1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Um die Behauptung eines Religionskrieges zu entkräften, ging man auf deutscher Seite auch gegen andere Annahmen vor. So wurde der französische Ehrentitel „älteste Tochter der Kirche“ als Fälschung entlarvt. Der „Katholizismus“ der französischen Kirche wurde auf den Prüfstand gestellt. Um den Versuch einer Spaltung der Deutschen abzuwenden, betonte man gegenüber Frankreich, die Behauptung, die deutschen Katholiken würden unterdrückt, sei völlig falsch. Stattdessen wies man auf die religionsfreundlichen Bedingungen in Deutschland und die Religionsfeindlichkeit des französischen Staates hin. Dabei verkannte man freilich, dass die französischen Katholiken ihrerseits den Krieg als einzigartige Chance sahen, aus der Isolation durch den Laizismus herauszukommen.
4. Eine katholische „Kriegsprogrammatik“? – Vorschläge eines Theologen (1916)
Wir haben bisher – keineswegs vollständig 107und auch eher eklektizistisch – Bausteine und auffällige Argumentationsmuster zusammengetragen, die im „katholischen“ Kriegsdiskurs während des Ersten Weltkriegs eine Rolle spielten. Abschließend sei noch beispielhaft zumindest ein Entwurf einer katholischen „Kriegsprogrammatik“ vorgestellt. Er stammt von Ludwig Baur (1871–1943), Professor für scholastische Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, und erschien 1916 in der Paderborner Zeitschrift Theologie und Glaube 108. Baur verfasste seine Gedanken wohl im Herbst 1915 als Feldgeistlicher der 54. Reserve-Division, konnte also – bei ausgewiesener philosophisch-theologischer Kenntnis – auch auf eigene Kriegserfahrungen sowie auf Erfahrungen im Umgang mit den Soldaten zurückgreifen 109.
Baur konstatiert noch für die Kriege von 1866 und 1870 das Fehlen einer eigentlichen „Kriegstheologie“ oder „Kriegsphilosophie“. Die homiletische Literatur – wo man eine solche am ehesten sucht – habe sich nicht wirklich eingehend mit „den durch den Krieg aufgeworfenen Problemen“ befasst. Und die Predigten, die man im gegenwärtigen Krieg „frisch fabriziert ins Feld liefert“, litten an dem Fehler, dass sie „aus einer Überhitze patriotischer Aufwallung heraus gedacht und geschrieben“ seien, was auf die Dauer „hohl und posiert“ klinge 110. Demgegenüber sei es jedoch Aufgabe der Kriegspredigt, die erschütternden Erfahrungen des Krieges „mit den Wahrheiten und dem sittlichen Pflichtenkreis des katholischen Glaubens in die richtige Verbindung“ zu bringen. Denn der Krieg „schleudere“ jedem denkenden Menschen „die ernstesten Zweifel an der Leitung der Menschheitsgeschichte durch die göttliche Vorsehung, an der Vatergüte Gottes, ja an dem Dasein eines persönlichen Gottes selbst“ in die erschütterte Seele 111. Scharf wendet sich Baur gegen eine Kriegspredigt, die von (noch so edlen) Stimmungen, von Sympathie und Antipathie, von Affekten und Leidenschaften ausgeht. Im Zentrum habe vielmehr – neben seelsorgerlicher Weisheit – die theologische Kenntnis zu stehen.
Und diese setze vor allem voraus, „daß der Prediger selbst innerlich mit dem Problem des Krieges als einer in Gottes Vorsehung und Leitung des Menschengeschlechts liegenden furchtbaren Tatsache fertig geworden sei und seine Stellung fest und bestimmt an den Grundsätzen des katholischen Dogmas und der katholischen Moral über den Krieg, seine Berechtigung, die Grenzen seiner Berechtigung orientiere“ 112.
In einem ersten Punkt geht es dem Theologen um die Rechtsbegründung des Krieges, die doppelt erfolgen kann: naturrechtlich und ethisch. Nach Baur hält die katholische Lehre „die weise Mitte zwischen einer Apotheose des Krieges einerseits und einer idealistischen völligen Ablehnung anderseits“ 113. Zurückgewiesen werden „Lobredner“ des Krieges, aber auch Vorstellungen, die den Krieg als Kulturschöpfer (wie Nietzsche), als Quelle einer sittlichen (wie der Sozialist Proudhon) oder religiösen Wiedergeburt und Neugestaltung sehen; solches will Baur nur „mit kritischer Reserve und vorsichtig abwägender Einschränkung“ gelten lassen. Die Sicht des Krieges als „Gottesdienst“ weist er ebenso zurück 114wie die Rede vom „heiligen Krieg […], wie die mohammedanischen Mullachs tun“. Es genüge, vom „gerechten Krieg“ zu sprechen 115. In gleicher Weise lehne die katholische Lehre aber auch die Vorstellung ab, „die den Krieg unter allen Umständen als absolut sittlich verwerflich, als Verbrechen und Sünde“ kennzeichnet 116.
