Inhalt
Heft 4 | Oktober–Dezember 2020
Jahrgang 93 | Nr.
Notiz
Kirche – wohin?
Bernhard Bürgler SJ
Nachfolge
Spiel und Autorität. Über die Jesuskindverehrung der Frühen Neuzeit
Sr. Anna Elisabeth Rifeser
Schmerz, Hoffnung und Barmherzigkeit. Maria bei Charles Péguy
Peter Becker
Charles Péguy und die Hoffnung
Werner Löser SJ
Geistliche Trockenheit. Eine Projektbeschreibung
Arndt Büssing/Mareike Gerundt
Nachfolge | Kirche
Kirchenaustritt: Nein. Ein biographischer Essay
Claudia Gerstner-Link
Nachfolge | Junge Theologie
Wende durch Lesen
Dieter Fugger
Reflexion
Handelt Gott in der Pandemie?
Martin Breul
„Gott in uns“. Michel Henry im Gespräch mit Meister Eckhart
Daniel Remmel
Perspektiven nach der Krise. Gottes Gerechtigkeit in drei Parabeln des Matthäusevangeliums
Olaf Rölver
„Essen für Heute und Morgen“. Die kommende Welt in frühjüdischen Texten
Claudia D. Bergmann
Lektüre
„… dass ich in dich hineinlaufe in deine Gegenwart“. Pilger-Literatur im Überblick
Michael Hainz SJ
Vom Beteiligen zum Unterscheiden (Teil II). Aufgabe der Christen nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil
Michel de Certeau SJ
Buchbesprechungen; Jahresinhaltsverzeichnis
Impressum
GEIST & LEBEN – Zeitschrift für christliche Spiritualität. Begründet 1926 als Zeitschrift für Aszese und Mystik
Erscheinungsweise: vierteljährlich
ISSN 0016–5921
Herausgeber:
Deutsche Provinz der Jesuiten
Redaktion:
Christoph Benke (Chefredakteur)
Britta Mühl (Lektorats-/Redaktionsassistenz)
Redaktionsbeirat:
Bernhard Bürgler SJ / Wien
Margareta Gruber OSF / Vallendar
Stefan Kiechle SJ / Frankfurt
Bernhard Körner / Graz
Edith Kürpick FMJ / Köln
Ralph Kunz / Zürich
Jörg Nies SJ / Stockholm
Klaus Vechtel SJ / Frankfurt
Redaktionsanschrift:
Pramergasse 9, A–1090 Wien
Tel. +43–(0)664–88680583
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Kirche – wohin?
Wie viele andere, treibt auch mich immer wieder die Frage um: Kirche – wohin? Vom Schreibtisch in meinem Büro fällt mein Blick oft auf eine kleine, verbeulte Aluminiumschüssel, eine Lota. Ich habe sie bei einem Indienaufenthalt auf einem Markt erstanden. Nur ein paar Rupees hat sie gekostet. Mir ist sie sehr wertvoll. Sie erinnert an eine Begebenheit, die Krishna Das in seinem Buch Mit den Augen der Liebe berichtet und die mir zu einer wichtigen spirituellen Einsicht geworden ist. Er schreibt: „Dada packte mich am Arm, zog mich in den Raum, den er für Maharajji bereitet hatte, und schloss die Tür hinter uns. ‚Krishna Das, ich muss dir etwas zeigen.‘ Im Zimmer stand ein alter Almirah (Schrank). Er langte oben auf den Schrank, zog einen Schlüssel herunter und öffnete damit die Tür. Er griff tief hinein und holte etwas heraus, das in ein schäbiges altes Tuch gewickelt war. Er hielt es vor mich und fragte: ‚Siehst du das?‘ ‚Nein. Was?‘ Er wickelte es aus und zeigte mir eine matte, zerbeulte, billige kleine Lota (Aluminiumschüssel). Eindringlich blickte er mich an und fragte wieder: ‚Siehst du das? Er hat es mir überlassen, als er gegangen ist. Siehst du das?‘ ‚Nein, Dada, ich sehe nicht, was du meinst.‘ Er schaute mich mit blitzenden Augen an. ‚Du brauchst nicht zu glänzen. Du brauchst nicht zu glänzen.‘ Dann wickelte er die Schüssel wieder in das schäbige Tuch und legte sie ganz zuunterst in den Schrank, verschloss die Tür, versteckte den Schlüssel oben auf dem Schrank und verließ den Raum. Mir klang noch sein ‚Du brauchst nicht zu glänzen‘ in den Ohren, während ich da stand. Ich werde es nie vergessen. (…) Eine Schale muss nicht aus Gold sein, um mit dem Nektar der Liebe gefüllt zu werden.“ 2
Die verbeulte Aluminiumschüssel stellt für mich diese Erfahrung im Alltag dar. Seit sie in mein Provinzialsbüro mitübersiedelt ist, tut sie es auch für meine Mitbrüder, meine Besucherinnen und Besucher. Sie ermutigt und fordert zugleich heraus.
