Die Grenze passiert, aus dem Vaud heraus und in den Kanton Bern; das Französische mit einem schlechten Deutsch vertauscht; der Bezirk berühmt für Käse, Freiheit, Besitz und keine Steuern. […] Zum Fluss geschlendert: sah Buben und kleinen Ziegenbock; Böcklein folgte ihm wie ein Hund; Böcklein konnte nicht über einen Zaun kommen und blökte mitleiderregend; versuchte selbst, dem Böcklein zu helfen, wäre aber bald mit ihm in den Fluss gefallen. Ungefähr um sechs Uhr abends hier angekommen. Neun Uhr – im Begriff, ins Bett zu gehen. H. im Nebenzimmer hat sich den Kopf an der Tür angeschlagen und natürlich gegen alle Türen gewettert; heute nicht müde, hoffe aber doch zu schlafen. Frauen plappern drunten: lesen eine französische Übersetzung von Schiller. Gute Nacht, liebste Augusta.
21. Sept.: Früh fort. Das Tal von Simmenthal wie vorher. Der Eingang in die Ebene von Thoun sehr eng; hohe Felsen, bis zur Spitze bewaldet; Fluss; neue Berge, mit grossartigen Gletschern. See von Thoun; weite Ebene mit einem Gürtel von Alpen. Ging hinunter zum Chateau de Schadau; Aussicht den See entlang: überquerte den Fluss in einem Boot, das von Frauen gerudert wurde: Frauen kamen mir jetzt zum erstenmal wieder in den Sinn. Thoun ist eine sehr hübsche Stadt. Die Reise des ganzen Tags war im Hochgebirge und stolz.
22. Sept.: Thoun in einem Schiff verlassen, das uns in drei Stunden über die ganze Länge des Sees brachte. Der See klein; aber die Ufer schön: Felsen bis hinunter zur Wasserfläche. In Neuhause gelandet; an Interlachen vorbeigekommen; dort beginnt eine Kette von Landschaftsbildern, die jede Beschreibung oder Vorstellung übertreffen. An einem Felsen vorbei; Inschrift – 2 Brüder – der eine ermordete den anderen; just der Ort dafür. Nach immer neuen Windungen kamen wir zu einem riesigen Felsen. Mädchen mit Früchten – sehr hübsch; blaue Augen, gute Zähne, sehr helles Haar: ein langes, aber gut geschnittenes Gesicht – erinnerte mich ziemlich an Fanny. 4Kaufte ein paar von ihren Birnen, und klopfte sie auf die Wange; der Ausdruck ihres Gesichts sehr mild, aber gut und gar nicht kokett. Am Fuss des Berges (der Yungfrau, d. h. das Mädchen) angekommen; Gletscher, Giessbäche; einen dieser Giessbäche sieht man von neunhundert Fuss Höhe herunterfallen. Beim Pfarrer untergebracht. Aufgebrochen, um das Tal zu sehen; hörte eine Lawine fallen, wie Donner; sah den Gletscher – ungeheuer. Sturm kam auf, Donner, Blitz, Hagel; alles ganz vollkommen und schön. Ich war zu Pferd; der Führer wollte meinen Stock tragen; ich wollte ihn gerade übergeben, als mir einfiel, dass es ein Stockdegen ist, und ich dachte, der Blitz könnte von ihm angezogen werden; behielt ihn selbst; reichlich behindert damit (und mit meinem Wettermantel), da er zu schwer war, um als Peitsche gebraucht zu werden, und das Pferd war dumm und blieb bei jedem zweiten Donnerschlag stehen. Angekommen, nicht sehr nass; der Mantel ist wasserdicht. H. durch und durch nass; H. suchte Zuflucht in einer Hütte, sandte ihm einen Mann, Schirm und Mantel nach (vom Pfarrer, sobald ich dort war). Das Haus des Schweizer Pfarrherrn ist wirklich sehr gut – viel besser als die meisten englischen Pfarrhäuser. Es ist direkt gegenüber dem Giessbach, von dem ich sprach. Der Giessbach krümmt sich über den Felsen in einer Form wie der Schweif eines weissen Pferdes, der im Wind flattert, so wie man sich den des «fahlen Pferdes» vorstellen könnte, auf dem der Tod reitet, in der Apokalypse. Es ist weder Nebel noch Wasser, sondern etwas zwischen beidem; seine ungeheure Höhe (neunhundert Fuss) gibt ihm eine Welle, eine Krümmung, ein Spreiten hier, ein Verdichten da, wunderbar und unbeschreiblich. Ich glaube, dass dieser Tag, im ganzen genommen, ergiebiger war als alle anderen dieses Ausflugs.
