Es ist also auf weite Strecken nicht ein klassischer Bußweg, wo für begangene Sünden gebüßt wird, sondern ein Weg der Selbsterkenntnis und Reifung ganz im Sinne eines „therapeutischen“ Verständnisses, das als lebenslanges Training Aufgabe ist und bleibt. Von daher erscheint in unserem Zusammenhang die Verwendung des Begriffs der Buße als Lebensbeschreibung der Mönche problematisch, auch wenn sich sicher da und dort solche Formulierungen und Anklänge finden.
Die Altväter differenzierten selbst zwischen Offenbarung der Gedanken und dem Sündenbekenntnis, wie das auch K. Holl wiederum für Basilius darstellt. 268
„Ein Bruder fragte einst den Altvater Poimen: ‘Warum kann ich nicht offen mit den Altvätern über meine Gedanken reden?’ Der Alte antwortete: ‘Johannes Kolobos hat den Ausspruch getan: Über keinen freut sich der Teufel so sehr wie über jene, die ihre Gedanken nicht offenbaren.’ “ (Poimen 101)(Apo 675)
„Abbas Poimen erzählte: Der Abbas Paphnutios pflegte zu sagen: In alten Zeiten, als die Altväter noch lebten, ging ich zweimal im Monat zu ihnen - die Entfernung betrug zwölf Meilen - und legte ihnen mein ganzes Denken dar, und sie sagten nichts anderes als dies: ‘An welchen Ort du auch hinkommst, vergleiche dich nicht mit anderen, und du wirst Ruhe finden.’ “ (Paphnutios 3)(Apo 788)
„Wenn du von unreinen Gedanken bedrängt wirst, verbirg sie nicht, sondern offenbare sie sofort deinem geistlichen Vater und vernichte sie. Denn in dem Maß, in dem man seine Gedanken verbirgt, vermehren sie sich und werden stärker. Ähnlich wie eine Schlange, die aus ihrem Versteck entweicht und sogleich davonläuft, so verschwindet der Gedanke sofort, wenn er offenbart ist. Und wie ein Wurm das Holz, so zerstört der schlechte Gedanke das Herz. Wer seine Gedanken offenbart, wird sogleich geheilt, aber wer sie verbirgt, wird krank vor Stolz.“ 269
Bei Origenes findet sich in Auslegung von Ps 137,8 ein sehr drastisches Bild:
„Es könnte sonst der Fall eintreten, daß irgendein Laster oder Gedanke im Herzen zurückbleibt, im Lauf der Zeit erstarkt und immer mehr sich breitmacht und stärker wird ... und schließlich ist das Ende schlimmer als der Anfang. Das schaute der Prophet im Psalm voraus und mahnte: ‘Wohl dem, der die Brut packt und am Felsen zerschmettert’, d.h. die Brut Babels, unter der nichts anderes zu verstehen ist als die bösen Gedanken, die unser Herz ‘verwirren’ und ‘durcheinanderbringen’. Das bedeutete ja ‘Babel’. Diese Gedanken müssen wir, solange sie noch klein sind und am Anfang stehen, packen und am Felsen Christus zerschmettern und ihnen auf seinen Befehl hin die Kehle abschneiden, damit ‘nichts von dem, was Odem hat, übrig bleibt’. So wird an der einen Stelle (Ps 137,8b) der gelobt, der die Brut Babels packt und am Felsen zerschmettert und die bösen Gedanken sofort beim Entstehen tötet, an der anderen (Jos 11, 11) der, ‘der nichts überleben läßt, was Odem hat ‘.“ 270„Wer gemäß der Lehre Christi die bösen Gedanken der Seele tötet, der zerschmettert die Brut Babels am Felsen.“ 271
Diese Auslegung wird tradiert u.a. von Johannes Cassian 272. B. Steidle bringt dieses Zerschmettern der Gedanken an Christus in Zusammenhang mit der Offenbarung der Gedanken dem Abbas gegenüber und verweist auf die entsprechende Praxis im Mönchtum. 273
Für Johannes Cassian ist die vollständige Eröffnung der Gedanken die zweite Stufe der Demut 274, er hat sie in seinen Regeln für die Novizen in einem eigenen Kapitel behandelt:
„Damit sie leicht dahin gelangen [zur wahren Demut], werden die Novizen angeleitet, niemals Gedanken, die sie im Herzen verwirren, aus falscher Scham zu verbergen. Sobald solche Gedanken entstanden sind, sollen sie sie dem Älteren kundtun. Das Urteil darüber sollen sie nicht ihrem eigenen Unterscheidungsvermögen zutrauen, sondern in der Frage, was schlecht oder gut ist, auf das vertrauen, was die Prüfung des Älteren ergeben und festgestellt hat. So kann der böse Feind dem unerfahrenen und unwissenden Novizen nicht zuvorkommen. Mit keiner List kann er ihn täuschen, denn er sieht ja, daß er nicht mit seiner eigenen, sondern mit des Älteren Unterscheidungsgabe ausgerüstet ist. Er kann ihn auch nicht dazu bringen, die Einflüsterungen, die er gleich glühenden Pfeilen in sein Herz schießt, vor dem Älteren zu verbergen. Der recht schlaue Teufel kann den Novizen ja gar nicht anders betrügen und täuschen, als daß er ihn dahin bringt, aus Stolz oder Scham seine Gedanken nicht aufzudecken. Als ganz allgemeines und offenkundiges Zeichen teuflischer Gedanken gilt es bei den Mönchen, wenn man sich schämt, sie dem Oberen anzuzeigen.“ 275
In den Collationes führt Cassian dies weiter aus:
„Wirkliche Unterscheidungsgabe (discretio) erlangt man einzig durch wahre Demut. 276Die erste Probe auf Demut ist, daß man alles dem Urteil der Väter unterwirft, nicht nur, was man tut, sondern auch, was man ‘denkt’. Auf diese Weise vertraut man in keinem Punkt seinem eigenen Urteil, sondern dem Urteil der Väter, und erkennt einzig aus dem, was sie überliefern, was man als gut und was man als böse zu betrachten hat.
