Im Römischen Reich ist die Kirche inzwischen in fünf Großräume aufgegliedert, an deren Spitze ein Patriarch steht. Der einzige und alleinige Patriarch im Westreich ist der Bischof von Rom, während das Ostreich unter vier Patriarchen aufgeteilt ist, die in Alexandreia, Jerusalem, Antiocheia und Konstantinopel residieren.
Siricius, der 384 zum Bischof von Rom gewählt wird, verfolgt die Linie seines Vorgängers Damasus konsequent weiter. Kaum im Amt, kramt er aus Schränken und Schubladen die alten Dokumente seiner Vorgänger hervor und stößt dabei auf einen Erlass, mit dem Kaiser Gratianus (367–383), ein erklärter Förderer des Christentums, allen römischen Bischöfen die oberste Gerichtsbarkeit und Entscheidungsgewalt über die Kirchen im westlichen Reich zugestanden hat. Der Fund bleibt nicht ohne Folgen. Kleriker aus der Provinz, die mit irgendwelchen Anfragen an ihn gelangen, werden fortan nicht mehr wie bisher üblich mit Ermahnungen oder Ratschlägen überhäuft, sondern mit amtlichen Verordnungen eingedeckt. Dabei weist Siricius ausdrücklich darauf hin, dass seine Entscheidungen ebenso verbindlich sind, wie die Verordnungen von Synoden. Logische Folge: Liturgische, theologische oder disziplinarische Bestimmungen, die für eine einzelne Kirchenprovinz gefällt werden, sind jetzt für alle anderen gleichfalls bindend.
Siricius ist es auch, der sich als erster Nachfolger Petri mit dem Titel Papa (Papst, vom griechischen pappas ) schmückt, mit dem die Mitglieder der östlichen Kirchenprovinzen ihre Bischöfe anreden. Gegen Ende des 5. Jahrhunderts gilt der Papsttitel als Monopol des »Apostolischen Stuhls«.
Hatte die Bezeichnung Papa unter Siricius noch etwas Ehrerbietig-Väterliches an sich, so ändert sich das mit Innozenz I., welcher im Jahr 401 als direkter Nachfolger seines Vaters Anastasius I. (399–401) zum Bischof von Rom gewählt wird. Die 36 von ihm erhaltenen Briefe sind allesamt in einem Ton gehalten, der keinerlei Zweifel lässt, wer in der gesamten Westkirche das Sagen hat. Glaubenslehre, Kirchendisziplin und Liturgie haben sich fortan an der römischen Kirche, will sagen an den diesbezüglichen päpstlichen Vorstellungen zu orientieren. Wichtige Streitfragen werden vom römischen Bischof entschieden. Damit ist die Marschrichtung vorgegeben, in der sich die künftigen Päpste beim Ausbau ihrer Jurisdiktionsgewalt fortbewegen werden. Begreiflich daher, dass manche Kirchenhistoriker und -historikerinnen Innozenz I. als den ersten eigentlichen Papst bezeichnen.
Wie seine Vorgänger ist auch Leo I. (der Große; 440–461) ein Anhänger der Petrusdoktrin. Von einer – und sei es bloß relativen – Autonomie der übrigen Bischöfe will er nichts wissen. Der römische Bischof steht über allen, er ist vicarius Petri , der Stellvertreter des Petrus – so der Titel, den Leo I. für sich beansprucht. Die neue Bezeichnung geht auf das römische Erbrecht zurück, welches den Erben als vicarius bezeichnet, der zusammen mit den materiellen Gütern auch den juristischen Status (d. h. alle Rechte und Pflichten) des Erblassers übernimmt. Entsprechend diesem juristischen Modell hinterlässt der ›Erblasser Petrus‹ alle seine Rechte, Pflichten und Privilegien seinem einzigen und rechtmäßigen Erben, nämlich dem Bischof von Rom. Allerdings erbt der Papst nur das Amt und nicht etwa die persönlichen Vorzüge oder Verdienste des Petrus. Die Person , auf welche das Erbe übergeht, ist zweitrangig. Moralische Defizite fallen so wenig ins Gewicht wie menschliche Qualitäten. Das Amt ist entpersonalisiert. Der Form nach ist es zu vergleichen mit der Monarchie der römischen Kaiser. Ein qualitativer Unterschied ergibt sich jedoch aus der Sache. Während das kaiserliche Imperium historisch gewachsen ist, ist das päpstliche Imperium von Jesus gestiftet. Offen bleibt, ob Leo sich darüber Rechenschaft gab, dass er mit dieser Argumentation vom juristischen in den theologischen Bereich hinüberwechselte. Fest steht nur, dass diese neue Sicht faktisch das hierarchische Prinzip impliziert. Der aus dem Griechischen stammende Begriff Hierarchie bedeutet nicht nur heilige Herrschaft (wie manche meinen), sondern auch heiliger Anfang, heiliger Ursprung oder heilige Ordnung . Aber so unheilig die Methoden sein mögen, mittels derer diese Herrschaft ausgeübt wird, geheiligt ist sie nach Leo I. dennoch, und zwar aufgrund ihres göttlichen Ursprungs. Was die praktischen Konsequenzen aus diesen Prämissen betrifft, kann sich Leo auf die Kirchengeschichte des theologischen Wendehalses Eusebius von Caesarea (um 265–339) berufen: »Wer Petrus [d. h. dem jeweiligen Papst] den Vorrang abzustreiten wagt, kann dessen Würde in keiner Weise mindern, sondern stürzt sich, vom Geiste des Hochmutes gebläht, selbst in die Hölle.« Um ihre Macht abzusichern, werden spätere Päpste dieser Aussage Nachdruck verleihen, indem sie Andersdenkende mit der Strafe der Exkommunikation belegen.
