Verlag Echter - inspiration 1/2020

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Manchmal verliert man den Überblick. Zu viel stürmt auf einen ein. «Es ist komplex» – ist oft zu hören, wenn etwas nicht geklappt hat und die benannte Unüberschaubarkeit zum Scheitern geführt hat. Komplexität erscheint dann als Bedrohung. In der komplexen Welt stecken aber auch Chancen und Möglichkeiten. Komplexität zu erschließen kann bedeuten, Menschen und ihre Angelegenheiten zu verbinden, Neues und Altes, Probleme und Lösungen. Hier ist Raum für Neues, Improvisationen, Anfänge.
Wenn sich in diesen Tagen Menschen aus der katholischen Kirche – Frauen und Männer, Bischöfe und Laien, «Expertinnen» und «einfache Gläubige» – gemeinsam auf den synodalen Weg machen, dann erleben sie Komplexität – beängstigend für manche, ein Anfang für andere, vielfältiger als gedacht für die meisten.
In Zeiten, in denen Populisten die Welt mit einfachen Antworten auf komplexe Probleme erklären wollen, spüren viele, dass das verlockend ist, aber eben doch keine Lösung.
Mit dieser Ausgabe der Inspiration verbinden wir verschiedene Perspektiven auf die Komplexität und durchschreiten die komplexe Welt von sehr unterschiedlichen Startpunkten aus. Es kommen unterschiedliche Autorinnen und Autoren mit ihren Wahrnehmungen und Zugängen zu Wort. Dabei gehen sie den folgenden Fragen nach: Welche Rolle spielen Religiosität, Spiritualität und Rituale im Angesicht einer komplexen Welt? Wie finden sich Wege zur Einfachheit? Wie bleibt man handlungsfähig, ohne alles überblicken zu können? Und ganz konkret: Wie komplex ist eigentlich Gerechtigkeit?
Religiosität und Spiritualität können Wege sein mit der Komplexität umzugehen. Gott und das Sprechen von ihm aber ist dabei auch eine komplexe Angelegenheit. Dabei stehen die drei Beiträge zur Gottesfrage und der Frage, wie man von und zu Gott sprechen kann, die auf ganz unterschiedliche Weise von Komplexität und Einheit sprechen nicht im Widerspruch zueinander, sondern zeigen erst die Vielfalt der Möglichkeiten.

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Impressum

46. Jahrgang – Heft 1, März 2020

ISSN 2366-2034

Die Zeitschrift »inspiration« erschien bis zum 41. Jahrgang 2015 unter dem Titel »meditation« mit der ISSN 0171-3841

Verlag:Echter Verlag GmbH, Dominikanerplatz 8, 97070 Würzburg

Telefon (09 31) 6 60 68-0, Telefax (09 31) 6 60 68-23, Internet: www.echter.de

Satz:Crossmediabureau, Jürgen Georg Lang, Gerolzhofen

Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt.

Redaktion:Maria Gondolf, E-Mail: buero@maria-gondolf.de, Tel.: 0 22 26/8 90 05 29;

Clarissa Vilain, E-Mail: clarissa.vilain@gmail.com

inspiration erscheint viermal im Jahr

Informationen unter www.echter.de/zeitschriften/inspirationAbonnementskündigungen nur zum Ende des jeweiligen Jahrgangs

E-Book-Herstellung und Auslieferung:Brockhaus, Kommissionsgeschäft GmbH, Kreidlerstraße 9, 70806 Kornwestheim, www.brocom.de

Bildnachweis:

