Bis heute werden in diesem Haus das ganze Jahr über kontemplative Exerzitienkurse angeboten, die nach wie vor gut besucht sind. Luxus gibt es nicht. Ausstattung und Lebensstil sind einfach. Eine Gruppe von Voluntär(inn)en macht die Hausarbeit, die Kursteilnehmer(innen) helfen mit. Es wird auch nicht auf die Armen vergessen. Projekte in Entwicklungsländern werden unterstützt. Die Atmosphäre der Stille, der Einfachheit, der Solidarität ist spürbar. Sie zieht Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Religion und Konfession an. Dort finden sie einen Raum, in dem sie zur Mitte finden können, wo das göttliche Wort hörbar werden kann.
Mensch, Weg, Ort – diese drei Begriffe, die für mich das Lebenswerk von Pater Franz Jalics charakterisieren, scheinen mir zukunftsweisend zu sein. Wenn es der Kirche, wenn es uns gelingt, mehr davon zu haben, dann ist es möglich, die meines Erachtens große spirituelle Sehnsucht der Menschen heute aufzugreifen und „den Seelen zu helfen“ – wie es Ignatius von Loyola ausgedrückt hat, zu dessen Orden Franz Jalics gehört.
Franz Dünzl | Würzburg
geb. 1960, Professor für Kirchengeschichte des
Altertums, christliche Archäologie und Patrologie
franz.duenzl@mail.uni-wuerzburg.de
Abgrenzung oder Anpassung?
Impulse aus der Frühen Kirche
Den Mentalitätswandel nachzuzeichnen, der die frühen Christen aus einer ursprünglich dominierenden Fremdheit in der Welt zu einer stärkeren Integration führte, war ein Anliegen, dem ich in einer 2015 erschienenen Monographie nachgegangen bin. 1Dieser Wandel war weder eingleisig noch geradlinig, auch wenn sich, auf lange Sicht hin, doch eine klare Tendenz in Richtung einer weltlicher werdenden Kirche abzeichnete. Dennoch blieben die beiden Pole Weltdistanz und Weltverantwortung in den christlichen Milieus unterschiedlich wirksam, und das Fazit der Studie verwies seinerseits auf die notwendige Spannung, die christliche Spiritualität bleibend prägen sollte: Sie bliebe – auf persönlicher wie auch auf gesellschaftlicher Ebene – „unvollständig, wenn das Moment des Engagements oder das Moment der Weltdistanz völlig fehlen würde“, 2auch wenn deren Gewichtung sich immer wieder ändern kann oder neu justiert werden muss. Hier die rechte Balance zu finden, ist keineswegs leicht, es bedarf der „Unterscheidung der Geister“ (vgl. 1 Kor 12,10), wie ich an folgendem Beispiel zeigen will.
Der Streit um die „Servicekirche“
Das Thema, das die innerkirchlichen Diskussionen schon mehrfach beschäftigt hatte, 3wurde im Februar 2016 virulent, 4nachdem sich der damalige Pfarrer der Münsteraner Heilig-Kreuz-Kirche, Thomas Frings, aus seinem Amt zurückgezogen hatte, weil er u.a. in der Sakramentenpastoral nicht länger die Erwartungen und Ansprüche derer erfüllen wollte, die die Kirche als Dienstleister sehen und einen entsprechenden Service nach ihren eigenen Wünschen verlangen, ohne sich selbst nachhaltig in die Gemeinde einzubringen.
Dieser publik gemachte Protest 5stieß nicht nur auf viel Verständnis, sondern auch auf harsche Kritik: 6Welchen anderen Auftrag hätte die Kirche denn als zu dienen?! Das kirchliche Amt sei doch nicht dazu da, Herrschaft auszuüben und den Gläubigen die „Erwartungen der kirchlichen Funktionsträger“ 7aufzudrängen, mit denen sie nichts anfangen könnten; vielmehr sollten sie in ihren Bedürfnissen und ihrer Lebenswirklichkeit ernst genommen und begleitet werden. Gerade so erfülle die Kirche den Auftrag Christi.
