1. Problemverschärfung:
Transzendenz und Unbegreiflichkeit Gottes
Für die Fundamentaltheologie erweist sich der bereits zitierte christliche Gottesbegriff als zusätzlich problemverschärfend. Er beansprucht zwar, Kriterien angeben zu können für die Ermittlung, wer/was es in Wahrheit und in Wirklichkeit verdient, „Gott“ genannt zu werden: Das Wort „Gott“ steht für eine Größe, die „wirklich und wesenhaft von der Welt verschieden“ ist. Von Gott kann demnach gesagt werden: Er ist „über alles unaussprechlich erhaben, was außer ihm ist und gedacht werden kann“. Als solcher ist er „Schöpfer des Himmels und der Erde“ (vgl. DH 3001). Von Gott lässt sich allerdings nur via negativa etwas sagen: Er ist weltimmanent nicht antreffbar, weder ein Teil welthafter Wirklichkeit noch die Summe aller ihrer Teile (
„wesenhaft von der Welt verschieden“). Wenn er nichts davon ist, dann ist er transzendent gegenüber allem, was ist. Affirmativ kann nur von dem gesprochen werden, was Gott nicht ist bzw. nicht Gott ist (
„unaussprechlich erhaben“). 55
Gleichwohl erschließt diese Einschränkung, von Gott unmittelbar nicht reden zu können, auch eine Perspektive, um dennoch einen konsistenten Gottesbegriff zu vertreten und auch gegenüber Nichtglaubenden als plausibel aufzuzeigen. Wer/was Gott in Wirklichkeit ist, lässt sich nach christlicher Überzeugung mit dem Hinweis auf die „Geschöpflichkeit“ der Welt angeben: Gott ist der, ohne den nichts (d. h. kein „etwas“) wäre. Er selbst ist (als Schöpfer) weder „etwas“ noch „nichts“. 56Dieser Gottesbegriff erweist sich dann als konsistent, wenn ihm kein immanenter logischer Widerspruch nachgewiesen werden kann und wenn er darüber hinaus widerspruchsfrei anschlussfähig ist für jede andere widerspruchsfreie Aussage über die Welt. Die erste Bedingung ist offenkundig erfüllt. Die semantische Füllung des Wortes „Gott“ als jene Größe, „ohne die nichts ist“, ist immanent logisch widerspruchsfrei, weil keine Prädikate verwandt oder Eigenschaften ausgesagt werden, die zueinander in einem logischen Widerspruchsverhältnis stehen. Die Moderne bestreitet allerdings, dass die Aussage, Gott sei „Schöpfer des Himmels und der Erde“, widerspruchsfrei anschlussfähig für eine philosophisch bzw. naturwissenschaftlich widerspruchsfreie Rekonstruktion von Dasein und Entstehung der Welt sei. Sie insistiert darauf, dass Dasein und Entstehen der Welt „ohne Gott“ gedacht werden müssen. Die Theologie muss daher zeigen, inwiefern die Rede von Gott als „Schöpfer von Himmel und Erde“ kompatibel ist mit einer Verfassung der Welt, die sie „etsi deus non daretur“ zu denken aufgibt.
Angesichts eines um sich greifenden szientistischen Naturalismus, der die Berechtigung jener (metaphysischen) Aussagen bestreitet, deren Thema die Beschreibung ist, was es mit der Welt im Ganzen auf sich hat, ist die Theologie jedoch nicht gut beraten, wenn sie gegen diese Provokation die Alternative „Schöpfung oder Evolution“ aufbietet und vermeintliche Lücken in der Kosmologie oder Evolutionstheorie als Ausgangspunkt eines anti-naturalistischen Ansatzes für eine theologische Weltentstehungstheorie aufsucht. Ein solches Vorhaben ist Ausdruck eines Missverständnisses, was Gegenstand und Ziel der (Schöpfungs)Theologie ausmacht bzw. in der Moderne noch sein kann.
