm gefragt war. Der Spiegel mit Konsole, der an die Wand gedübelt werden sollte, stand auf dem Boden.
»Marathontänzer? Da muss ich ja lachen! Ein Walzer und ein Tango, das war’s. Beim Walzer bist du mir ständig auf die Füße gestiegen. Da hat dein Chef schon was Besseres hingelegt. Ein toller Tänzer!«, quetschte Luise zwischen den Zähnen hervor. Der Dübel im Mundwinkel hüpfte auf und nieder.
Sein Chef, der Fachinger! Natürlich! War ja klar, dass sie den mal wieder als leuchtendes Vorbild hinstellte.
»Ist auch das Einzige, was der Depp kann: tanzen! Ich brauch bloß an die Eiertänze zu denken, die der immer aufführt, wenn’s drum geht, bei schwierigen Ermittlungen Nägel mit Köpfen zu machen.«
»Mensch, Bärle, sei halt nicht so gemein! – Apopo Nägel. Komm halt her und hilf mir mit der Spiegelkonsole, du siehst doch, wie ich mich rumquäle.«
Sie nahm den Dübel aus dem Mundwinkel und stieg von der Trittleiter.
»Es heißt nicht apopo, sondern apropos, Mäusle«, belehrte Querlinger seine Frau. »Das ist Latein und bedeutet so viel wie: ›was dies oder jenes betrifft‹. Mit dem Hintern hat das nichts zu tun. Auch wenn du gerade an den Fachinger gedacht hast, dieses Ober–«
»Stopp, Bärle, jetzt ist aber Schluss, gell! Sag du mal ›apropos‹ mit ’nem Dübel im Mund. Außerdem: keine ordinären Sprüche an so einem schönen Sonntagmorgen. Nicht dass du noch die Stimmung verdirbst. Wo doch nachher die Weißeneggers kommen.«
Querlinger stand schon auf der Leiter, um das Loch in die Wand zu bohren, als er erstarrte. Arnulf und Pati Weißenegger! Der Möchtegernakademiker und seine verschrobene Alte. Die hatte er völlig vergessen. Das drohte ja ein sauberer Sonntag zu werden.
»Ähm … also … Mäusle, ich glaub … ich, ähm …«
Es bedurfte nur eines Blickes von Luise, um ihn jäh verstummen zu lassen. Hektische rote Flecken erschienen in ihrem ansonsten recht hübschen Gesicht. Kriegsbemalung!
»Ich will nix hören, gell! Du gehst mir heute nirgendwohin. Die Einladung steht seit drei Wochen, und was ausgemacht ist, ist ausgemacht. Dass des klar isch!«
»Ich hab doch gar nix g’sagt, was regst du dich so auf?«, ging Querlinger in Verteidigungsstellung.
Luises Zeigefinger schoss in die Höhe wie eine nordkoreanische Rakete. »Aber du wolltest was sagen. Und ich weiß auch, was! Aber daraus wird nix, dass des klar isch.«
Dass des klar isch! Dass des klar isch! Als ob nicht klar wäre, dass …
Der Klingelton seines Smartphones auf dem Garderobetischchen riss ihn aus seinen Gedanken.
Ein Hechtsprung, ein Blick aufs Display – die Nummer des Kriminaldauerdienstes! Hoffnung keimte in Querlinger auf. Er drückte die grüne Taste.
»Querlinger! Was gibt’s?«
»Oh, Herr Hauptkommissar, ’tschuldigung, jetzt hab ich mich glatt verwählt. Sandra Michelsen vom KDD. Ich wollt eigentlich Frau von Eulenburg sprechen, die hat ja heute Bereitschaftsdienst. Entschuldigen Sie, aber das ist mir jetzt peinlich und –«
»Nein, nein, passt schon. Was gibt’s denn?«
»Menschliche Skelettreste, die man im Federsee bei Bad Buchau entdeckt hat. Die da auf dem Grund liegen. Die Kollegen vom Kriminalkommissariat Biberach haben angerufen und darum gebeten, dass wir jemanden schicken; die haben nämlich einen personellen Engpass …«
»Was? Um Himmels willen, das ist ja entsetzlich!«, brüllte Querlinger in sein Smartphone und schielte aus den Augenwinkeln zu Luise, die völlig verdattert neben der Leiter stand.
