Ulrike A. Kaunzner - Die Stimme als Zeitzeugin – Werberhetorik im Hörfunk

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Der Stimme kommt im Hörfunk eine bedeutende Rolle zu – sie prägt bis heute die Verkaufsstrategien dieses Werbeträgers und hat sich seit Beginn des Rundfunks stark verändert. Stimmen legen Zeugnis ab über gesellschaftliche Desiderate, soziale und wirtschaftspolitische Umstände; sie drücken die Gestimmtheit der Sprechenden aus und charakterisieren Rollenverhältnisse und Klischees. Dabei sind die deutlichsten Veränderungen bei weiblichen Stimmen zu verzeichnen.
Die Autorin untersucht Werbespots unterschiedlicher Produktgruppen ab den 1950er Jahren, wobei neben der sprechwissenschaftlich-phonetischen Charakterisierung der Sprechstimmen die Frage nach der Rolle der Stimme als Zeitzeugin in der Verkaufsrhetorik gestellt wird. Der Band richtet sich an Studierende und Lehrende der Fächer Sprech- und Sprachwissenschaft.

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Ulrike A. Kaunzner

Die Stimme als Zeitzeugin - Werberhetorik im Hörfunk

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Umschlagabbildung: Retro old microphones for press conference or interview on the desk. BrAt83 © Adobe Stock

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.dnb.deabrufbar.

© 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

www.narr.de · eMail: info@narr.de

ISBN 978-3-8233-8269-0 (Print)

ISBN 978-3-8233-0326-8 (ePub)

„Sprich, damit ich dich sehe.“ (Sokrates)

Vorwort

Seit etlichen Jahren ist es mir ein Anliegen, das Thema Stimme und Sprechweise historisch zu beleuchten. Schon zu Studienzeiten – vor allem im Rahmen meines Zusatz-Studiums der Sprechwissenschaft und -erziehung – faszinierte mich die Thematik. Als Mitglied des Regensburger Verbands für Werbeforschung erkannte ich den potenziellen Reichtum des Historischen Werbefunkarchivs der Regensburger Universitätsbibliothek, das die Quelle für meine Untersuchung darstellt. Die diachrone Analyse von drei Produktgruppen wurde schließlich zum Ausgangspunkt für eine umfassendere Studie, die das Genre Werbespot als historischen Beleg und gesellschaftliches Stimmungsbarometer, und speziell die Stimme als Zeitzeugin betrachtet.

Ein großes Dankeschön gilt Dr. Christoph Draxler für die Online-Umfrage, Prof. Dr. Sandra Reimann und Dr. Christian Gegner für konstruktive Gespräche. Eine wertvolle Bereicherung war der Austausch mit Prof. Dr. Antonie Hornung, Prof. Dr. Bernhard Schwetzler und Dr. Valentino Sani. Ich möchte weiter allen danken, die bei der Transkription, der Analyse, der Interpretation der Werbespots und der Korrektur geholfen haben: Eva Maier, Christiane Portele, Livia Seeber, Hannes Philipp, Kristina Scherzer, Martina Sauer, Dr. Marcus Sauer und nicht zuletzt meinem Mann für seine Unterstützung.

Immer mehr interessante Aspekte taten sich im Laufe der Untersuchung auf, so dass eine Eingrenzung der Fragestellungen von Nöten war. Die vorliegenden Ergebnisse sind folglich zugleich als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen zu verstehen, was nicht zuletzt durch den regen Anklang bei öffentlichen Medien deutlich wurde.

Regensburg im Mai 2021 Ulrike A. Kaunzner

1 Einführung: Reflexionen über Stimme

Die Stimme sagt vieles über die Sprecherin bzw. den Sprecher1 aus, der StimmklangStimmklang und das Gesagte beeinflussen die Hörenden, sind Moden und Gemütsschwankungen unterworfen; man spricht von „stimmig“, wenn die Stimme zu dem, was man sagt, passt. Stimme kann Indikator für Wahrheit sein (dann „stimmt“ das, was man sagt), bietet schließlich die Möglichkeit der Meinungsäußerung (man will eine „Stimme abgeben“). Das Wortfeld Stimme hat immense Ausmaße und Bedeutungsebenen, von denen im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) vier Bedeutungsgruppen herausgefiltert werden:2

1 Stimme physiologisch als „durch Schwingungen der Stimmbänder im Zusammenwirken mit Resonanzerscheinungen erzeugte Laute und Töne“, sei es in Bezug auf die SprechstimmeSprechstimme als auch auf die Singstimme, auf die Stimme bei Menschen und Tieren;

2 Stimme in der „Musik“, wenn in der Vokalmusik die Stimmen in einem Lied (z.B. Sopran oder Bass) oder in der Instrumentalmusik die unterschiedlichen Musikinstrumente einer Partitur und die diesen zugeteilte Melodie gemeint sind;

3 Stimme als „Meinungsäußerung, Willensbekundung“, die eine qualitative Bedeutung hat und für die Meinung einer Person steht, die beispielsweise kritisch, zweifelnd, wohlgesonnen oder neutral eingestellt sein kann; man spricht auch von der Stimme des Herzens, der Vernunft, des Gewissens etc.;

4 Stimme als „Willensäußerung des einzelnen bei einer Abstimmung, Wählerstimme“, wobei hier die Quantität im Vordergrund steht.