Das Problem lässt sich auf die Frage zuspitzen: Sollen die Bischöfe und ihre pastoralen Mitarbeiter(innen) kirchlicherseits Ansprüche formulieren, mit denen sie die Gläubigen bzw. potenzielle Interessent(inn)en konfrontieren, oder ist es ihre Aufgabe, für eine sich verändernde Nachfrage das jeweils erforderliche Angebot bereitzustellen und es nach Möglichkeit mit spirituellem Leben zu erfüllen? Je nachdem, wie die Antwort auf diese Frage ausfällt (Abgrenzung oder Anpassung?), würde es mehr oder eben weniger Taufen und kirchliche Eheschließungen sowie Zulassungen zur Erstkommunion und Firmung geben und dementsprechend eher Zufriedenheit oder Unmut bei den potenziellen Interessent(inn)en, deren Erwartungen erfüllt oder eben enttäuscht würden. Die Lösung dieser Frage liegt keineswegs auf der Hand, denn natürlich stellen Ereignisse wie eine Hochzeit oder die Geburt eines Kindes Wegmarken einer Biographie dar, die die Betroffenen aus der Alltagsroutine herausreißen und den Boden bereiten können für neue Erfahrungen und Sinndeutungen des Lebens. Die Erstkommunion und die Firmung wiederum bieten auch heute noch oft den Anlass, dass Familienangehörige, Freunde und Paten zu einem Fest zusammenkommen, um mit den Kindern und Jugendlichen zu feiern. Andererseits wird wohl niemand bestreiten können, dass die Pastoral, die gerade mit Hilfe der Sakramente diese Erfahrungen und Anlässe „in einen Deutungszusammenhang mit der Heilszuwendung Gottes bringen“ soll, 8in vielen Fällen keine dauerhafte Wirkung erzielt – und es wäre m.E. ungerecht, das pauschal der Inkompetenz der Seelsorger(innen) anzulasten, auch wenn es abschreckende Beispiele geben mag.
Gibt es einen Königsweg in dem Dilemma zwischen „Sakramentenservice“ und „Sakramentenrigorismus“, die ein jeweils anderes Weltverständnis und -verhältnis repräsentieren?
Frühchristliches Paradigma Katechumenat
Nimmt man das frühe Christentum zum Maßstab, wäre die Antwort (zumindest in der Zeit vor Konstantin) der Tendenz nach klar: Die Anforderungen an die Taufbewerber(innen) waren hoch, es fand eine regelrechte Auslese statt. Das Motto lautete nicht: Möglichst schnell möglichst viele Leute taufen! Es ging vielmehr darum, das religiöse Niveau der Gemeinde zu halten. Die Taufinteressent(inn)en brauchten Bürgen (Paten), die sie auf dem mehrjährigen Weg zur Taufe begleiteten, für die Ernsthaftigkeit ihres Taufwunsches einstanden und ihre Bewährung bezeugen sollten. Noch vor Beginn der Taufvorbereitung wurden die Motivation der Interessent(inn)en geprüft und ihre persönlichen Lebensumstände eruiert – einige Berufe waren vom Katechumenat grundsätzlich ausgeschlossen. Die Taufvorbereitung dauerte ungefähr drei Jahre und verlangte von den Katechumenen nicht nur die Teilnahme an Unterweisungen, Gebeten, Wortgottesdiensten, sondern auch soziales Engagement in der Gemeinde, weil „Trittbrettfahrer“ eben nicht erwünscht waren. Vor der Zulassung zur eigentlichen Taufe fand nochmal eine Prüfung statt, die das gesamte Verhalten der Katechumenen während der Vorbereitungszeit in den Blick nahm, um entscheiden zu können, ob die Bewerber(innen) schon „reif“ für die Taufe wären oder zurückgestellt werden müssten. Diese Hürden galten im Übrigen zugleich auch für die Firmung und Kommunion, die ursprünglich im Rahmen einer einzigen Initiationsfeier gespendet wurden – die Teilhabe an der Eucharistie, in der sich die volle Zugehörigkeit zur Gemeinde konkretisierte, war ja das letzte Ziel der jahrelangen Vorbereitung.
Ohne dieses Vorgehen mit den heutigen Kategorien Machtausübung oder Dienstleistung messen zu wollen, ist festzuhalten, dass die Katechumenen einer Vielzahl von Anforderungen und einer strengen Kontrolle unterworfen waren – dem konnte man sich natürlich entziehen, musste dann aber das Risiko des Taufaufschubs in Kauf nehmen. Die Gemeinden sahen sich zu dieser Praxis legitimiert, weil man fest davon überzeugt war, den Taufinteressent(inn)en den (einzigen) Weg zum Heil zu zeigen, der ihnen freilich auch etwas abverlangte. Man wollte das Initiationssakrament (Taufe – Firmung – Eucharistie) nicht vorschnell spenden, um keine „halben“ Christen in die Gemeinde aufzunehmen.
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