Kirche – wohin? Bei Gisbert Greshake habe ich eine wichtige Unterscheidung gefunden. Er weist darauf hin, dass es zwei Weisen des Handelns gibt, eine herstellende und eine darstellende. 3Diese sind verschieden, wenngleich sie sich gegenseitig durchdringen und ergänzen. In der ersten, der herstellenden Weise unseres Handelns, stellen wir, wie das Wort schon sagt, etwas her. Wir tun, wir machen, wir produzieren etwas. In der zweiten, der darstellenden Weise, geht es weniger bzw. gar nicht um Machen, um Leistung, um Effizienz. Greshake wählt als Bild das Überreichen eines Rosenstraußes. Es stellt die vorgegebene, unsichtbare Liebe zweier Menschen dar. So wie das Überreichen von Rosen, so soll seelsorgliches Handeln sein. Denn Jesu Handeln war darstellendes Handeln schlechthin. Sein Verhalten, sein Tun, seine Worte – das war nichts als Ausdruck dessen, wer und wie Gott ist. Nur so kann die Frohe Botschaft, die Botschaft von der bedingungslosen Liebe Gottes glaubhaft bezeugt werden. – Wir müssen nicht glänzen! Es reicht, wenn wir zu einer Schale werden, die die Liebe Gottes aufnimmt und weitergibt. Empfangen ist wichtig, allein aber zu wenig. Nicht nur Jesus ist das Licht der Welt, auch wir sind es, können und sollen es sein. Unsere Berufung als Christinnen und Christen ist das Weitergeben, das Ausstrahlen, das Leuchten.
Den Seelen helfen, das wollte auch Ignatius von Loyola. Zusammen mit anderen wollte er Jesus, das Licht, das ihnen geschenkt wurde, hinaustragen in die Welt, zu allen Menschen. Er wollte Gefährte Jesu werden und wurde ein Mensch, der „ganz Liebe scheint“, wie einer seiner Gefährten einmal schrieb. „Die Liebe muss mehr in die Werke als in die Worte gelegt werden“ (GÜ 230). Daran erinnert Ignatius nachdrücklich. Ist das nicht die Triebfeder der Caritas als Grundfunktion von Kirche? Wir sind berufen, Menschen für andere zu sein, uns für sie einzusetzen „im Kampf für den Glauben, der den Kampf für die Gerechtigkeit miteinschließt“ (34. GK, D.2, 2). Diese Unteilbarkeit des Einsatzes ist Qualitätskriterium all unseres seelsorglichen Bemühens in der Kirche. „Indem wir Jesus betrachten, der heilt, befreit und sein ganzes Leben der Verkündigung der Guten Nachricht widmet, machen wir uns bereit, als seine Gefährten gemeinsam zu unterscheiden, auf welche Weise wir uns am besten an seinem Werk beteiligen können“ (36. GK, D.1,39–40).
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