Aufgrund dieser Einrichtung weist eine wahre Discretio ihm, dem Jüngeren, nicht nur den rechten Weg, sondern bewahrt ihn auch unverletzt vor den Fallstricken und Hinterhältigkeiten des Feindes. Keiner wird nämlich getäuscht werden, der nicht nach eigenem Gutdünken lebt, sondern in allem sich an der Erfahrung der Väter orientiert. Und dem noch Unkundigen werden die schlauen Täuschungen des Feindes nicht schaden können, wenn er keinen der Gedanken, die in seinem Herzen aufsteigen, aus falscher Scham verhehlt, sondern alle dem reifen Urteil der Alten unterwirft und demgemäß solche Gedanken entweder verwirft oder zuläßt. Sobald nämlich ein böser Gedanke offenbart wird, verliert er seine Kraft. Und noch ehe Discretio ihr Urteil gesprochen hat, ist die scheußliche Schlange bereits aus ihrem finsteren, unterirdischen [d. i. unterbewußten] Schlupfwinkel durch die Kraft des Bekenntnisses ans Licht gezogen worden. Denn nur so lange knechten uns die schädlichen Gedanken mit ihrer suggestiven Kraft, als sie im Herzen verheimlicht werden.“ 277
Die Offenbarung der Gedanken geschieht damit, noch bevor es zu irgendeiner Tat kommt und gehört damit eher zur asketischen Übung im Sinne der Selbsterkenntnis 278und des Lernens des Umgangs mit sich und seinen Gedanken, Leidenschaften etc.. 279Der „Ort“ für die Selbsterkenntnis ist das Herz des Menschen. Abbas Pambo sagt: „Wenn du ein Herz hast, kannst du gerettet werden.“ 280Ein Herz zu haben, so H. Vlachos, meint, sein Herz zu finden, zu sich selbst zu finden, um dort, im Herzen, die Führung Gottes zu entdecken. 281
Die Gedanken aufzuhalten ist töricht bzw. unmöglich, es geht darum, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ein Beispiel macht das deutlich:
„Ein Bruder kam zum Altvater Poimen und sagte: ‘Vater, ich habe vielerlei Gedanken und komme durch sie in Gefahr.’ Der Altvater führte ihn ins Freie und sagte zu ihm: ‘Breite dein Obergewand aus und halte den Wind auf!’ Er antwortet: ‘Das kann ich nicht!’ Da sagte der Greis: ‘Wenn du das nicht kannst, dann kannst du auch deine Gedanken nicht hindern, zu dir zu kommen. Aber es ist deine Aufgabe, ihnen zu widerstehen.’ “ (Poimen 28)(Apo 602)
Gedanken zu haben oder vielleicht besser, sie wahrzunehmen, wird etwa von Abbas Kyros ausdrücklich begrüßt, denn dies bewahrt vor der Tat bzw. gibt die Möglichkeit, Widerspruch zu erheben. Wer keine Gedanken hat, der tut die Sünde.
„Über unzüchtige Gedanken befragt, antwortete der Altvater Kyros, der Alexandriner, folgendermaßen: ‘Wenn du den Gedanken nicht hast, dann entbehrst du der Hoffnung. Bist du gedankenfrei, dann wendest du dich zur Tat. Das heißt: Wer in seinem Denken nicht gegen die Sünde kämpft und auch keinen Widerspruch erhebt, tut sie leiblich. Wo nämlich die Tat vorliegt, wird man von Gedanken nicht belästigt.’ Es fragte nun der Alte den Bruder: ‘Du hast es doch wohl nicht mit einem Weibe zu tun gehabt?’ Der Bruder antwortete: ‘Nein, aber meine Gedanken sind alte und neue Maler: meine Erinnerungen machen mir zu schaffen und: es sind Frauenbilder.’ Da sprach der Greis zu ihm: ‘Tote fürchte nicht! Aber die Lebenden fliehe und verlängere lieber deine Gebete.’ “ (Kyros)(Apo 445)
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