Die Rednerin vor Mikrofon und Kamera und ihre Zuhörer am Lautsprecher sind einerseits in scheinbarer Nähe : Die sprachliche Gestaltung (von Lautstärke und Rhythmus über die Wortwahl bis zur Wahl der Gattung) muß deshalb von herkömmlichen Formen öffentlicher Rede abweichen. Andererseits sind Redner und Publikum dennoch getrennt , die Rede kann also nicht wie im unmittelbaren Publikumskontakt durch Zuhörerreaktionen reguliert werden […]. (Häusermann, 1995, S. 30)
Bei der MedienkommunikationMedien-kommunikation muss weiter bemerkt werden, dass ein einseitiges Abschalten möglich ist. Ist die Kommunikation (im Fall der Hörfunkwerbung das Wecken des Interesses mit Bereitschaft zum Zuhören und schließlich die Überzeugung zum Produktkauf) nicht gelungen, schalten die Zuhörer das Radiogerät aus. Ein verständlicher, attraktiver Sprach- und Sprechstil, eine sympathische Stimme und argumentativ wirkungsvolle und ansprechend inszenierte Kommunikation sind daher vonnöten.3
Von den drei in der Tradition der klassischen RhetorikRhetorikklassische stehenden Wirkungsarten rhetorischer Kommunikation steht, je nach Situation und Kommunikationsabsicht, immer eine im Vordergrund: das Informieren ( docere Docere), das Unterhalten ( delectare Delectare) oder das Überzeugen ( movere Movere). „Handlungsauslösung […] – sei es Mitdenken oder reales Mittun – ist das Ziel jeglicher rhetorischer Kommunikation“ (Geißner, 1986, S. 120). Je nach Medium und – im vorliegenden Fall – Art der Sendung kommen all diese rhetorischen Ziele in der Medienrhetorik zum Einsatz, wobei das Wirkungsziel der Persuasion im Werbesektor überwiegt. Wird das Publikum (die potenziellen Kunden oder Käufer) überzeugt, erfolgt die Handlungsauslösung, meist in Form des Produkterwerbs.
Medienrhetorik im Hörfunk, wie sie im vorliegenden Band behandelt wird (mit Fokus auf dem Phänomen Stimme), untersucht folglich die intentionalen Mitteilungshandlungen des Sprechens im Kontext Werbung und zielt demnach auf die entsprechende Beeinflussung der Hörer. Die im Persuasionskonzept eingesetzten Ausdrucksmittel umfassen neben der Stimme auch Musik und Geräusche.
2.3 Radiorhetorik und Radiowerbung
In der Radiorhetorik werden Kommunikationsbedingungen und Wirkungsmöglichkeiten des Massenmediums Hörfunk aus rhetorischer Sicht beschrieben und analysiert. Konkret geht es um die medienspezifische Wirksamkeit sprecherischer, sprachlicher und klanglicher Einheiten in ihrem Zusammenwirken beim Programmgeschehen. (Bose, 2016, S. 157–158).
Das von Ines Bose hiermit umrissene Fachgebiet der Radiorhetorik Radio-rhetorik deklariert sie zugleich als Desiderat für weiterführende Forschungen und weist auf Nachbardisziplinen wie KommunikationsforschungKommunikationsforschung, MedienwissenschaftMedien-wissenschaft, Publizistik und SprachwissenschaftSprachwissenschaft hin, die sich mit den für die Rhetorik des Radios charakteristischen Profilen der MündlichkeitMündlichkeit, der Öffentlichkeit und der Gleichzeitigkeit von PerformanzPerformanz und RezeptionRezeption auseinandersetzen.
Der oben erwähnte Doppelcharakter von NäheNähe und DistanzDistanz kommt hier, wie beim Fernsehen, deutlich zum Tragen. Das Publikum ist einerseits als direkte Hörergruppe anwesend, aber nicht körperlich, so dass eine räumliche und bei aufgezeichneten Sendungen auch eine zeitliche Distanz vorliegt, denn „die Radiohörer […] sind sich sowohl näher als auch ferner als Redner und Hörer in einer nicht medial vermittelten Veranstaltung“ (Bose, 2016, S. 155).
