So kann man Wünsche und Hoffnungen vorwegnehmen und weit in die Zukunft hineinplanen, denn das normale Zeitmaß ist aufgehoben, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind eins.
Wer in einer dieser Nächte keine Antwort auf seine Fragen, Hoffnungen oder Bitten erhält, kann guten Glaubens auf die nächsten Rauhnächte hoffen, in denen sich die Zukunftsmächte vielleicht geneigter zeigen. Es ist eine Zeit der Rückbesinnung, eine Zeit der Ruhe und des Nachdenkens und Verinnerlichens. Es sind die heiligen Nächte, die geheimnisvollste Zeit des Jahres, wenngleich in diesen Zaubernächten die Momente »aufgehoben«, nicht existent sind.
Wenn die Sonne stillsteht …
Nach altem Volksglauben ruht die Sonne in den Zwölften, steht still an jedem Tag, bewegt sich nicht von der Stelle. Die Zeit ist aufgehoben, eingefroren. Vergangenes entsteht auf die Zukunft hin, die Zukunft zieht Vergangenes auf sich.
Den Menschen ist bewusst, dass sie in dieser seltsamen, unheimlichen und gefährlichen Zeit nichts gestalten oder bewirken können. Keine Tätigkeit ist gesegnet, kein Handwerk wird gelingen, keine Fahrt darf unternommen werden.
Werkzeuge und Materialien verweigern ihren Dienst, keine Arbeit ist von Glück gesegnet. Auch die Feldarbeit muss ruhen. Selbst Odins Name darf nicht erwähnt werden, und lautes Sprechen ist untersagt.
Das Haus soll aufgeräumt sein, es darf keine Wäsche gewaschen oder aufgehängt werden, damit die wilden Reiter sie nicht stehlen können. Wahrscheinlich stammt daher der Brauch, zwischen Weihnachten und Neujahr keine weiße Wäsche zu waschen.
… und die Tiere sprechen
Wer in dieser Zeit ganz besonders den Atem und das Wirken und Walten der Götter spürt, das sind die Tiere, denen jetzt die besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge der Bauern und Landsleute gilt. Während der Rauhnächte ist Pferden, Kühen, Ochsen und Eseln die besondere Gabe der Sprache geschenkt, um sich über die Menschen und die Zukunft des Hauses, zu dem sie gehören, zu unterhalten und auch die Zukunft der darin wohnenden Menschen zu erkennen.
Sie »wissen« auf unerklärliche Weise um die Sorgen und Kümmernisse, Leiden und Gebrechen der sie Betreuenden und haben auch so manchen Ratschlag und Fingerzeig für sie bereit. Den Tieren kann man vertrauen, sie kennen kein Falsch oder Richtig, sie geben nur das wieder, was ihnen ihre Natur befiehlt.
Träume in den Rauhnächten
Während dieser von zahlreichen Geheimnissen umwisperten heiligen Nächte, in denen die Zeit stillzustehen scheint, wurde neben viel geliebten Orakeln, Frage- und Schicksalsspielen großer Wert auf Träume und Traumerlebnisse gelegt. Sie waren kostenlos und bedurften keinerlei Gerätschaften oder großer Vorbereitungen. Und konnten von jedem ausgeführt werden. Da in diesen Nächten das über das normale Jahr verborgene und verschlossene Tor zur Anderswelt weit offen stand, waren die Kontakte und Berührungen in diese Welt jenseits unserer normalen Wirklichkeit sehr intensiv und bedeutungsvoll. Was sich auch auf die Träume auswirkte, die viele Male Ausblicke in zukünftige Geschehen gestatteten.
Still waren die Menschen in den zwölf Schicksalstagen. Alle häuslichen und landwirtschaftlichen Arbeiten, die nicht unbedingt notwendig waren, ruhten.
In diesen dunklen Winter- und Frostnächten ging man früh schlafen, um der beißenden Kälte zu entgehen sowie auch der allnächtlich mit tollem Lärm und Getöse durch die Lüfte tobenden, von Odin, dem Wilden Jäger, und Frau Holle angeführten Wilden Jagd.
Nachdem Tür und Tor verriegelt waren, zog man sich gern in die Schlafkammern zurück, wohl auch in der Hoffnung, im nächtlichen Träumen dem zukünftigen Geliebten oder Ehemann zu begegnen oder eine Botschaft von ihm zu erhalten.
