25. Sept.: Die ganze Stadt Brientz war scheint’s in den Räumen unten versammelt; hübsche Musik und vorzügliches Walzertanzen; nichts als Bauern; das Tanzen viel besser als in England; die Engländer können nicht Walzer tanzen, konnten es nie und werden es auch nie können. Ein Mann behielt die Pfeife im Mund, tanzte aber so gut wie die anderen; einige andere Tänze, zu zweien und zu vieren, und sehr gut. Ich ging zu Bett, aber die Lustbarkeit war bis spät und früh im Gange. Brientz ist nur ein Dorf. Früh aufgestanden. Auf den Brientzer See hinausgefahren, in einem langen Kahn, der von Frauen gerudert wurde (eine sehr jung und sehr hübsch – setzte mich zu ihr und fing auch an zu rudern): nach kurzer Zeit legten wir an, und wieder sprang eine Frau herein. Es scheint hier Sitte zu sein, dass die Kähne von Frauen bemannt werden: denn von fünf Männern und drei Frauen in unserem Boot nahmen alle Frauen ein Ruder und nur ein Mann.
[…] Am Abend erreichten wir Thoun: das Wetter war den ganzen Tag recht erträglich; aber da der wilde Teil der Tour vorüber ist, ist es uns gleich: während des wünschenswerten Teils haben wir wirklich sehr viel Glück gehabt, was Wärme und Durchsichtigkeit der Atmosphäre betrifft, und dafür «wollen wir den Herrn loben»!
Quelle: Byron in seinen Briefen und Tagebüchern, dargestellt von Cordula Gigon. Zürich: Artemis Verlags-AG 1963, S. 354–362.
1824
Karl
Friedrich
Schinkel
Freiburg —
Basel —
Liestal —
Solothurn —
Bern —
Neuchâtel —
Yverdon —
Lausanne —
Sion —
Brig —
Simplon —
Mailand

Sion mit Notre-Dame de Valère von der Festungsruine Tourbillon aus gesehen. Bleistift- und Federzeichnng von Karl Friedrich Schinkel (1824).
In der Stadt sind wenig Häuser, die bewohnt aussehen; alles scheint auf Ruinen und alten Gewölben zusammengebaut, mehr der Aufenthalt von Ratten, Eulen und Fledermäusen als von Menschen zu sein.
Karl Friedrich Schinkel (1824)
Gotischer Dom am Wasser, die Innenansicht eines Bergwerks in Katalonien, Palastgarten mit Blick auf Kaschmir, die – imaginierte – Villa Laurentia von Plinius dem Jüngeren: Karl Friedrich Schinkels hochpoetische Bilderwelten, seien es zur praktischen Verwendung gedachte Architekturskizzen, seien es Reiseimpressionen oder Opern-Bühnenbilder, sind zum Hinknien schön. Man kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Der Mann war ein Genie, ein Multitalent – Architekt, Maler, Denkmalpfleger, Bühnenbildner, Möbeldesigner. Als «Schrittmacher der Moderne» (Jürgen Tietz) hatte er dem klassizistischen Berlin seine visuelle Signatur aufgeprägt, die preussische Residenzstadt geformt. Man begegnet seinen Bauten auf Schritt und Tritt, von der Neuen Wache Unter den Linden über das Alte Museum bis hin zum Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Dass Berlin den Beinamen «Spree-Athen» bekommen hat, ist sein Verdienst.
1824 reiste er zum zweiten Mal nach Italien, ein berühmter Baumeister, Familienvater, ein Mann in den besten Jahren. Er reiste als Architekt in Staatsdiensten, nach einem genauen Terminplan und mit Aufträgen seines Ministers Altenstein. Vor allem ging es darum, für das im Bau befindliche Museum (heute: Altes Museum) Anschauungsmaterial in puncto Inneneinrichtung und Ausstattung zu sammeln.