2. Fatale Auswege:
Theologische Weltentstehungstheorien
Wer im naturwissenschaftlichen Verständnis wissen will, was „anfangen“ heißt, erkundigt sich nach einem initium , d. h. nach dem räumlich-zeitlichen „Wovonher“ dessen, was schon ist. Hier geht es um einen Anfang, den man hinter sich lassen und von dem man sich zunehmend entfernen kann. Dagegen richtet sich die religiöse bzw. theologische Frage auf ein principium , d. h. auf das Grundlegende, das zu jeder Zeit gilt. Sie fragt nach einem durch die Zeit „mitlaufenden Anfang“, d. h. nach einer Voraussetzung, von der man immer wieder ausgehen muss, wenn man selbst etwas (an)setzen will. 57Die naturwissenschaftliche Fragestellung betreibt Ursachenforschung, indem sie wissen will: Wie kommt es, dass x aus y hervorgeht? Wie kommt es, dass es immer wieder dazu kommt, dass x aus y hervorgeht? Ihr steht das religiöse bzw. theologische Fragen durchaus nahe, wenn es grundsätzlich wissen will: Wie kommt es überhaupt dazu, dass x aus y hervorgeht? Welche Bedingung muss erfüllt sein, dass es das Hervorgehen geben kann? Wie prinzipiell diese Frage ist, kommt stärker in folgenden Formulierungen zum Ausdruck: Wie kommt es, dass es das überhaupt gibt, dass es zu etwas kommt? Wie kommt es (dazu), dass es das „es gibt“ gibt, bzw. dass es das Geben gibt? Was hat es letztlich damit auf sich, dass es überhaupt etwas gibt und nicht vielmehr nicht(s)? Steckt darin ein Sinn, bietet es einen Anhalt für die Möglichkeit, das Gegebene auch aus freien Stücken anzunehmen und zu bejahen?
So wenig beide Fragestellungen ineinander überführbar sind, so wenig stehen auch ihre Bezugsdisziplinen in einem Konkurrenzverhältnis. Die Theologie entwickelt keine Weltentstehungstheorie, sondern stellt eine Weltakzeptanzreflexion dar. Allerdings besteht die Möglichkeit einer „tangentialen“ Verhältnisbestimmung religiösen und naturwissenschaftlichen Fragens. Hierbei berührt sich die ontologische Leitdifferenz des Schöpfungsglaubens („Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“) mit der ontologischen Leitdifferenz des Evolutionsparadigmas („Wie entsteht etwas aus etwas anderem?“) lediglich punktuell. Dieser Berührungspunkt lässt allenfalls zu, durch ihn als Tangente der Kategorien initium und principium eine Linie zu ziehen, auf der nach der Möglichkeit gefragt wird, ob und wie man Schöpfung, Sein und Sinn zusammen denken kann. Und sogleich streben Frage und Erfragtes wieder auseinander: Der Schöpfungsglaube fragt, ob ein zureichender Grund für das „Dass“ des Daseins auch dessen Akzeptanz rechtfertigen kann. Genügt bereits der Hinweis, dass es etwas gibt, dass es das Geben gibt und nicht vielmehr nicht, um derartige Gegebenheiten auch (ohne wenn und aber?) akzeptieren, bejahen und an nehmen zu können, anstatt sie bloß hin zunehmen? Das Evolutionstheorem fragt nach zureichenden Gründen, warum das, was ist, so und nicht anders ist. Es will bestimmen, wie es aus etwas anderem hervorging, das wiederum „etwas“ ist. Die Frage der Daseins-, Welt- und Selbstakzeptanz des derart Fragenden ist damit nicht impliziert und mit den Mitteln dieses Fragens auch nicht zureichend beantwortbar.
Die Figur der Tangente ist noch in einer weiteren Hinsicht heuristisch produktiv. Sie schließt zwischen zwei Größen eine Schnittmenge aus; sie hält sie unterscheidbar und macht zugleich eine Zuordnung möglich. Es findet keine Vermischung zweier Sphären statt; jede Größe zieht ihren eigenen Kreis. Die Verschiedenheit beider Größen bleibt gewahrt, ihre Diversität schließt aber nicht aus, dass sie miteinander „zu tun haben“. Damit sind zwei Bedingungen genannt, die auch für die weitere Arbeit an einem adäquaten Gottesbegriff zu beachten sind. Dass das Wort „Gott“ für Christen den „Schöpfer von Himmel und Erde“ meint, der „wesenhaft und wirklich“ von seiner Schöpfung verschieden ist, impliziert, dass ein Verhältnis zwischen Gott und Welt ausgesagt werden kann, das einen Unterschied einschließt, der größer nicht gedacht werden kann. 58
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