2.2.3 Kirche – eine Gesellschaft mit hierarchischen Organen
Aber, so stellt sich die Frage, kann und darf die eine Kirche Jesu Christi wirklich als Organisation bezeichnet werden – auch wenn die Kirchenkonstitution Lumen gentium im Zweiten Vatikanischen Konzil die irdische Kirche als sichtbare, also soziale Versammlung ( LG 8 ) definiert hatte? Bei seiner morgendlichen Predigt in der Kapelle des Hauses Santa Marta griff Papst Franziskus einmal die Turbulenzen um die Vatikan-Bank IOR auf und meint, dass die Kirche „ihre wesentliche Substanz verliert“, 197wenn sie sich in ihrem Verhalten und ihren Aktivitäten als Organisation definiert. Ob der Papst mit diesen Worten der Kirche menschliche und soziale Werte absprechen möchte, die in jeder Organisation, in der Menschen zusammenarbeiten, zum Tragen kommen, oder ob er mit der Bezeichnung Organisation vielleicht doch eher mafia-verwandte Strukturen meinte, muss offen bleiben. Beides ist denkbar, aber aus dem theologischen Verständnis des Konzils, und hier vor allem der Kirchenkonstitution, bietet sich doch eher eine hermeneutische Eingrenzung dahingehend an, dass der Kirche, die „geheimnisvoller Leib Christi“ ist, als einer „mit hierarchischen Organen ausgestatteten Gesellschaft“ ( LG 8 ) kaum das Wesensmerkmal einer Organisation abgesprochen werden kann.
Um potentiellen, sowohl angestrebten oder aber auch unbewussten Fehlinterpretationen aus dem Weg zu gehen, sei hier jedoch der Versuch gewagt, die vielleicht zu sehr auf eine weltliche Institution bezogene und damit eingrenzende Begriffsbezeichnung „Organisationskultur“ im Kontext der Kirche Jesu Christi präziser zu formulieren. Zudem könnte die Begrifflichkeit „Organisationskultur“ zur Betrachtung einer eindimensionalen, d.h. der sichtbaren Fassade der Kirche verleiten. Um der ungeteilten komplexen Wirklichkeit der Kirche nach Lumen gentium gerecht werden zu können, sollte demnach der in der Betriebswirtschaft wurzelnde Ausdruck „Organisationskultur“ für die Kirche präziser und somit auch unmissverständlicher gefasst werden.
Um diese Spannung lösen zu können, bedarf es der Reflexion auf die Sendung der Kirche in der Welt. „Man wird den ganzen Fragen nur gerecht, wenn man die Botschaft von der Gottesherrschaft als die Mitte der Verkündigung Jesu darstellt“, schreibt Kardinal Karl Lehmann schon 1982, damals noch nicht Bischof, und fügt hinzu: „Jesus sieht die endzeitliche Gottesherrschaft als das Heil an, das schon jetzt das ganze Denken und Handeln des Menschen bestimmen soll.“ 198Es geht also keineswegs um eine Vertröstung auf das jenseitige Reich Gottes, sondern um die Verkündigung der Frohen Botschaft, dass Gottes Herrschaft schon hier auf Erden Möglichkeit hat zu keimen und zu wachsen, aber noch nicht zur vollen Blüte kommen kann.
Jede soziale Organisation oder Institution, ob wirtschaftlich, karitativ, wissenschaftlich oder religiös gesehen, baut in und um sich neben der Organisationskultur
(1) eine Strategie, also einen „genauen Plan des eigenen Vorgehens [auf], der dazu dient, ein militärisches, politisches, psychologisches, wirtschaftliches o.ä. Ziel zu erreichen, und in dem man diejenigen Faktoren, die in die eigene Aktion hineinspielen könnten, von vornherein einzukalkulieren versucht“ 199; und
(2) eine Struktur, die die „Anordnung der Teile eines Ganzen zueinander“ regelt, etabliert einen gegliederten Aufbau, also eine innere Gliederung des Handelns, und ein „Gefüge, das aus Teilen besteht, die wechselseitig voneinander abhängen; [also ein] in sich strukturiertes Ganzes.“ 200
Die Organisation der Kirche und ihrer nahestehenden Organisationen, die mit ihr direkt oder indirekt verbunden sind, unterscheidet sich in diesem organisationstheoretischen Sinn nicht von anderen Organisationen, auf die diese zitierten Definitionen Bezug nehmen.
