Anfangs mit nur zwei Fingern, tippte ich Wort um Wort ein, erschuf eigene Welten und Figuren, ließ sie sich verlieben oder sterben, suchte Worte zum Trotz oder zum Trost. Vielleicht war ich ein etwas sonderbares Kind, vielleicht hatte ich aber auch nur das große Glück, schon ganz früh die Gnade der guten Geschichten zu erfahren, die sich in mein Herz schlichen, mir Worte ins Ohr wisperten und raus in die Welt zu wollen schienen. Und vielleicht war dieses kleine, feine Schreiben schon längst mein ganz persönlicher Gottesdienst. Gespeichert auf Disketten: mein Dienst an Gott. Oder mein Dienst mit Gott. Denn wenn das Wort bei Gott ist und Gott selbst das Wort, konnte er dann nicht auch zu Gast in meinem Dachgeschosszimmer sein? Als Kind habe ich das nicht in Erwägung gezogen, zu vertraut waren mir die vorgegebenen Vorstellungen eines Gottes, den ich wohl am ehesten in der heiligen Messe finden würde und nicht zwischen meinen eigenen Gedanken. Aber heute denke ich öfter über diese Möglichkeit nach. Denn wer sagt, dass Gott nur in Kathedralen zu finden ist, in Kapellen und Kirchen? Vielleicht ist er genauso oft auch im Kinderzimmer zu finden. Dort, wo die Fantasie wohnt, die Hoffnung auf das ultimativ Gute, die Quelle der Kunst, der Schönheit und der Liebe. Ein bisschen Bullerbü und ein bisschen Bibel. Warum nicht?
Das Gefühl, in den vorgegebenen Rahmen der Kirchen nicht so recht reinzupassen, hat mich oft auf diese Frage gestoßen: Warum nicht? Warum nicht mal querdenken? Traditionen toll finden, aber Innovationen mindestens genauso gut. Worte wörtlich nehmen. Gott ist das Wort. Wie großartig! Denn dann umgibt er mich ständig. Beim Anfang anfangen: back to the roots. Was sind die Wurzeln? Was ist der Kern? Was wollen wir erzählen, was glauben? Wo fangen wir an?
Geschenke auspacken
Ich habe schreibend angefangen. Weil mir das am meisten entspricht. Weil ich gemerkt habe: Es gibt sie, die heiligen Momente, wenn ich schreibe und schreibe, um Worte ringe, Gedanken teile und auf einmal selbst ein wenig ungläubig lese, was dort entstanden ist, und ich mich fragen muss: Woher, verflixt, kam jetzt diese Idee? Wenn ich vorsichtig zu fragen wage: Hallo, Mister Gott, hier schreibt Hanna. Do you read me? Do you lead me? Heilige Momente erlebe ich auch, wenn ich anderen zu lesen gebe, was ich geschrieben habe, und sehe, wie in den Augen meines Gegenübers plötzlich Tränen zu glitzern beginnen oder ein Lächeln die Lippen umspielt, ein Runzeln die Stirn ergreift oder der Kopf langsam zu nicken beginnt. Heilige Momente sind das, die ich voll Glück und voll Dankbarkeit annehme. Danke, Gott. Für deine Worte.
Ich glaube daran, dass jedem Menschen eine Gabe gegeben ist. Mindestens eine. Ich glaube daran, dass jeder Mensch auf besondere Art und Weise begnadet ist. Manche brauchen ein Leben lang, um diese Gnade zu entdecken und für sich annehmen zu können, manchen wird sie buchstäblich in die Wiege gelegt. Geschenke sind das, die wir auspacken dürfen, ohne eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Unsere Aufgabe ist es höchstens, zu überlegen, an welcher Stelle diese Gabe wohl gut eingesetzt wäre. Auf dass sie nicht nur mich selbst beschenke, sondern auch andere. Genau das ist es, was ich mir von Kirche, wie ich sie bisher kennengelernt habe, immer gewünscht und so oft vermisst habe: die Offenheit, die wahnsinnige Dankbarkeit und Stärke, anzuerkennen, dass jede und jeder etwas mitbringt. Geschenke, die es auszupacken gilt, weiterzureichen und zu teilen. Das ist für mich ein Teil dieses goldenen Kerns: ein Funke Gottes in jedem von uns. Eine Krone der Schöpfung, die auf jeden Kopf passt.
