In dieser schwierigen Situation richtete sich die Hoffnung der Päpste auf Pippin III. (den Jüngeren). Der war nach dem Verzicht seines Bruders Karlmann, des Hausmeiers von Austrien (die Gebiete um Aachen, Tournai, Köln, Fulda und Metz), seit 747 alleiniger Hausmeier und faktisch Regent im ganzen Frankenreich. 751 setzte er Childerich III., den letzten merowingischen Herrscher, ab und ließ sich in Soissons zum König ausrufen. Ende 753 fasste Papst Stephan II. den Entschluss, Pippin um Hilfe zu bitten. Als erster Nachfolger Petri überquerte er die Alpen. Pippin empfing ihn am 6. Januar 754 in der champagnischen Pfalz Ponthion. Der König demonstrierte bei dieser ersten Begegnung keine Macht, sondern zeigte Stil. Er fiel vor dem Papst auf die Knie und führte das Pferd des Besuchers ein Stück weit am Zügel. Dieser ›Stratordienst‹ hatte vermutlich im (byzantinischen?) Kaiserzeremoniell seinen Ursprung. Schon am folgenden Tag jedoch bot sich den Höflingen ein völlig anderes, realistischeres Bild. Der Papst erschien im Bußgewand vor dem König und bat ihn, die Stadt Rom von den Langobarden zu befreien. Die Entscheidung fiel am 14. April 754. Pippin verpflichtete sich, und das sollte auch für seine Söhne gelten, die römische Kirche und die Vorrechte des heiligen Petrus in der Gestalt des Papstes zu schützen. Außerdem versprach er, diese Gebiete in Mittelitalien dem Papst wieder zuzuführen. Dieses Versprechen wurde 754 und 756 in zwei Feldzügen eingelöst. Die eroberten Gebiete machte Pippin dem »heiligen Petrus« (beziehungsweise seinen legitimen Erben) zum Geschenk. Diese sogenannte Pippinische Schenkung bildete die Grundlage für den späteren Kirchenstaat, der bis 1870 Bestand haben sollte.
Dass Pippin keineswegs aus purer Kirchentreue oder aus reiner Glaubensüberzeugung handelte, zeigt der weitere Verlauf der Ereignisse. Am 28. Juli 754 salbte Papst Stephan II. Pippin in Saint-Denis zum König. Außerdem verlieh er ihm und seinen Söhnen den Ehrentitel Patricius Romanorum , (militärischer) Schutzherr der Römer. Bis dahin war diese Ehrenbezeichnung, welche die Schutzgewalt über Rom implizierte, den kaiserlich-byzantinischen Statthaltern in Italien vorbehalten. Für die Byzantiner bedeutete die Neuvergabe des Titels, dass sie in Italien nichts mehr verloren und dort auch nichts mehr zu suchen hatten.
Zwar war Pippin schon einmal, nach seiner Machtergreifung im Jahr 751, mit dem heiligen Öl gesalbt worden, vermutlich durch Erzbischof Bonifatius. Die neuerliche Salbung durch den ›Stellvertreter Gottes auf Erden‹ bildete nicht nur einen Ersatz für das fehlende königliche Geblüt, sondern diente gleichzeitig der Legitimation. Andererseits konnte der Papst mit diesem Weiheakt demonstrieren, wer einzig befugt war, die Königswürde zu verleihen. Im Grunde waren beide, König und Papst, aufeinander angewiesen. Auf Dauer konnte das nicht gut gehen.
Durch die Pippinische Schenkung entstand für den Papst eine völlig neue Situation – er war jetzt nicht mehr bloß das geistliche Oberhaupt der Christenheit, sondern gleichzeitig auch politischer Machthaber mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. Wie der König benötigte er seinerseits eine Legitimation für seine weltliche Herrschaft.
Heute nehmen die meisten Geschichtsforschenden an, dass das damit verbundene Problem von einem findigen Kopf aus der Umgebung Papst Pauls I. (757–767), dem Bruder und Nachfolger Stephans II., einer Lösung zugeführt wurde. Einem vom päpstlichen Hof gestreuten Gerücht zufolge nämlich hatte irgendein Kopist oder Skribent oder sonst ein Federspitzer in einer Schublade oder hinter einem Wandschrank einen alten Schriftsatz entdeckt, der sich als Abschrift eines noch älteren Dokuments erwies, das, man staune, angeblich aus der Kanzlei Kaiser Konstantins des Großen stammte. Das Dokument schien zu bestätigen – es gibt da nicht etwa verschiedene Lesarten oder Rezensionen, wie die Fachleute das später nennen werden –, dass Kaiser Konstantin seinem Zeitgenossen Papst Silvester I. und dessen Nachfolgern nicht nur die mittelitalienischen Ländereien, sondern auch seine Kaiserkrone geschenkt hatte. Nicht dass die Päpste dieses Dokument nun sämtlichen Sendboten anderer Fürstenhöfe vorgezeigt hätten (so plump verhält sich selbst der unbedarfteste Fälscher nicht), noch wurde der fragliche Wisch in einem offiziellen Text erwähnt. Vielmehr verwahrten die Päpste das Pergament sorgfältig in der Schublade; die Rede davon verbreitete sich ganz von selbst. Mit dem Herzeigen konnte man ruhig zuwarten, bis die Papstanhänger vom Wahrheitsgehalt überzeugt waren; die Gegner ließen sich dann leichter widerlegen. Und wer später immer noch an der Echtheit des ominösen Schriebs zweifelte, war für die Folgen solchen Unglaubens selber verantwortlich (wie ein gewisser Johannes Drändorf, der 1425 in Heidelberg als Ketzer verbrannt wurde, weil er die sogenannte Konstantinische Schenkung als Fälschung bezeichnet hatte).