72 Siehe Kap. 6., Kulturanalyse zweier österreichischer Diözesen.
73 Vgl. Soares-Prabhu, Biblical Themes, 16-25.
74 Vgl. ebd., 16.
75 Vgl., ebd., 16. Als indischer Jesuit hat Soares-Prabhu aus den letzten Jahrhunderten christlicher Missionsarbeit gelernt und sieht heute die Fehltritte vor allem evangelikaler Missionare sehr klar, ohne allerdings Vertreter großer christlicher Gemeinschaften und selbst die katholische Kirche von solchen zweifelhaften Missionspraktiken auszuschließen.
76 Vgl. Soares-Prabhu, 18-19.
77 Soares-Prabhu, Biblical Themes, 20: „Because living out Christian life properly is already mission, the Sermon on the Mount, which marks out the contours of Christian living, becomes a strategy for mission!” [Übersetzung des Verfassers].
78 Siehe Kap. 5, Sechs Dimensionen einer kirchlichen Organisationskultur.
79 Vgl. Soares-Prabhu, 21-23.
80 Ebd.: „[…] and not just of a mother Teresa in it“ [Übersetzung des Verfassers].
81 Vgl. Eucharistiefeier mit den Kardinälen, Predigt von Papst Franziskus in der Sixtinischen Kapelle am 14.03.2013, in: https://w2.vatican.va/content/francesco/de/homilies/2013/documents/papafrancesco_20130314_omelia-cardinali.html, abgerufen am 23.02.2015.
82 Vgl. Soares-Prabhu, 21.
83 Vgl. Werlen, Heute im Blick, 163-164.
84 Vgl. Soares-Prabhu, 21-22.
85 Im Original: „I would suggest, first, that all of you Christians, missionaries, and all, must begin to live more like Jesus Christ.” [Übersetzung des Verfassers], in: Where Love is, God is Also, http://robtshepherd.tripod.com/gandhi.html, abgerufen am 23.02.2015.
86 Gandhi, Christian Missions, 162, „Don’t talk about it. The rose doesn’t have to propagate its perfume. It just gives it forth and people are drawn to it. Don’t talk about it. Live it. And people will come to see the source of your power” [Übersetzung des Verfassers].
87 Barry/Doherty, Gott in allen Dingen finden, 103-106.
88 Soares-Prabhu, Biblical Themes, 22, „[…] as leading history to its fulfilment in the full realization of the kingdom of God“ [Übersetzung vom Verfasser].
89 Vgl. Werlen, Heute im Blick, 163-166.
90 Vgl. Soares-Prabhu, Biblical Themes, 23.
91 Fußnote zitiert in LG 23: Cyprian, Epist. 55, 24: Hartel 642, Z. 13: „Die eine Kirche ist über die ganze Welt hin in vielen Gliedern verteilt“, ders., Epist. 36, 4: Hartel 575, Z. 20 bis 21.
92 Vgl. Dulles, A., Models of the Church, Garden City, NY, 1974.
93 Kasper, Katholische Kirche, 180.
94 Vgl. ebd., 181-190.
95 Ebd., 183.
96 Ebd., 196.
97 Vgl. Rahner, K., Kirche der Sünder, Freiburg im Breisgau 2011.
98 Martin Luther „hat das ‚blinde undeutliche Wort Kirche‘ oft als Versammlung und versammelten Haufen bestimmt“, zitiert in: Kasper, Katholische Kirche, 184 nach: Luther, M., BSLK 656; WA 5, 293; 50, 635.
99 Vgl. dazu die von Papst Pius XII. am 29. Juni 1943 veröffentlichte Enzyklika Mystici corporis.
100 Kasper, Katholische Kirche, 185.
101 Kasper, Papst Franziskus, 53.
102 Vgl. ebd.
103 Vgl. Ansprache von Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in der Synagoge von Rom, 1986, zitiert in: Lustiger, Kardinal Jean-Marie; „Unsere älteren Brüder“ (Johannes Paul II.). 40 Jahre Zweites Vatikanisches Konzil und Nostra aetate, ( https://www.nostra-aetate.unibonn.de/kirchliche-dokumente/online-publikation-die-kirchen-und-das-judentum/i.-katholische-verlautbarungen-1/pdfs/pdf-201eunsere-aelteren-brueder201c-johannes-paul-ii.-.-40-jahrezweites-vatikanisches-konzil-und-nostra-aetate, abgerufen am 01.12.206); Jorge Bergoglio im Gespräch mit Rabbiner Abraham Skorka, in: Bergoglio, Jorge (Papst Franziskus), Skorka, Abraham, Über Himmel und Erde, München 2013.
104 Kasper, Katholische Kirche 185.
105 Augustinus, Sermones 341, 9, 11; Enarrationes in Psalmos 90,1; De civitate Dei XVIII, 51, zitiert in: Kasper, Katholische Kirche, 186.
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