Von
Notburga, Maria, Cäcilie,
Malin und Pia
Historischer Roman
Frauenschicksale von 1850 - 2015
von
Sybille A. Schmadalla
Inhaltsverzeichnis
Prolog
Cäcilie 1895 - 1968
…und Pia stellt Fragen
Maria 1874 - 1958
Notburga 1850 - 1935
Malin von Althaus 1924 - 2000
Pia recherchiert die Kriegsjahre
des Vaters 1943 - 1946
Malin und Robert 1948 - 2000
Pia und Malin 1956 - 2015
Anhang
Impressum Dank Kurzbiografie
Quellenverzeichnis
Übersicht zur Rechtsgeschichte
Psychologische Dimensionen
Stammbaum der Frauen
Back up
Vorbemerkung
Wer über die geschichtliche Entwicklung von Frauenrechten schreibt, kommt am Thema Gewalt nicht vorbei.
Staatliche, gesellschaftliche, individuelle Gewalt. Letztlich ein Spiegel der gesellschaftlichen Haltung zum Thema Gewalt.
Stets gilt es die Rechte der Frauen aufs Neue zu verteidigen! Ein Thema, das immer politisch virulent ist. Die Debatte um Gleichen Lohn für Gleiche Arbeit oder die Flüchtlingswelle, die insbesondere das Thema Gewalt gegen Kinder und Frauen aufwirft. Das Wiederaufleben des Barbarischen, wie es die Terroristen des IS proklamieren, steht erkennbar gegen die Rechte des Individuums und die Errungenschaften der Zivilgesellschaft seit 1789.
Wir stehen vor einer der größten Herausforderungen der Geschichte.
Dieser Roman umfasst die Zeitspanne 1850 bis 2015 und belegt den gesellschaftlichen Wandel in Deutschland in dieser Frage.
Die Protagonistinnen stehen jeweils für einen psychologisch belegbaren Typus. Die aktuelle Lage in Afrika und Europa, die Katastrophe einer drohenden Völkerwanderung unbekannten Ausmaßes, fordert das Handeln des Einzelnen. Zu welchen Werten werde ich mich bekennen? Die Deutschen, die noch immer unter den Folgen des Zweiten Weltkriegs leiden, müssen Antworten finden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und wären dem gemeinsamen Erleben wie Kriegstraumata, Vertreibung und Flucht geschuldet.
Die Handlung und die in ihr vorkommenden Charaktere sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen wäre rein zufällig.
Jedoch ist der geschichtliche Kontext wie z.B. die Luftangriffe auf Nürnberg, der Afrikafeldzug, der Kampf um Frauenrechte usw. historisch verbürgt.
„Langsam ist das Erleben allen tiefen Brunnen:
lange müssen sie warten, bis sie wissen,
was in ihre Tiefe fiel.“
Friedrich Wilhelm Nietzsche: Also sprach Zarathustra - Ein Buch für Alle und Keinen Kapitel 23 Von den Fliegen des Marktes.
Malin von Althaus, geborene Grundler
Malin hatte in ihrem grünen Sessel gesessen. Sie wartete. Sie dachte nach. ‚Ich werde alleine sein‘. ‚Ich‘ hatte sie seit 1962 nicht mehr gesagt oder gedacht. ‚Ich‘. 1962. Achtunddreißig Jahre her.
Malin summte vor sich hin, ein Weihnachtslied. Verwundert lauschte sie ihrer inneren Stimme: „… still und starr liegt der See, weihnachtlich glänzet der Wald, freue dich, ‘s Christkind kommt bald …in den Herzen wird‘s warm, still schweigt Kummer und Harm ...“ Mit einer ärgerlichen Handbewegung scheuchte sie die Gedanken.
