Ulrike Haidacher - Die Party

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Eine Party läuft aus dem Ruder.
Eine Softeisverkäuferin landet durch Zufall auf einer Party, die sich als biedere Kochveranstaltung im Elternhaus eines Regisseurs herausstellt. Der Parade-Feminist und Egozentriker belehrt seine Gäste in langen Monologen und Bernhard-Manier, darunter eine 30-jährige Juristin und «Powerfrau» sowie ein weltverbesserisches Trachten-Pärchen. Während Prosecco getrunken und Rohschinken gegessen wird, diskutieren die Partygäste über «starke Frauen» und Frauenquoten. Dabei fallen die Figuren nach und nach aus ihrer Rolle, nimmt das Themenkarussell so schnell Fahrt auf, dass nicht nur der Softeisverkäuferin schwindlig wird. Bis zur Eskalation ist es nur eine Frage der Zeit. Die gefeierte Kabarettistin Ulrike Haidacher entwickelt in ihrem Debutroman eine «Sogkraft», der sich niemand entziehen kann. Garniert mit Übersteigerung und originellem Sprachwitz vollführt der Text die hohe Kunst der Komik, die geradewegs in die Tragödie schlittert. Eine Party, die man nicht so schnell vergisst!
"Der Zeitpunkt, an dem auf einer Party Pop-up-Schürzenstände aufgebaut werden, kann als der Moment gesehen werden, eine Party guten Gewissens zu verlassen, man muss nicht immer bis zum bitteren Ende bleiben."

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ULRIKE HAIDACHER

Die Party

EINE EINKREISUNG

ROMAN

Die Party war an dem Tag an dem ich eigentlich zu meiner Schwester fahren - фото 1 Die Party war an dem Tag an dem ich eigentlich zu meiner Schwester fahren - фото 2

Die Party war an dem Tag, an dem ich eigentlich zu meiner Schwester fahren wollte. Es ist nämlich so: Meine Schwester redet nicht mehr mit mir. Nein, man muss es anders zu erzählen beginnen: Ich habe jetzt eine Arbeit. Eine Arbeit, die offiziell als seriös bezeichnet werden kann. Ich bin Lektorin. An der Uni. Das liegt natürlich am Studium, das ich abgeschlossen habe, aber wie ich dann genau Lektorin geworden bin, das kann ich mir jetzt auch nicht immer so genau erklären.

Es ist eine Arbeit, die schon passt, aber nur weil etwas passt zu einem, heißt das noch lang nicht, dass man auch Geld damit verdienen kann. Also genug Geld jetzt. Ist ja nicht so, dass das Leben nichts kostet, und wer will nicht ein bisschen leben? Ich auf jeden Fall schon, also leben will ich, ein bisschen zumindest, habe ich mir gedacht, darum habe ich den Job an der Softeismaschine in dem Innenstadt-Restaurant auch nie aufgegeben. Während des Studiums nicht und danach auch nicht. Also jetzt weniger wegen Vernunft und Vorsorge habe ich diesen sicheren Job mit immerhin neun Euro in der Stunde nie aufgegeben, sondern weil ich das mit dem Kündigen immer aufgeschoben habe, auch nach dem abgeschlossenen Studium. Nicht, weil ich zu faul war zum Kündigen oder es vergessen hätte, sondern weil mir die Leute, die mit der Softeismaschine verbunden sind, leidgetan hätten, weil sie mir ja den Job einmal gegeben haben, und wenn mir jemand einmal etwas gegeben hat, will ich dem gleichen Menschen mich auch nicht wieder wegnehmen. Einmal, da hätte ich fast gekündigt, aber dann hat die Restaurantbesitzerin, eine freundliche Frau mit einer Frisur, die an eine vergangene Zeit erinnert, „schade“ gesagt, und wer will schon, dass jemand etwas wegen einem schade findet, wer will schon einen Menschen enttäuschen, der einen mag.

Und nach einiger Berufserfahrung an der Softeismaschine und vielen Überlegungen, was ich stattdessen machen könnte – es muss doch etwas geben, was man auch für mich als „richtigen Beruf“ bezeichnen kann, das hat man mir immer wieder mit fordernden Blicken gesagt, etwas „meiner Bildung Gemäßes“, „etwas Ordentliches“, einen Beruf, in dem Begriffe wie „Teambuilding“ oder „Aufstiegschancen“ oder „Karriereleiter“, „Anständigkeit“ und „Ehrlichkeit“ vorkommen – je mehr ich darüber nachgedacht habe, und je länger die Softeismaschine, die schon immer für mich da war, die man aber gemeinhin Nebenjob oder Studentenjob oder Übergangsjob nennt, wahrscheinlich weil sie kein Büro beinhaltet und keine Begriffe wie Teambuilding oder Aufstiegschancen oder Karriereleiter, sondern nur eine Softeismaschine und mich, je länger sie also zu meinem einzigen Job geworden ist, desto mehr Freude hat sie mir gemacht, und desto mehr habe ich für mich entschieden, sie von einem Job zu einem Beruf werden zu lassen, weil es schön sein kann, Menschen, die ich privat nie kennenlernen wollen würde, eine Freude mit einem Eis zu bereiten. Menschen, die sich auf dem Weg in ihre seriöse Arbeit noch ein gutes, cremiges Eis gönnen, dem sie nicht widerstehen können, von dem aber niemand wissen darf, dass sie es nicht können, bei dem sie gut darauf achten müssen, dass es nicht auf ihre seriöse Kleidung tropft, und das manchen so gut schmeckt, dass sie danach nicht mehr zufällig vorbeikommen, aber immer noch so tun, als wäre es zufällig, so erstaunt bemerken sie jedes Mal aufs Neue, dass sich in der Auslage des Restaurants jetzt eine Eismaschine befindet, und sie fragen mich jedes Mal unverbindlich nach dem Preis, bevor sie auffällig schnell über die Sorten in meinem Sortiment, das zugegebenermaßen nicht besonders groß ist, Bescheid wissen, zugreifen, das Eis bis zur nächsten Straßenecke in ihre Mägen leeren, oft schon um neun am Vormittag, schnell einen Blick in einen Autospiegel werfen, ob man ihren Mundwinkeln das Eis auch nicht mehr ansieht, und dann in ihrem Alltag verschwinden.

