Transfer
Selbstverständlich gilt dieser Lehrsatz der Handlungslogik auch für politische Entscheidungen. Sicher wünschen wir uns alle, dass Friede auf Erden sei. Und nun stellen wir fest, dass es um den Weltfrieden nicht so bestellt ist, wie wir es uns wünschen. Das sind die harten Fakten. Aber folgt nun daraus, wie wir den Frieden sichern? Frieden schaffen ohne Waffen? Abschreckung? Wehrhafte Demokratie? Aber wo verteidigt man die? Auch außerhalb der Landesgrenzen? Wäre das Verhandeln nicht die einzige Möglichkeit, eine Möglichkeit allerdings, die von einer weiteren Gruppe als »Appeasement-Politik« beurteilt wird, als falscher Umgang mit aggressiven Regierungen? Zu all diesen Möglichkeiten gibt es Argumente, und zu diesen Argumenten gibt es wieder Argumente usw. usw. usw. Aus dem Faktum »Wir leben in friedlosen Zeiten« lässt sich nicht ableiten, welche Maßnahme die beste ist, um Frieden zu sichern. Es ist umgekehrt, es ist wie bei der Romreise: Wir müssen alle Nebenentscheidungen mitbedenken und uns dann für die beste aller Möglichkeiten entscheiden, die dem Ziel des Friedens am nächsten kommt. Das Ziel gibt nicht den Weg vor, sondern wir überprüfen mögliche Wege, ob sie zum Ziel führen.
Noch ein Transfer? Bitte schön!
Bildungsungerechtigkeit sei ein Faktum – und deswegen müssten wir mehr Gesamtschulen einrichten! Oder aber sollte man den Ganztag verbindlich machen? Klassen verkleinern? Schüler-Bafög reaktivieren? Die Eltern fördern? Inklusion? Oder Individualförderung? Das Niveau senken? Die Schulzeit verlängern? Bildungsgutscheine vergeben?
Alle diese Maßnahmen werden sicherlich Folgen zeitigen – aber welche Maßnahmen wir ergreifen, hängt davon ab, wie viel Geld der Staat investieren will, ob die Eltern mitmachen, was Pädagogen empfehlen, welche Erfahrungen wir bisher mit welchen Maßnahmen haben, ob privat vor Staat geht oder umgekehrt, usw. usw. usw. Wir müssen weitere Argumente anfügen, um eine Entscheidung zu begründen. Wir ziehen Nebenentscheidungen heran, die nicht aus Zielvorgaben oder Fakten abzuleiten sind. Die sich aber auf Ziele und Fakten beziehen.
Das heißt nun keinesfalls, dass Entscheidungen beliebig sind. Es heißt nur, dass sie nicht aus Fakten oder Zielen ableitbar sind. Am Ende muss unsere Entscheidung wasserfest begründet sein, nachvollziehbar, evident. Fakten helfen uns dabei, sind aber nicht der Grund. Und das hat einen weiteren, nämlich den angekündigten zweiten Grund:
Vive la liberté – nur in Freiheit handelt man!
Aus Fakten lassen sich keine Handlungsnormen so stringent ableiten wie aus mathematischen Grundsätzen praktische Anwendungen. Auch das Regelkreismodell funktioniert zuverlässig nur beim Kühlschrank, nicht aber im Leben: Missstand
Versuch, ihn zu beheben
Evaluation, ob es gelungen ist
bei negativer Antwort neuer Versuch.
Der Grund liegt darin, dass wir Menschen keine Thermostate sind, sondern Vernunftwesen, die Fakten schaffen, auslegen, verstehen und schließlich bewerten. Warum wir das können, weiß kein Mensch; dass wir es können, muss man voraussetzen.
Daher die notwendige Unterscheidung: Wenn der Mensch unfrei wäre, verhielte er sich auf Grund von Fakten (wie die Tiere, die auf Grund von Signalreizen reagieren, so dass wir sie dressieren können). Da der Mensch frei ist, handelt er angesichts von Fakten (weshalb man Menschen nicht dressieren kann; nicht mal die Konditionierung klappt so, wie Strafgesetzbuch und Werbeindustrie sich das wünschen).
Sind wir frei? Ich sage an dieser Stelle (mehr in meinem Buch »Mach’s gut? Mach’s besser!«) knapp »ja!« und schiebe die kürzeste Begründung nach, die es gibt: Wären wir unfrei, lohnte es sich nicht, die These zu bezweifeln, dass wir frei sind. Ohne eine vorausgesetzte Freiheit des Menschen sind alle Bücher sinnlos, alle Gedanken und alle Pläne. Denn wenn wir unfrei wären, dann bräuchten wir nicht zu denken; dann kommt alles, wie es kommt. Sobald wir aber unsere Beine aus dem warmen Bett in die eisige Morgenluft schwenken, gehen wir davon aus, dass wir frei sind. Wir alle leben immer, »als ob« wir frei wären.
Im Hinblick auf Erkenntnis sind wir frei, alle Fragen zu stellen, um uns Antworten anzuhören. Wir können nach allem fragen, wir können alles erkennen wollen. Diese Fragen sind nicht vorgegeben – und wären sie es, dann würden wir sie sowieso genauso stellen. Wir sind folglich immer auf der richtigen Seite, wenn wir Freiheit voraussetzen: Weil wir alles wissen wollen können, sind wir frei, alle Fragen zu stellen. Das kann kein Tier.
Wir handeln anlässlich von Fakten, aber nicht auf Grund von Fakten. Das war immer so oder jedenfalls fast immer: Ich habe ja einige Theorien vorgestellt, die glaubten, das Handeln aus den Fakten ableiten zu können. Man nennt dies in der Fachsprache den naturalistischen Fehlschluss. Die postfaktische Gesellschaft macht diesen Fehlschluss nicht.
Aber wie handeln wir richtig? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir noch klären, was Fakten sind. Ich hoffe, ich schaffe das in überschaubarer Zeit. Aber bis zum letzten Kapitel des Buches müssten Sie sich schon gedulden. Dann versuche ich zu erklären, wie wir handeln können – und wie wir handeln sollen.
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