Die Schweiz war dabei nur ein Nebenschauplatz. Dass er sie mit Musse durchquert und auch dort einiges gesehen, notiert und skizziert hat, wird in der Forschungsliteratur kaum je erwähnt. Dabei hat er ein ausführliches Tagebuch über die Reise von Basel bis zum Simplonpass geschrieben. Aber schon in den ersten Abschnitten zeigt sich: Er war ein ungeheuer begabter Zeichner, ein begnadeter Schreiber war er nicht. Gewissenhaft schildert er, was ihm auf der Reise aufgefallen ist; oft geht er bei baulichen Besichtigungen ins Detail, das gehört zu seinem Beruf. Und das klingt dann im Abschnitt über Neuchâtel zum Beispiel so: «Das Rathaus der Stadt, ein ansehnliches Gebäude aus Quaderstein mit einem reichen Säulenvestibül, einer sehr kühnen Treppe und prächtigen Sälen ist eine würdige Stiftung eines reichen Einwohners und wird herrlich unterhalten.» In seiner Beschreibung wird noch so vieles mit den Prädikaten schön, ansehnlich, herrlich, anmutig versehen sein … Nun gut, dazwischen hält er doch ein paar prägnante Sätze bereit. Zum Beispiel die lakonische Beobachtung, die Menschen, besonders die Frauen, seien «in diesem schönen Lande nicht schön». Aufschlussreich sind auch seine ästhetischen Urteile, etwa wenn er Städte vergleicht, wobei Basel für einmal über die Massen gelobt wird. Schinkel begeisterte die Aussicht von der Pfalz beim Münster: «[…] altertümlicher rücksichtlich der Gebäude und grandioser in Beziehung auf die Landschaft, übertrifft dieses Panorama noch den Blick, den man von der Dresdener Terrasse hat.» Der Eindruck des pflichtbewussten Absolvierens verstärkt sich noch, wenn man Schinkels Aufzeichnungen mit jenen seiner ersten Italienreise von 1803 bis 1805 vergleicht: «Während die Texte und Zeichnungen der ersten Reise einen Einblick in den dramatischen Entfaltungsprozess eines grossen Künstlers gewähren und durch die Unvollständigkeit der Dokumentation […] etwas von der Erregbarkeit, Spontaneität und Sprunghaftigkeit des Suchenden […] wiedergeben, verrät die, wie es scheint, lückenlose Berichterstattung der zweiten Reise etwas von dem gleichmässig arbeitenden, pflichtbewussten Beamten, der gewohnt ist, das ihm wegen seiner Tüchtigkeit aufgebürdete Arbeitspensum zu erledigen» (Helmut Börsch-Supan). Das Tagebuch diente aber auch dazu, der in Berlin gebliebenen Ehefrau Susanne laufend Bericht zu geben, sie an den Erlebnissen teilhaben zu lassen – es wurde in Abschnitten den Briefen an sie beigelegt. Schinkel verzichtete auf eine Überarbeitung, und an Susanne schrieb er über das Tagebuch: «[…] es ist auch nur so von der Zeit gestohlen hingeschrieben, indes nimmst du es gewiss gern in seinem unvollständigen Zustand auf.»
Spannender als der Text sind die Skizzen, die Schinkel unterwegs gemacht hat (es sind nicht viele, Schinkel hat im Wallis eifrig gezeichnet, dann ausführlicher erst wieder in Sorrent und Amalfi). Und das, was er aus der Schweiz mitgenommen hat nach Deutschland: die Idee der Schweizer Häuser, eine Art Kulturexport. Schinkel war ein früher grosser Fan des Schweizer Chalets. Seine Bemerkungen über die Alphütten in einem Brief an seinen Schwager von 1836 ziehen auch gleich die ganz grossen Linien aus, bis in die Antike: «Die Alpenhütte, sowohl die kleine unbedeutende, als die zierlichste grosse Wohnung eines Patriziers eines kleinen Ortes ist ein classisches architectonisches Werk, wie ein altgriechischer Tempel, und gewiss war sie zu Perikles Zeit schon ganz ebenso gebaut. Die Dachwinkel geben dem Giebel vollkommen dasselbe Verhältnis des Frontons eines griechischen Tempels der besten Zeit. Dazu kommen die trefflichen Galerien unter dem Schutz des weit überragenden Daches; die zierlichsten Ornamente innen an denselben architectonischen Theilen des Gebäudes und oft so fein ausgedacht, dass manches Gebäude an Kunstwerth mit grossen gepriesenen Werken wetteifert und diese sogar übertrifft.»
Unterwegs durch die Kantone Bern, Neuenburg und Wallis hat Schinkel einige kaum ausgearbeitete Skizzen angefertigt, etwa ein «Schweizerhaus im Kanton Bern», weniger Chalet als – soweit erkennbar – eines jener mächtigen Berner, vielleicht Emmentaler Bauernhäuser mit tiefragendem Walmdach und kunstvoll verzierten Lauben. Was er in der Folge daraus gemacht hat, wie er das «Schweizer Chalet» und das «Schweizer Bauernhaus» verwandelt hat in etwas ganz anderes, damit hat er Architekturgeschichte geschrieben.
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