23. Sept.: Vor der Bergbesteigung ging ich (7 Uhr morgens) nochmals zu dem Giessbach; die Sonne darauf bildete aus dem unteren Teil einen Regenbogen aller Farben, aber hauptsächlich Purpur und Gold; der Bogen bewegt sich, wie man sich bewegt; ich habe nie etwas Ähnliches gesehen; das gibt es nur im Sonnenschein. Bestiegen den Wengenberg; mittags erreichten wir ein Tal auf der Gipfelhöhe; liess die Pferde stehen, nahm meinen Mantel ab und ging zum Gipfel hinauf, 7000 Fuss (englische Fuss) über dem Meeresspiegel, und ungefähr 5000 über dem Tal, das wir am Morgen verlassen hatten. Unsere Aussicht umfasste auf der einen Seite die Jungfrau mit allen ihren Gletschern; dann den Dent d’Argent, strahlend wie die Wahrheit; dann den kleinen Giganten (den kleinen Eigher); und den grossen Giganten (den Grossen Eigher) und nicht zuletzt das Wetterhorn. Die Höhe der Jungfrau ist 13 000 Fuss über dem Meeresspiegel, 11 000 über dem Tal; sie ist die höchste dieser Kette. Nahezu alle fünf Minuten hörten wir Lawinen hinunterstürzen – wie wenn Gott den Teufel vom Himmel herab mit Schneebällen bewerfen wollte. Von unserem Standort aus, der Wengen Alp, konnten wir all dies auf der einen Seite sehen: auf der anderen stiegen die Wolken aus dem gegenüberliegenden Tal auf und krausten sich zu senkrecht aufragenden Felsschroffen wie der Schaum des Ozeans der Hölle während einer Springflut – er war weiss und schwefelgelb und schien unermesslich tief. Die Seite, die wir hinaufstiegen, fiel (natürlich) nicht so jäh ab; aber als wir auf dem Gipfel ankamen, blickten wir auf der anderen Seite in ein kochendes Wolkenmeer hinunter, das gegen die Felsen anspritzte, auf denen wir standen (diese Felsen waren auf einer Seite fast völlig lotrecht). Blieben eine Viertelstunde; begannen den Abstieg; fast frei von Wolken auf dieser Seite des Berges. Als wir durch die Schneemassen kamen, machte ich einen Schneeball und bewarf H. damit.
Kamen wieder zu unseren Pferden hinunter; assen etwas; stiegen auf; hörten immer noch die Lawinen; kamen zu einem Sumpf; H. stieg ab; H. kam gut hinüber: ich versuchte, mein Pferd darüber zu lenken, das Pferd versank bis zum Kinn, und natürlich waren es und ich zusammen im Schmutz; über und über beschmiert, aber unverletzt; lachte und ritt weiter. Kamen in Grindelwald an; assen zu Abend, stiegen wieder auf und ritten zu einem höheren Gletscher – Zwielicht, aber deutlich erkennbar – sehr schöner Gletscher, wie ein zu Eis erstarrter Orkan. Sternenlicht, wunderschön, aber ein verflixter Weg! Trotzdem sicher heimgekommen; etwas Blitzen; aber der ganze Tag, was das Wetter betrifft, so herrlich wie der, an dem das Paradies gemacht wurde. An ganzen Wäldern verdorrter Kiefern vorbeigekommen, alle verdorrt; Strünke kahl und ohne Rinde, Zweige leblos; geschehen in einem einzigen Winter – ihr Aussehen erinnerte mich an mich und meine Familie.
24. Sept.: Aufgebrochen um sieben; auf um fünf. Am schwarzen Gletscher vorbei, den Berg Wetterhorn zur Rechten; überquerten den Scheideckberg; kamen zum Rosengletscher, der der grösste und schönste der Schweiz sein soll. Ich halte den Bossons-Gletscher in Chamouni für genauso schön; H. nicht. Kamen zum Reichenback Wasserfall, zweihundert Fuss hoch; hielten an, um die Pferde ruhen zu lassen. Erreichten das Tal von Oberhasli; es begann zu regnen; etwas durchnässt; aber doch nur 4 Stunden Regen in 8 Tagen. Kamen zum See von Brientz, dann zu der Stadt Brientz; zogen uns um. H. stiess sich den Kopf an der Türe an. Am Abend kamen vier Schweizer Bauernmädchen aus Oberhasli und sangen Lieder aus ihrer Gegend; zwei der Stimmen schön – die Melodien auch; sie singen auch diese Tyroler Weise und das Lied, das Du, Augusta, so liebst, weil ich es liebe – und das ich liebe, weil Du es liebst; sie singen noch, Liebste, Du weisst nicht, wie mir das gefallen würde, wenn Du bei mir wärst. Die Weisen sind so wild und eigenartig und zugleich von grosser Anmut. Der Gesang ist vorbei: aber von unten höre ich die Klänge einer Fiedel, die mir für meinen Schlaf heut Nacht nichts Gutes prophezeien. Der Härr helfe uns – ich werde hinuntergehen und dem Tanzen zuschauen.
Читать дальше