Der Stimme wurde schon in der antiken RhetorikRhetorikantike im Schritt der pronunciacio Pronunciacio gebührende Bedeutung beigemessen; sie rufe im Hörer Gefühle und Stimmungen hervor, die für die Wirkung auf andere ausschlaggebend seien. Diese schon von QuintilianQuintilian und anderen griechischen und römischen Rhetorikern beschriebenen Eigenschaften galt es bereits in der Antike in Rede und Schauspiel zu entfalten. Sie seien, so Meyer-Kalkus (2008, S. 681), bis heute von unverminderter Aktualität, auch bei audiovisuellen MedienMedienaudiovisuelle.

Die Vorstellungen, die über Stimme, Sprechstil und Sprache transportiert werden, setzen Werbefachleute gezielt bei ihren Verkaufsstrategien ein, um ihre potenziellen Kunden und Käufer anzusprechen. Werbespots aus früheren Jahren sind somit nicht zuletzt historische Zeugnisse gesellschaftlicher, sozialpolitischer und wirtschaftspolitischer Umstände und Desiderate; sie drücken die Stimmung der Sprechenden aus und charakterisieren Rollenverhältnisse und Klischees.

Beim Hörfunk, der von einer doppelten Kommunikationssituation, nämlich der mündlichen und zugleich medialen, geprägt ist, steht das Gehörte, also die Stimme, der StimmklangStimmklang und die Sprechweise, im Mittelpunkt jeglicher Kommunikation; man spricht sogar von „StimmästhetikStimmästhetik“ als Teil der „Ästhetik der Rundfunkwerbung“. WerberhetorikRhetorikWerbe- als Form von Wirtschaftsrhetorik beschäftigt sich mit Medien, wobei der Hörfunk das wohl bedeutendste der audiovisuellen Medien in den Jahren der Nachkriegszeit bis zum Aufkommen des Fernsehens und dem Anbruch des darauf folgenden digitalen Zeitalters darstellt. MehrmedialitätMehrmedialität in der Werbung ist ein in jüngerer Zeit in den Fokus gerücktes Phänomen und hat die WerbeindustrieWerbeindustrie revolutioniert (vgl. Reimann, 2008). Nach und nach hat sich die Werbung von audio- auf videogestützte Werbeträger verlagert, und das, was früher mit Hilfe des Tons kreiert wurde, übernimmt heute das Bild direkt.

Dass aber gerade die Stimmen von Frauen zurzeit im besonderen Interesse der Forschung stehen, ist kein Zufall. Hat doch Stimme viel mit Selbstdarstellung und Selbstoffenbarung zu tun. Vor allem die Stimmlage, in der sich die Stimme den Hörenden offenbart, lässt auf die dahinter stehende Person schließen; und nicht nur das, sie enthüllt auch Trends, Moden und Konventionen, deren Zeugin sie ist. Erst seit der Erfindung des Phonographen 1877 durch Thomas Alva Edison kann die Stimme als Zeitzeugin auftreten, war sie vorher nicht speicherbar gewesen.

1.1 Untersuchungsgegenstand und Begriffsdefinitionen

Die vorwiegend sprechwissenschaftlich verortete Arbeit lässt sich thematisch an einer interdisziplinären Schnittstelle zwischen Rhetorik, Phonetik, Werbung und Medien positionieren. In ihr geht es, bis auf wenige Vergleiche und Exkurse in einzelnen Passagen, ausschließlich um Hörfunkwerbung und um ihre Bedeutung in der SprechwissenschaftSprechwissenschaft und MedienwissenschaftMedien-wissenschaft. In der gegenwärtigen Werbeforschung gibt es wenige Untersuchungen zur Stimme in der Hörfunkwerbung (siehe hierzu Stöckl, 2007). Die linguistische Forschung stellt sprachwissenschaftliche, aber kaum sprechwissenschaftliche Untersuchungen in den Fokus, so dass die Untersuchung von Stimme und SprechweiseStimmeund Sprechweise in der Hörfunkwerbung als Desiderat angesehen werden kann.

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