TAGE ZUR TRAUMDEUTUNG
INFO
Sehr beliebt zur Traumdeutung und für die Zukunftsbefragung waren der Thomastag (siehe Seite 49ff.), der Heilige Abend, Silvester und Neujahr sowie die Nacht vom 5. Januar auf den Dreikönigstag. Gerade diese Nächte waren zur Zukunftsschau besonders geeignet, da die Energie der Zwölften sehr stark zu spüren war.
Oder war es die Symbolkraft der Heiligen, der tiefe Glauben und die feste Zuversicht der Menschen, dass ihnen der himmlische Beistand gewiss sein wird? Jedenfalls waren an diesen Rauhnächten und Lostagen die Träume besonders intensiv und aufschlussreich.
Nach den althergebrachten und viel bewährten Traditionen stand jeder Traum für ein besonderes Ereignis im neuen Jahr, in den kommenden Monaten. Danach galten Träume vor Mitternacht der ersten Monatshälfte: also im Januar bis zum 15. Januar. Träume nach Mitternacht wurden für die zweite Monatshälfte bestimmt.
Das waren allgemeine Regeln. Jeder Mensch musste für sich herausfinden, welche Zeit für ihn die richtige war. So gab es Menschen, die träumten am Thomastag oder in der Silvesternacht überhaupt nicht oder konnten sich nicht an das Nachtgeschehen erinnern; andere wiederum erlebten ganze Episoden und aufschlussreiche Szenen.
Da man in der damaligen Zeit keine technisch hergestellten Filme kannte, nahmen die Träumer die gesehenen Erlebnisse und Bilder als für sie bestimmte Weisungen und Botschaften der ihnen wohlgeneigten Götter auf. Die besonderen feinstofflichen Schwingungen dieser geheimnisvollen Nächte des Rauhwinters förderten das Traumerleben und erleichterten das Deuten von Ereignissen und erfahrenen Erlebnissen.
Denn im Schlaf ist die Seele frei von der Behinderung des Körpers und seinen Begrenzungen. Die unsterbliche Seele weiß, was ihr im vergangenen Leben geschah, sie kann unbewusst Verbindung zu anderen Seelen aufnehmen, um einige Ideen ihrer eigenen Zukunft aufzuspüren. Sie weiß, was geschehen ist und – was noch geschehen wird.
Zukünftigem begegnen
Das Träumen in den Rauhnächten kann Raum und Zeit überwinden und zukünftiges Geschehen offenbaren. Viele Träumer haben erstaunt festgestellt, dass sie in manchen ihrer Träume Personen und Ereignisse erblickten, die ihnen in den nächsten Monaten des neuen Jahres tatsächlich begegneten. Sie haben erlebt, wie sehr sich ihre Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen im neuen Jahr bewahrheiteten, wie sich ihnen neue Dimensionen öffneten und sie in der Lage waren, bisher Verborgenes zu erkennen. Es gibt auch mündliche Berichte, die besagen, wie verschwundene Dinge auf einmal wieder auftauchten und viele bislang unterdrückte Wahrheiten ans Licht kamen. Natürlich wurde auch zu anderen Zeiten geträumt, allerdings haben die Träume und nächtlichen Reflexionen der heiligen Nächte – allen Erfahrungen nach – eine ganz andere Qualität und Intensität. Träume sind Botschaften. Mal kommen sie aus der Vergangenheit, dann wieder aus der Zukunft. Oder sie spiegeln wider, was uns insgeheim bewegt.
In den Rauhnächten achtete man besonders auf die Träume, Symbole und Personen, die man durch das besonders nachhaltige Traum(er)leben erfuhr.
Das Hauptaugenmerk richtete sich dabei auf die Erforschung des zukünftigen Ehegatten und Geliebten, aber auch auf den Beruf, auf das Leben und Sterben, das Bleiben oder Weiterziehen. Denn Träume sind die ehrlichsten und aufrichtigsten seelischen Äußerungen des Menschen. Sie begleiten uns von der Geburt bis zum Tode – sie sind eine Wirklichkeit aus einer anderen Welt, aus der Anderswelt.
Anlegen eines Traumtagebuches
Für die Menschen und Träumenden unserer Tage empfiehlt sich das Anlegen eines Traumtagebuches. Erstens vergisst man nicht, was man träumte, zweitens kann man immer wieder nachschlagen, wenn ein gleicher oder ähnlicher Traum auftaucht, man kann nachlesen, in welcher Zeit das Traumgeschehen erlebt und erfahren wurde, und welche äußeren Umstände zu dieser oder jener Erfahrung geführt hatten.
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