Die jüngste Erfahrung der dreifachen Katastrophe in Japan 1und die Art der Reaktion, mit großer Würde, Ruhe, Solidarität und Mitgefühl, kann man nur verstehen, wenn man daran glaubt, dass Gott im Herzen der Menschen wirkt, und wenn man die menschlichen und religiösen Werte berücksichtigt, die in die japanische Kultur eingegangen sind. Gott in einer fremden Kultur zu finden, ist keine theoretische Frage, bei der es darum geht, dass eine bestimmte Auffassung bestätigt oder widerlegt wird; es geht vielmehr um einen tieferen Blick, der das Vordergründige übersteigt, und der die Herzen in einer Tiefe berührt, in der sie unantastbar sind.
3. Wo sehen Sie gegenwärtig Aufbrüche, in denen Gott am Werke ist?
Vielleicht kann ich an diese Frage mit einer kleinen Geschichte herangehen: Einer alten Familientradition folgend nahm eine Dame ein sehr junges, blindes Mädchen, das auf der Straße bettelte, zu Weihnachten zu sich nach Hause. Wie gewöhnlich bekam das Mädchen ein heißes Bad, ein hübsches und bequemes Kleid und ein gutes, schmackhaftes Essen. Nach all dem fragte das Mädchen unschuldig: »Bist du Gott?« Die Dame antwortete: »Nein, nein. Ich bin nur seine Tochter«. Worauf das Mädchen bemerkte: »Ja, ich wusste, du gehörst zur Familie«!
Ich denke, das ist die Art, in der wir Gott begegnen, oder wie wir – im Wortlaut Ihrer Frage – Aufbrüche sehen, Zeichen seiner Gegenwart: immer, wenn etwas in unserer Umgebung geschieht, das die Qualität der Liebe, der Schönheit, des Mitgefühls, der Gerechtigkeit, der Freude und Hoffnung, der Güte in ihren vielen und reichhaltigen Formen steigert. Es ist die Überraschung des Unerwarteten, denn es bereichert uns Menschen; die Freude der Begegnung, die von Hoffnung spricht, trotz allem; der Friede, den wir erfahren, wenn wir begreifen, dass Güte immer größer und tiefer ist als all die schlechten Nachrichten, mit denen wir ständig zu tun haben.
Und so sehe ich Gott am Werk in den Jungen, die Solidarität und Mitgefühl mit denen empfinden, die weniger haben oder leiden … und die dafür etwas tun. Ich sehe Gott am Werk in so vielen Ordensleuten, die alles verlassen und das Risiko auf sich genommen haben dorthin zu gehen, wohin niemand gehen will, und Krankheit, Notsituationen und sogar den Tod riskieren. Ich sehe Gott am Werk in Kindern, die sich öffnen für alles, in Müttern, die sich ganz für ihre Kinder einsetzen, in Vätern, die an ihrem Arbeitsplatz aushalten, trotz Fehlens eines ausreichenden Gehaltes, des beruflichen Ansehens oder einer speziellen beruflichen Qualifikation, um ihrer Familie den Lebensunterhalt, Ausbildung und Hoffnung zu sichern. Es ist so offenkundig, dass Gott die Menschheit nicht aufgegeben hat, sondern sie weiterhin erfüllt mit seiner Gegenwart!
4. Wie sehen sie die Herausforderungen/Probleme/Chancen, Gott in einer säkularisierten Welt zu finden?
Ich denke, dass die Antwort schon in der vorangegangenen Erläuterung gegeben wurde. Ich glaube, dass der Geist Gottes immer am Werk war und weiterhin in den Herzen und in den wichtigen Realitäten der Menschen wirkt. Das hat sich nicht geändert durch die sogenannte »Säkularisierung« unserer modernen Welt. Wir mögen vielleicht weniger wahrnehmungsfähig und aufmerksam geworden sein, aber die Gegenwart Gottes bleibt Teil unserer menschlichen Erfahrung. Ein Jesuit und Freund sandte mir eben erst das Gebet einer Nonne aus dem 17. Jahrhundert, in dem wir diesen Satz finden: »Gib mir, Gott, die Fähigkeit, die Güte an unerwarteten Orten zu sehen und die Gaben in Menschen, von denen ich nichts erwartet hätte.«
Die Welt ist weiterhin voll von Überraschungen und das menschliche Herz ist weiter damit beschäftigt, auf die Herausforderungen unserer Welt mit Mitgefühl und Großzügigkeit zu antworten. Wir haben heute mehr humanitäre und Hilfsorganisationen als wir jemals in der Vergangenheit hatten. Und wenn wir von den Jungen nicht die Antwort erhalten, die wir auf manchen Gebieten erwartet haben, dann sagt uns dies eher etwas über unsere fehlende Kreativität, die Herausforderungen klar zu benennen und zugleich Lösungsmöglichkeiten anzubieten, als über das Fehlen solcher Antworten.