Zu Zeiten eines Damasus’ I. war die Inbesitznahme des Apostolischen Stuhls, soziologisch betrachtet, eine reine Macht- und Prestigefrage. Seit der Pippinischen Schenkung aber waren die Päpste Herren über ein Territorium; fortan ging es nicht mehr bloß um die geistliche Leitung und um den Zusammenhalt einer Glaubensgemeinschaft, sondern auch um territoriale Ansprüche. Diese neue Konstellation bot vor allem für die Mitglieder der römischen Aristokratie verlockende Aussichten. Denn wer in der Hauptstadt etwas galt, beteiligte sich seit jeher am Poker um die besten Positionen. Vor allem die Adelsdynastien waren jetzt daran interessiert, ein Mitglied ihres Familienclans auf den Stuhl Petri zu katapultieren.
Wie es dabei zuging, zeigt ein Vorfall, der sich am 25. April 799 ereignete, als Papst Leo III. während einer Prozession angegriffen und gefangen gesetzt wurde. Die Angreifer rekrutierten sich aus der Familie seines Vorgängers Hadrian, die unter diesem einträgliche Ämter innegehabt hatte. Leo indessen gelang die Flucht. Mithilfe von fränkischen Großen kam er nach Paderborn, wo sich zu diesem Zeitpunkt Karl der Große aufhielt. In der Folge ließ Karl auch Leos Gegner kommen, um sie anzuhören. Da die Sache nicht geklärt werden konnte, wurde Leo nach Rom zurückgeschickt, damit alles vor Ort geklärt werde. Als die weiteren Untersuchungen ebenfalls ergebnislos verliefen, entschloss sich Karl, im Jahr 800 nach Rom zu ziehen und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit krönte der Papst den Frankenherrscher am 25. Dezember zum Kaiser und machte ihn damit gleichzeitig zu seinem Verbündeten.
Über das Prozedere informiert uns der Chronist:
Als der König am heiligen Weihnachtstage bei der Messe sich vor dem Grab des seligen Apostels Petrus erhob, setzte ihm Papst Leo die Krone aufs Haupt, und das Volk rief aus: Dem erhabenen Karl, dem von Gott [!] gekrönten großen und friedbringenden Kaiser der Römer Leben und Sieg! Und nach diesen Lobrufen wurde er vom Papst nach der Sitte der alten Kaiser durch Kniefall geehrt und fortan Kaiser und Augustus [d. h. der Erhabene] genannt.
Aufgrund einer Notiz von Karls Hofchronisten Einhard neigen die Geschichtsforschenden heute zu der Annahme, dass Karl der Große überrascht war, dass ihm der Papst die Kaiserkrone aufsetzte . Das würde bedeuten, dass Leo durch den Krönungsakt unterstreichen wollte, dass die geistliche Autorität über jeder weltlichen Macht steht, und dass alle irdische Herrschaft der Legitimation durch den obersten Sachwalter Gottes auf Erden bedarf. Ob der Papst diese Botschaft vermitteln wollte, muss offenbleiben. Fest steht hingegen, dass Leo III. als erster Papst das Recht der Kaiserkrönung für sich in Anspruch nahm.
Sein Beispiel machte Schule. 813, ein Jahr vor seinem Tod, krönte Karl der Große seinen Sohn Ludwig I. zum Mitkaiser. Dieser übernahm nach dem Tod des Vaters die Nachfolge. 816 reiste Papst Stephan IV. nach Reims, um Ludwig seinerseits zum Kaiser zu krönen. Da die Frankenkaiser über keinerlei geschichtliche Legitimation verfügten (Pippin III. war ursprünglich nur Hausmeier unter dem letzten merowingischen König Childerich III.), waren sie durch die päpstliche Krönung wenigstens theologisch legitimiert. Ludwigs Sohn Lothar wiederum wurde 823 von Papst Paschalis I. in Rom gekrönt. Die folgenden Kaiserkrönungen fanden in der Peterskirche statt – aber erst nachdem die fränkischen Könige den Papst jeweils demütig darum gebeten hatten.
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