Die Beamtin vom KDD schien nicht minder verdattert.
»Was meinen der Herr Hauptkommissar, was ist entsetzlich? Dass die einen personellen Engpass haben?«
»Nein, generell. Das mit den Skelettfunden.«
»Ach so, ja, ähm … also na ja … ich wollt eigentlich sagen, die Frau Hauptkommissarin, Hauptkommissar Feigl und Oberkommissar Bödele sind schon am Fundort. Die Kollegen von der Kriminaltechnik auch. Ich wollt der Frau Hauptkommissarin nur eine zusätzliche Information nachreichen, nämlich dass sie –«
»Bin schon auf ’m Sprung. Ich ruf Sie von unterwegs an, Sie geben mir dann die Koordinaten durch!«, brüllte Querlinger und beendete kurzerhand das Gespräch. Jetzt war Glaubwürdigkeit angesagt. Zitternde Stimme: »Mäusle. Ich … Was soll ich sagen? Die verdammte Pflicht ruft mal wieder. Sie haben im Federseeried bei Bad Buchau eine Leiche entdeckt, vielleicht sind Kinder drunter – Ogottogott! Sorry, aber sag den Weißeneggers, dass es mir wahnsinnig leidtut. Ich muss mich jetzt anziehen. Das mit der Spiegelkonsole machen wir später.«
Der Kommissar stellte seinen Wagen auf dem Parkplatz beim Federseemuseum ab. Vier weitere Fahrzeuge, darunter der Mercedes Sprinter der Spurensicherung und ein Streifenwagen, hatten sich bereits vor ihm hier eingefunden. Der Mini Cooper gehörte seiner Kollegin Janine von Eulenburg. Auch der BMW des Kollegen Bödele stand da.
Es war ein herrlicher, wenn auch etwas kühler Tag. Blauer Himmel, Sonnenschein, ein leises Lüftchen wehte. Querlingers Ziel war der Federseesteg, der einzige Zugang zu dem unter Naturschutz stehenden Gewässer. Am Ende des Stegs, so hatte ihn die Kollegin vom KDD unterrichtet, gab es eine Plattform, wohin die menschlichen Überreste des unbekannten Toten nach der Bergung gebracht worden waren. Etwa fünfzehn bis zwanzig Minuten würde er brauchen, um zur Plattform zu gelangen. Vorausgesetzt, er ließ es einigermaßen gemächlich angehen, was er auch vorhatte. Schließlich war er ja offiziell gar nicht im Dienst.
Beim Streifenwagen lümmelten mehrere Schutzpolizisten herum, die sich prächtig zu amüsieren schienen. Einer hatte gerade einen Witz erzählt, über den sich die anderen ausschütteten vor Lachen.
Querlinger trat auf sie zu, grüßte und zückte seinen Dienstausweis.
»Wer hat das Skelett entdeckt?«, fragte er.
»Zwei Studenten, die grad ihr Praktikum machen, Herr Hauptkommissar«, sagte der, der den Witz erzählt hatte.
»Aha, und was studieren die?«
»Vermessung und Geodateninformatik.«
»Und wie kommen die dazu, im See ein Skelett zu entdecken?«
»Die waren am frühen Morgen mit einem Boot unterwegs, um für eine Geodatenstelle ein paar GPS-Daten abzugleichen. Dabei haben sie irgend so einen Stab in den Grund gerammt, um Tiefenmessungen vornehmen zu können. Als sie ihn wieder rausgezogen haben, hing ein Totenschädel dran. Daraufhin ist einer von denen runter und –«
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