Im Rahmen der Radiorhetorik wird aus sprechwissenschaftlicher Sicht eine Reihe an Fragen diskutiert, die unter anderem folgende Punkte betreffen:1
Die rundfunkspezifische Sprechtechnik am Mikrofon;
Die Verwendung einer normgerechten Standardaussprache nach Kriterien allgemeiner Richtlinien, wobei z.B. bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts Theodor SiebsSiebs Deutsche Aussprache als Standardwerk galt;2
Stimme, Sprechstile und Hörerwirkung unterschiedlicher Sendeformen;
HörverständlichkeitVerständlichkeitHör- und die damit verbundenen Kriterien sinnvermittelnden Sprechens (siehe auch Gutenberg, 2005);
Allgemein die Frage nach Radio-ÄsthetikÄsthetikRadio und ihres Wandels in der Zeit;
Profil und Aufgaben der Radio-Moderation;
Fragen der KompetenzKompetenz-Vermittlung in der radiorhetorischen Aus- und Fortbildung: Techniken zum Scheiben fürs Sprechen, Sprechen fürs Hören (Geißner & Wachtel, 2003; Wachtel, 2013; 2009).
Der mündliche Text im Radio, das durch die menschliche Stimme Vermittelte, kann in den meisten Sendungen als „sekundäre OralitätOralität, sekundäre“ bezeichnet werden, d.h. es handelt sich um gesprochene Sprache, die z.B. auch im Fall von Werbespots, konzeptionell schriftlicher Natur ist, also auf der Basis von schriftlich Vorgeformtem (und damit Vorgelesenem) beruht. Zum Erzielen der rhetorischen WirkungWirkung, rhetorische und der Überbrückung der Distanz bekommen (Hintergrund-)Geräusche, Musik und andere Wirkungsmittel besondere Bedeutung und helfen, den Eindruck von unmittelbarer Teilnahme zu verstärken.
Die klassische Radiowerbung Radio-werbung, mit Persuasion ( movere Movere) und Handlungsauslösung als rhetorischen Auftrag manifestiert sich in der Regel in Form von Spots von 20 bis 30 Sekunden, wobei die Länge der Werbespots im Laufe der Zeit zurückgegangen ist.
Wenn auch die Sender der WerbebotschaftWerbebotschaft (als Autoren oder Sprecher) ihr imaginäres, anonymes Publikum (ihre potenziellen Käufer) mehr oder weniger direkt anzusprechen wissen und dabei Nähe suggerieren, entscheiden diese selbst, ob sie zuhören oder nicht. Um letzteres zu vermeiden, muss die Aufmerksamkeit geweckt werden. Werbung muss auffallen, um das Publikum zu erreichen.3 „Radiowerbung ist zwangsläufig monosensuelle Werbung und daher vergleichsweise reizarm“ (Stöckl, 2007, S. 179). Im Radio, das nur akustische Wirkung erzielen kann, geschieht eine „Reizung“ der Aufmerksamkeit und ein Erzeugen von Wirkung besonders durch die Stimme. Alles, was im Fernsehen über den visuellen Kommunikationskanal übertragen wird (Gestik, Mimik, Körperhaltung, Bewegung etc.), fällt hier weg und muss auf andere Weise suggeriert werden; in erster Linie über Dialoge und Szenen.
So kommt der StudiotechnikStudiotechnik und dem Einsatz von MusikMusik, Tönen und Geräuschen eine ähnlich wichtige Rolle zu wie der Stimme. Gerade in diesem Bereich kann man eine erhebliche Entwicklung verzeichnen, wenn wir Hörfunk-Werbespots ab den 1950er Jahren analysieren. Bose (2016, S. 163) weist auf die unterschiedlichen Elemente hin, die das klangliche Profil eines Senders oder Programms ausmachen und für Hörerentscheidungen von Bedeutung sind:
Themenwahl und journalistische Aufmachung, sprachliche und stimmlich-sprecherische Gestaltung, Musikfarbe und Verpackungselemente (z.B. Jingles, Tease), die mikrostrukturelle klangliche Gestaltung (sog. Broadcast Sound Design), z.B. technische Signal-Modifikationen (Wellenkompression, technische Überformungen der Stimmen), Rhythmus, Anzahl und Relation der Sendeelemente.
Nachfolgend wird ein kurzer Abstecher in die Formen und Funktionen von MusikMusik und GeräuschenGeräusche in der Radiowerbung gemacht, bevor die Rolle der Stimme näher beleuchtet wird. Dem schließt sich ein Blick auf Werbeformate im Hörfunk und auf Persuasionsstrategien an, derer sich die Werbung bedient.
2.3.1 Musik und Geräusche als Werbemittel
MusikMusik und GeräuscheGeräusche werden eingesetzt als Ergänzung bei der Informationsvermittlung und zur Optimierung der Werbewirkung. Die auf drei Zeichenmodalitäten verteilten kommunikativen Aufgaben in der Radiowerbung fasst Stöckl (2007, S. 182) zusammen:
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