Zur naturrechtlichen Begründung des Krieges zitiert Baur einen Satz des Kardinals János Kardinal Csernoch (1852–1927):
„Wenn es Pflicht der Leiter des Staates ist, den Staat, die Gerechtigkeit, den Frieden und die Sicherheit der Bürger zu schützen, dann ist in Ermangelung anderer Mittel zuletzt der physische Zwang, der Kampf, die Verteidigung mit Waffengewalt die sittlich zulässige Art des Rechtsschutzes“ 117.
Dieser naturrechtliche Grundsatz schließe einen „mit einem Rechtsbruch belasteten, vom Zaun gebrochenen Angriffskrieges aus bloßer Kampflust und Eroberungssucht“ aus. Allerdings hält Baur ein Schlupfloch offen, denn „nicht jede Form des Angriffskrieges dürfte verboten sein; denn es kann Kriege geben, welche zwar äußerlich die Form des Angriffskrieges haben, ihrem Sinn und Wesen nach aber bloße Verteidigungskriege sind“ 118. Also: der Krieg ist ein durch Notzwang herbeigeführtes Übel: „bellare non voluntatis sed necessitatis est“; „pacem habere debet voluntas, bellem necessitas“.
Mit der naturrechtlichen Begründung des Krieges hängt seine ethische zusammen. Die Zielbestimmung des Krieges ist „die Erhaltung und Stärkung jenes sittlichen Gutes, des Vaterlandes, und die dauernde Herstellung, Verteidigung, Begründung des höchsten Staatszieles: des Friedens unter den Völkern und den Bürgern des Staates“ 119.
Aus diesen Grundlagen ergibt sich für Baur eine Reihe von Folgerungen 120für die Kriegspredigt:
– Es muss immer wieder deutlich gemacht werden, dass der Krieg nicht um seiner selbst willen geführt wird, sondern um der Gerechtigkeit und des Friedens willen.
– Der Prediger darf nicht zum Lobredner des Krieges um jeden Preis werden.
– Gleichwohl ist es gestattet, auf die guten sittlichen und sozialen Wirkungen zu verweisen, die der Krieg „in der Hand der Vorsehung haben kann und soll “ 121, um ihn in rechter Weise zu ertragen und zur inneren Besserung zu nutzen.
– Solch innere Nutzen aus der „Heimsuchung des Krieges“ können sein: Hingabe, Opferfreudigkeit, Geduld, Ausdauer, Vertrauen. Hier gibt es eine Nähe zum Opfergedanken, der in der katholischen Religion in besonderer Weise ausgeprägt ist – im Kreuzesopfer Christi, im Messopfer und in der Aufopferung des alltäglichen Lebens.
– Die Kriegspredigt hat auch die Aufgabe der Kritik: Sie hat allem entgegenzutreten, was den künftigen Frieden erschwert oder verunmöglicht, allem unchristlichen Hass, allen Ungerechtigkeiten gegenüber den Feinden, allem „eigenen unwahren Vortrefflichkeitsdünkel“.
– Recht oder Unrecht eines vorliegenden konkreten Kriegsfalles sollen nicht besprochen werden, weil dem einzelnen nicht alle erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen, um zu einem absolut zuverlässigen Urteil zu kommen.
In einem zweiten Punkt geht es Baur um die offenkundigen und scheinbaren Widersprüche, um die Aporien des Krieges in theologischer Hinsicht. „Die großen Rätsel“ des Krieges müssen thematisiert werden, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen im Interesse der Apologetik, weil von atheistischer und monistischer, teilweise aber auch von christlicher Seite der Vorwurf erhoben wird, „daß in diesem Krieg das Christentum mit seinen Grundsätzen, mit seiner Lehre von der Liebe Fiasko gemacht habe gegenüber der Philosophie des Kampfes und der rücksichtslosen, durch keinerlei ethische Reflexionen und Rücksichten gebundenen Geltendmachung der Interessen und der Macht“ 122.
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