Titelmotiv: Panka Chirer-Geyer – www.panka.info

S. 53/54: © Johannes Schröer

Inhalt

inspiration

Heft 1.20 · Komplexe Welt

Editorial

Sr. M. Ancilla Röttger osc

In einer komplexen Welt zur Einfachheit finden

Maria Herrmann

Ein Lob auf den verspäteten Zug

Prof. Dr. Heinz-Josef Fabry

Die Gottesfrage in einer komplexen Welt

Christian M. Rutishauser SJ

Der eine Gott und die Vielfalt/Komplexität der Welt

Prof. Dr. Hans-Joachim Sander

Von Gott sprechen – sich komplexe Räume zumuten

Dr. Christine Lungershausen

Hoffnung sichten – Rituale und Komplexität

Christoph Fleischmann

Gerechtigkeit ist nicht einfach …

Dennis Frühbrodt

Zwischenruf - In der Komplexität handlungsfähig bleiben

Johannes Schröer

Sichtweisen. Wie kommt das Komplexe ins Bild - Ein Fotograf erzählt

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

manchmal verliert man den Überblick. Zu viel stürmt auf einen ein. »Es ist komplex« – ist oft zu hören, wenn etwas nicht geklappt hat und die benannte Unüberschaubarkeit zum Scheitern geführt hat. Komplexität erscheint dann als Bedrohung. In der komplexen Welt stecken aber auch Chancen und Möglichkeiten. Komplexität zu erschließen kann bedeuten, Menschen und ihre Angelegenheiten zu verbinden, Neues und Altes, Probleme und Lösungen. Hier ist Raum für Neues, Improvisationen, Anfänge.

Wenn sich in diesen Tagen Menschen aus der katholischen Kirche – Frauen und Männer, Bischöfe und Laien, »Expertinnen« und »einfache Gläubige« – gemeinsam auf den synodalen Weg machen, dann erleben sie Komplexität – beängstigend für manche, ein Anfang für andere, vielfältiger als gedacht für die meisten.

In Zeiten, in denen Populisten die Welt mit einfachen Antworten auf komplexe Probleme erklären wollen, spüren viele, dass das verlockend ist, aber eben doch keine Lösung.

Mit dieser Ausgabe der Inspiration verbinden wir verschiedene Perspektiven auf die Komplexität und durchschreiten die komplexe Welt von sehr unterschiedlichen Startpunkten aus. Es kommen unterschiedliche Autorinnen und Autoren mit ihren Wahrnehmungen und Zugängen zu Wort. Dabei gehen sie den folgenden Fragen nach: Welche Rolle spielen Religiosität, Spiritualität und Rituale im Angesicht einer komplexen Welt? Wie finden sich Wege zur Einfachheit? Wie bleibt man handlungsfähig, ohne alles überblicken zu können? Und ganz konkret: Wie komplex ist eigentlich Gerechtigkeit?

Religiosität und Spiritualität können Wege sein mit der Komplexität umzugehen. Gott und das Sprechen von ihm aber ist dabei auch eine komplexe Angelegenheit. Dabei stehen die drei Beiträge zur Gottesfrage und der Frage, wie man von und zu Gott sprechen kann, die auf ganz unterschiedliche Weise von Komplexität und Einheit sprechen nicht im Widerspruch zueinander, sondern zeigen erst die Vielfalt der Möglichkeiten.

Inspirierende Zeit mit dieser Ausgabe wünscht Ihnen,

Clarissa Vilain Sr M Ancilla Röttger osc In einer komplexen Welt zur - фото 1

Clarissa Vilain

Sr. M. Ancilla Röttger osc

In einer komplexen Welt zur Einfachheit finden

Geistliche Begleitung

Als geistliche Begleiterin widmet sich Sr. Ancilla der Frage, wie es möglich ist mit Verunsicherung und bedrohlicher Komplexität positiv umzugehen. In der geistlichen Begleitung zeichnet sie einen Weg aus dem Glauben heraus Leitung für sich selbst zu übernehmen.

In meiner Weise Menschen zu begleiten erfülle ich die Standards geistlicher Begleitung vielleicht nicht im klassischen Sinn. In meinem Selbstverständnis als Begleiterin sehe ich mich eher als ein Coach auf geistlichem Weg. Durch gezielte, hilfreiche Fragen möchte ich Menschen helfen zu ihren Lösungen zu finden.