Die östlichen Kirchen nehmen den neu entstehenden römischen Zentralismus und die damit verbundenen Ansprüche anfänglich nicht allzu ernst. In Konstantinopel, dem ›Zweiten Rom‹, gilt neben dem Kaiser nicht etwa der Papst als höchste Autorität, sondern das vom Kaiser (!) einberufene Ökumenische Konzil, dem sich auch der Bischof von Rom zu fügen hat. Den Papst betrachtet man im Osten lediglich als Patriarchen des Westens; tatsächlich stellt ihn das Konzil von Chalkedon (451) auf eine Ebene mit dem Patriarchen von Konstantinopel. Das ändert nichts daran, dass die Päpste ihre Position zunächst festigen und sogar ausbauen können. Äußerlich kommt diese Stärkung auch im päpstlichen Hofzeremoniell zum Ausdruck, in welches jetzt vermehrt vormals dem Kaiser vorbehaltene Elemente integriert werden. Bei liturgischen Feiern schreiten dem Papst Kerzen- und Weihrauchträger voran; begrüßt wird er mit der Prokynese, dem bislang dem weltlichen Herrscher reservierten Kniefall, und wie der Kaiser unterzeichnet der Papst seine Erlasse nun mit roter Tinte. Schließlich übernimmt der römische Bischof auch den ursprünglich dem heidnischen Oberpriester vorbehaltenen Titel eines Pontifex maximus (›oberster Brückenbauer‹).
Schon zu Zeiten Leos I. war Rom längst keine Weltmacht mehr. Nach dem Tod Kaiser Theodosios’ I., der 394 das gesamte Reich unter seiner Herrschaft vereinigte, wurde dieses unter seinen beiden Söhnen aufgeteilt. Honorius regierte über den Westen, Arcadius hingegen über die östlichen Gebiete. Die zunehmende Bedrohung durch die Germanenstämme, einander in rascher Folge ablösende Herrscher im Westen und Rivalitäten zwischen den beiden Reichsteilen beschleunigten Roms Niedergang.
Die Lage verbesserte sich nur kurzfristig, als Iustinianos I. (der Große) im Jahr 527 als letzter römischer Kaiser in Konstantinopel den Thron bestieg. Gleich nach seinem Amtsantritt begann er mit der Wiederherstellung des Römischen Reiches, dessen westlicher Teil während des 5. Jahrhunderts an die Barbaren gefallen war. Gemäß seiner Losung »ein Kaiser, ein Reich, eine Kirche« wurde Rom eng in den Osten eingebunden. Der Kaiser behielt sich das Recht vor, die Papstwahl zu bestätigen.
Im 7./8. Jahrhundert dann, als die Muslime Konstantinopel bedrohten und die Kaiser zur Sicherung der Grenzen wieder einmal Geld brauchten, verfielen sie auf den Gedanken, auch für die kirchlichen Besitztümer Steuern einzufordern. Papst Gregor III. (731–741) reagierte empört; die Lage zwischen Konstantinopel und Rom spitzte sich zu. Als der Papst Kaiser Leon III. die Unterstützung in seinem Kampf gegen die Bilderverehrung versagte, konfiszierte dieser alle päpstlichen Ländereien in Süditalien und Sizilien. Damit war der Papst fast ohne Einkommen. Gleichzeitig war Mittelitalien wieder einmal von den Langobarden bedroht, die sich nach der Völkerwanderung im Norden der Halbinsel niedergelassen hatten.
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