Es ist eine Freude, diese Menschen dabei zu beobachten, wie sie es sich gut schmecken lassen, und zu sehen, wie jeder auf seine individuelle Art mit dem Eisverzehr umgeht, es ist eine Freude, diese Menschen dabei so kennenzulernen, wie es außer mir sonst sicher niemandem gestattet ist, wer außer mir sieht Menschen mit strengem Gesicht, gut frisiertem Haar und korrekter Kleidung gleich bei einem ersten Treffen ein gutes Eis genießen? Außerdem kann es eine Freude sein, kein seriöses Kostüm tragen, ein Team nur mit einer Eismaschine builden zu müssen, vor der ich mein Eis auch nicht verstecken muss, nebenbei über Dinge nachdenken zu können, zum Beispiel darüber, wie das mit meiner Schwester passieren hat können, manchmal sogar ein wenig in einem Buch zu lesen und Zukunftspläne für mich und die Eismaschine zu machen.

Und als ich an einem kühleren Vormittag viel Zeit gehabt habe, mit meiner neuen Entscheidung, einen Job zu haben, den ich ab jetzt Beruf nennen will, zufrieden zu sein, ist aus dem Nichts der Anruf direkt von der Uni gekommen, die meinen Kontakt noch von einer Bewerbung gehabt hat, an die ich mich zu dieser Zeit schon gar nicht mehr erinnern habe können, aber jetzt haben sie angerufen, dass sie genau jetzt dringend jemanden brauchen zum Unterrichten, jemand ist ausgefallen und sie finden sonst niemanden, also es ist zwar nur für ein Semester und auch nicht wirklich so bezahlt, dass man davon leben könnte, aber immerhin eine Erfahrung und eine Chance auf mehr, und wie aus Reflex habe ich von einer Sekunde auf die andere vergessen, dass ich ja schon zufrieden war, mit dem was ich habe, und habe zugesagt. Was bei näherer Überlegung aber auch wieder nicht so schlecht war, weil, nur weil die Softeismaschine mir Freude bereitet, heißt das wie gesagt eben nicht, dass man von ihr leben kann, also kann es auch nicht schaden, für ein paar Monate einen Nebenjob zu haben, um mir diese Freude quasi zu ermöglichen. Es muss die Softeismaschine ja nicht für immer ein Nebenjob sein, mit dem Alter darf sich auch etwas ändern und so eine Uni kann zum Nebenjob von einer Softeismaschine werden.

Auf jeden Fall habe ich an diesem Tag, also an dem Tag, an dem ich eigentlich zu meiner Schwester fahren wollte, nach dem Unterrichten – was mir übrigens nicht schlecht gefallen hat, aber vielleicht nur deshalb, weil das Wissen in mir war, dass es in ein paar Monaten wieder vorbei sein wird – an der Softeismaschine gearbeitet. Und der Zufall war ein unglücklicher, weil ich an genau diesem Tag ein Buch mitgenommen habe, was ich sonst nie mache, also ein Buch mitnehmen, nein, lesen eigentlich auch nicht, also schon, sicher lese ich, aber ungern Bücher in letzter Zeit, was am Studium und dem Unterrichten liegen muss, aber weder das eine noch das andere dürfen meine Studierenden wissen. Aber an diesem Tag habe ich eben dieses Buch mitgenommen. Vielleicht war das das Unglück im Zufall oder auch das Glück, das kommt jetzt auf die Sichtweise an, dass es genau dieses Buch war, das ich mitgehabt habe. Das Buch habe ich nämlich zum letzten Geburtstag gekriegt, nicht nur einmal habe ich es gekriegt, nein, zweimal sogar, weil es eine Autorin geschrieben hat, „stell dir vor“, haben die Verwandten zu mir gesagt, „auch eine Frau ist die, so wie du, und jung ist sie auch, so wie du, und studiert hat sie auch, so wie du, und so ein freches Gör ist sie auch, so wie du.“ Wirklich, da waren überall Berichte über sie, über die Autorin, dass sie frech ist, aber auch schlau, dass sie einen tiefschwarzen Humor hat und mit ihrem österreichischen Frauenfinger in Wunden bohrt, in die sich sonst keiner zu bohren traut, nicht einmal ein normaler Männerfinger traut sich so zu bohren, aber sie traut sich das, die Frau, und das, obwohl sie jung ist und eine Frau, und studiert hat sie auch und ist auch noch frech dabei. Und wirklich schlau, ob das schon erwähnt worden ist, dass sie wirklich schlau ist? Und trotzdem schön? Und wirklich mutig, weil so was wie sie traut sich ja sonst niemand zu sagen! „Du, und da haben wir uns gedacht, das passt gut zu dir, vielleicht inspiriert es dich zu etwas Höherem als zur Eismaschine.“

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