Das Ziel ist entscheidend: Menschen auf ihrem Alltagsweg zu begleiten, dass sie dahin finden, in Freiheit aufrecht vor Gott, vor den Mitmenschen und vor sich selbst zu stehen. Dabei steht mir eine mir sehr wichtige Szene aus dem Johannesevangelium vor Augen: Der Hohepriester befragt Jesus über seine Jünger und seine Lehre, und Jesus verweist ihn auf all die, die ihm zugehört haben. Schließlich hat er in aller Öffentlichkeit gelehrt. Daraufhin schlägt ihn einer der Diener des Hohenpriesters ins Gesicht und Jesus konfrontiert ihn: »Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du mich?« (Joh 18,23). Das wäre für mich christliche Freiheit: nicht zurückschlagen, aber dem anderen die Frage nach seinem Tun nicht ersparen. Dahin möchte ich Menschen begleiten auf ihrem Weg, und der beinhaltet sowohl die Konfrontation mit den anderen, mit sich selbst und mit Gott.

In einer veränderten Welt, die immer komplizierter und immer komplexer wird, verlangt es eine immer stärkere Konzentration, sich vom Eigenen nicht abbringen zu lassen und das Eigene überhaupt erst zu entdecken. Humboldt soll einmal gesagt haben: Die schlechteste Weltanschauung ist die, die die Welt nie angeschaut hat! Also schauen wir zuerst auf diese Welt, die der Boden ist, auf dem wir versuchen nach dem Evangelium zu leben und unserem Glauben im Alltag Gestalt zu geben.

Freiheit: nicht zurückschlagen, aber dem anderen die Frage nach seinem Tun nicht ersparen.

Ein aus seinem Dienst scheidender Kriminalpolizist, der zugleich als Diakon seelsorglich tätig ist, schrieb im Pfarrbrief seiner Pfarrei über die Veränderungen, die er in seinem Einsatz, zuletzt als Opferschutzbeauftragter, im Laufe der Jahrzehnte wahrgenommen hat: unter anderem eine »höhere Aggressivität, gekoppelt mit Respektlosigkeit und Gewalt gegenüber Autoritäten sowie eine gestiegene Unzufriedenheit in weiten Teilen der Bevölkerung unseres Landes. Der Hass und die Hetze im Netz werden fast schon gesellschaftsfähig. […] Die eigene [oft unreflektierte] Meinung scheint das Nonplusultra zu sein; die eigene Wahrnehmung ist maßgebend und wird kaum hinterfragt. […] Neue Techniken und damit verbunden eine immer größere Technisierung erschaffen nicht nur neue Kriminalitätsfelder, sondern beschleunigen und verändern unser Leben von Grund auf.« Eine wirkliche Herausforderung für einen geistlichen Weg. Natürlich gibt es auch viele positive und nicht nur negative Veränderungen, aber die Letzteren sind zunächst die Stolpersteine auf unserem Weg.

Im Internet unterwegs, um über unsere komplexe Welt ein wenig mehr Informationen zu erhalten, fand ich einen Blog über Werteentwicklung, die anhand eines Akronyms dargestellt wurde: VUCA. Entwickelt in den 1990er Jahren von einer amerikanischen Militärausbildungsstelle im Blick auf die Ausbildung militärischer Führungspersonen, hat es sich inzwischen auf viele Bereiche ausgebreitet. Was für Führungspersonen – gleichgültig ob im militärischen oder wirtschaftlichen Bereich – wichtig ist, scheint mir auch für ganz normale Menschen zu gelten, die in ihrem eigenen Leben in dieser Welt Leitung für sich selbst übernehmen wollen – und zwar aus dem Glauben heraus. So nehme ich dieses Wort als Leitfaden für meine Überlegungen, da es nicht nur eine Beschreibung der aktuellen Welt ist, sondern zugleich auch mit anderer Wortbedeutung eine Bewältigung der Komplexität anzeigt.

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