Das Schreiben hat mich meinen eigenen Sehnsüchten nähergebracht, aber vor allem auch anderen Suchenden, Nomaden, Kirchenaussteigern. Zwischen den Welten und zwischen den Worten sind wir uns begegnet. Dafür musste ich mich allerdings erst mal trauen, meine Worte nicht in Schubladen einzusperren und verstauben zu lassen auf Disketten oder USB-Sticks, sondern sie zu teilen, in Regalen und im Internet. Auf einem Blog habe ich meine Geschichten und Gedichte hochgeladen. Mit klopfendem Herzen und immer der Frage im Hinterkopf: Will jemand lesen, was ich schreibe? Mehr als einmal musste ich mich daran zurückerinnern, wie glücklich mich das Schreiben an sich bereits gemacht hatte. So glücklich, dass es im Grunde gar nicht so wichtig war, wie andere mein Schreiben bewerten würden. Mein Gottes-Dienst war erfüllt. Heilige Momente lagen längst hinter mir. Und dann kamen plötzlich doch noch einmal tausend solcher dazu. Denn auf einmal war ich mit meinen Worten nicht mehr alleine. Andere teilten sie und meine Weltansicht, meine Fragen und meine Sehnsüchte. Sie ließen sich berühren von den Zeilen, die in meinem Kopf entstanden waren, dachten nach, dachten mit und dachten weiter. Texte voll Güte und voll Gnade entstanden so, voll Hoffnung und voll Heimat. Aus Orten, lang gesucht und nicht gefunden, wurden Worte. In meiner Timeline, bei Facebook und Twitter tummelten sich zunehmend Christinnen und Christen, aus dem Rahmen gefallen, auf der Suche. Sie wurden zu meiner Leserschaft, meiner Netzgemeinde, meinen Stichwortgebenden und Nächsten.
Dabei schreibe ich längst nicht nur zu christlichen Themen, jedenfalls auf den ersten Blick nicht. Wahrscheinlich ist auch das wieder eine Frage von Schubladendenken. Denn wenn Gott das Wort ist, ist dann nicht alles Gott, was wir sagen und schreiben?
Gemeinsam suchen
In Rückmeldungen und Kommentaren von Leserinnen und Lesern auf meine Blogbeiträge, Artikel und Bücher spüre ich immer wieder die gleiche Sehnsucht, die auch ich habe. Dass vielleicht alles irgendwann eins sein möge. Nicht mehr so strukturell gedacht. Nicht so sehr mit Blick auf das, was uns voneinander unterscheidet, sondern eher auf das, was uns eint. Wir wollen Traditionen weiterführen und schätzen lernen, was es schon gibt, aber ebenso Innovationen weiterdenken, damit es irgendwann noch mehr gibt. Wir wollen eine Haltung entwickeln, die einlädt zum Halt. Wie ein Stoppschild, um Gelegenheit zu haben, noch mal kurz nach rechts und links zu blicken und sich zu fragen, ob man noch der richtigen Spur folgt. Wir wollen das Evangelium auf unser Leben übertragen und unseren Alltag unterbrechen. Frohe Botschaften verbreiten. Nicht Erster sein, nicht Letzter, sondern Nächster. Wunden in Wunder verwandeln. Den Himmel auf die Erde holen. Neue Worte finden. Buchstabe für Buchstabe. Zeile für Zeile.
Seitdem ich öffentlich schreibe, ist meine Sehnsucht nach Verortung in einem expliziten Kirchenraum etwas kleiner geworden. Weil längst andere Räume entstanden sind. Räume der Begegnung und des Austausches, des Schenkens und des Beschenktwerdens. Aus Fremden wurden Freunde. Das Fremdgefühl verbindet uns miteinander. Wir, die dazwischen sind, sind es nun gemeinsam. Wir, die gegen Schubladendenken sind, bauen zusammen Regalwände. Wir, aus der Familie der Christinnen und Christen, feiern Familienfeste, werden zu Wahlverwandten. Vielfach virtuell, aber wenn wir uns dann doch mal im echten Leben treffen, fühlen wir uns an wie Vertraute. Wir lesen uns in- und auswendig. Welch ein Glück. Welch eine Gnade.
Und dann, ohne dass ich es drauf angelegt habe, gibt es auf einmal auch in bestehenden Kirchenräumen einen Platz für mich und mein Schreiben. Vielleicht, weil sich auch dort so viele dazwischen fühlen, so viele auf der Suche sind, nur haben wir bisher nie miteinander gesprochen, nichts voneinander geahnt. Ich werde eingeladen, meine Gedanken zu teilen, denjenigen meine Worte zu leihen, denen sie selbst so sehr fehlen. Mit einem Kopf in den Wolken, Fantasie bis zum Himmel und einer Liebe zum geschriebenen Wort. Das war ich auch als Zwölfjährige schon. Heute wird mir zugehört. So manches Mal war ich überrascht, wenn eine Anfrage in meinem Postfach landete: Ein Text, der vom Suchen erzählt, wurde gewünscht. Tröstend und trotzig. Liebevoll und leidenschaftlich. Ehrlich und erfinderisch. Für Katholikinnen, Evangelikale, Lutheraner und all die anderen. In jeder Kathedrale, Kirche und Kapelle scheint es sie zu geben, die Suchenden. Die vielleicht mit ihrem Latein am Ende sind, aber nicht mit ihrer Liebe. Ich suche Worte für sie, für mich, für uns.
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