Adolfo Nicolás SJ ist gebürtiger Spanier und seit 2008 Generaloberer der SJ. Er lebt in Rom .
Pedro Arrupe
Unser Ziel ist, Männer zu werden, die wie Ignatius in einer langen, nie endenden Erfahrung des Herrn erzogen, ständig auf der Suche nach dem Herrn sind und auf ihn hören und sich einen gewissen übernatürlichen Spürsinn dafür aneignen zu erkennen, wo er ist und wo er nicht ist.
Dieser Geist der Unterscheidung mit seinen unumgänglichen Aspekten ist Grundlage und Voraussetzung für jede Evangelistentätigkeit. Ohne diesen Geist ist dieses Wirken nicht mehr authentisch und, statt die Kirche und die Gesellschaft aufzubauen, zerstört es sie.
P. Pedro Arrupe SJ, Die Eigenart unserer Gesellschaft. Geistliche Texte SJ, Nr. 6, (München 1982), 37–38.
Pedro Arrupe SJ (1907–1991) wurde 1965 zum Generaloberen der SJ gewählt und übte dieses Amt bis zu seinem Schlaganfall 1981 aus .
II. Grundsätzliches
TONI WITWER
»Gott suchen und finden« in Leben,
Praxis und Anweisungen
des hl. Ignatius
Leben, eigene Praxis und geistliche Anweisungen für andere hängen eng miteinander zusammen und bedingen sich gegenseitig. Der genauere Blick auf diese drei Aspekte der Gott-Suche und ihre Beziehung zueinander ist jedoch nicht nur wichtig, um dieses Wesensmerkmal ignatianischer Spiritualität tiefer verstehen, sondern auch um andere besser in diesem Geiste begleiten zu können.
Zu einem wirklich Gott – und nicht nur sich selbst – suchenden Menschen wurde Ignatius erst, nachdem ihn Gott »heim-gesucht« und so seine Lebenspläne »durchkreuzt« hatte, auch wenn ihm dies selbst erst nach und nach deutlich werden sollte. Vor seiner Verwundung in Pamplona und dem Krankenlager in Loyola war er zwar ein gläubiger Mensch, jedoch keiner, der wahrhaft auf der Suche nach Gott war. Wie dem Paulus vor Damaskus stellte Gott sich auch dem Ignatius gleichsam in den Weg und ließ seine schwere Verwundung, die ihn bis an den Rand des Todes führte (vgl. BP 3), zur inneren Frage werden: »Was suchst du? Wen suchst du?« (vgl. BP 7).
Zwar noch ganz auf sich selbst bezogen und in Gedanken mit seiner weiteren Karriere beschäftigt (vgl. BP 4–6), erfuhr er in seiner Krankheit erstmals in tieferer Weise die Grenzen seines Lebens und die eigene Schwachheit – und »fand« so wirklich Gott. Durch die Erfahrung der eigenen Abhängigkeit – die Erfahrung seines Geschaffenseins – gelangte er zur Erfahrung und Erkenntnis Gottes, d.h. er wurde dort auf Gott wahrhaft aufmerksam, wo er erkannte, wie sehr sein ganzes Leben von Gott abhängt.
Diese gleichsam erste und grundlegende Erfahrung Gottes weckte in ihm das Verlangen, sich weiter mit Gott zu beschäftigen und nach diesem zu »suchen«. Begonnen hatte diese Suche mit der wachsenden Aufmerksamkeit für die Gegenwart und das Wirken Gottes in seinem Leben und im Verspüren der Verschiedenheit der geistlichen Bewegungen (vgl. BP 8), – und sie wurde in dem Maße immer lebendiger, wie er Gott dank dessen entgegenkommender Liebe »finden« konnte, d.h. das »Gefundene« – die Erkenntnis und Erfahrung Gottes – wurde für ihn zum Stimulus für die weitere Suche.
In seinem Nachdenken über sein Leben erkannte er nicht nur seine Schuld und die Notwendigkeit der Buße und Umkehr (vgl. BP 9), sondern er wurde auch schrittweise sensibel für die Berufung: er spürte, dass Gott von ihm etwas wollte und einen Plan mit ihm hatte. In seinem Verlangen, die Heiligen nachzuahmen (vgl. BP 7 u. 9) und ein ganz auf Gott ausgerichtetes Leben zu führen, blieb er jedoch zunächst beim Vertrauen auf sich selbst stecken und war noch nicht zu einem wirklichen Vertrauen auf Gott fähig. Seine »Suche nach Gott« beschränkte sich in dieser Phase weitgehend auf eine Suche nach der eigenen Vollkommenheit – durch das Nachahmen der Heiligen – und glich damit der Frage des reichen Mannes: »Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?« (Mk 10,17).
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