Sie fühlte wie immer – nichts. Still und starr. Malin wartete. Sie war jetzt Mitte 70. Sie war alt. Die Kinder sollten sie abholen und ins Krankenhaus fahren, wo ihr Mann Robert im Sterben lag. Schweigen schwebte im jedem Raum, füllte das Haus, mit der Gewissheit, was da kommen würde. Das Wohnzimmer, mit dem braunen, blockartigen Parkettboden, typisch fünfziger Jahre, die Marmorfensterbretter, alles gemeinsam ausgesucht. Es ging zu Ende. Gedankenverloren zwirbelte sie mit den Fingern die Tischdecke des Beistelltischchens. Jetzt fühlte sie etwas, einen leisen, ziehenden Schmerz, dort, wo die Seele sein sollte. Bedauern. Malin weinte schon lange nicht mehr. Das letzte Mal hatte sie geweint, als ihre Mutter starb, Cäcilie Grundler, das lag mehr als 30 Jahre zurück. Jetzt würde Malin alleine sein, alles, was schwer war, kam immer zu ihr. Einsamkeit wog schwer. Sie würde nicht einsam sein, nicht als Mutter von fünf Kindern. Fünf lebenden Kindern. Sie besuchten sie oft, das würde so bleiben. Es fielen ihr Sätze ein. Sätze aus Büchern, die sie den Kindern immer vorgelesen hatte >die Stille wanderte auf und ab< oder >ihr Herz war in einen Dornbusch gefallen<. Bei diesem Satz wurde ihr bewusst, dass sie fast fünfzig Jahre mit Robert verheiratete war. Ihr größtes Geheimnis teilte sie bis heute nur mit ihrer Schwester Amalie und ihrer Mutter - beide lange tot. Er wird es nie erfahren. Genauso wenig, wie er nicht ahnte, dass sie es wusste. Sie wusste, was er, Arthur, ihrem erstgeborenen Sohn, angetan hatte. Nie hatte sie Robert zur Rechenschaft gezogen. Sie seufzte tief und dachte ‚Warum eigentlich nicht?‘. Danach hatte sich alles verändert. Alles. ‚Ich‘ – Malin spürte Ratlosigkeit. Was sollte werden, wenn Robert nicht mehr lebte? Es würde kein neuer Anfang sein, obwohl es definitiv das Ende von etwas bedeutete. Wer würde sie sein? Was würde geschehen mit ihrem ungeliebten Leben? Was anfangen? Sie würde alleine sein. Das traf heute schon zu. Ihre ständigen Begleiter hießen Einsamkeit und Traurigkeit. Nie hatte sie sich verstanden gefühlt. Was sollte sich daran ändern?
Sie dachte an ihre Kinder, die Zwillinge Alma und Arthur. ‚Gleich Zwillinge‘, das hatte sie fast überfordert. Alma war ein liebes, braves kleines Mädchen gewesen, aber Arthur! Es fehlte ein Ärmchen, es schauderte sie, als sie den Moment erinnerte. ‚Ein behindertes Kind! Zu Beginn zudem ein unentwegt quengelndes Kind. Seine Behinderung lastete schwer auf ihrer Seele. Eine körperliche Behinderung bis Robert…‘ mit einer ungeduldigen Bewegung unterbrach sie sich, scheuchte sie erneut die Gedanken. Das Unaussprechliche blieb sogar als Gedanke undenkbar. ‚Schon im Jahr drauf kam Tilde auf die Welt, wieder ein Mädchen, robust, blond und rosig, aber eben wieder ein Mädchen und kein Junge. Jedes Jahr ein Kind, Pia, erneut ein Mädchen! Alle Kinder schienen ihr so fremd. Aber dann, die Fehlgeburt zählte nicht, aber dann gebar sie Johannes, einen rundum properen Knaben, ihr Liebling. Es gab dazwischen eine Totgeburt - wieder nur ein Mädchen‘ ‚Ich‘ – viel konnte sie damit nicht anfangen. ‚Ich?‘ Die Stille wanderte auf und ab. Ihr Herz war in einen Dornbusch gefallen – vor langer Zeit.
Johannes
Johannes, das jüngste der Kinder, der gesunde Stammhalter, Jahrgang 1960, hatte auf der Bank im Krankenhausflur gesessen.
Er sollte die Verwaltungsdame treffen, um die letzten Dinge zu regeln. Johannes, der Autorenfilmer in der Rolle des liebenden, trauernden Sohnes, der der Mutter die helfende Hand reichte. Er, der die letzten Dinge für sie regelte. Eine Paraderolle. Johannes fand sich genial. Als Filmschaffender und Regisseur fühlte er sich unabhängig. Er inszenierte sich regelmäßig - ein begnadeter Selbstdarsteller. Er hielt sich für außergewöhnlich intellektuell, unglaublich gebildet, sprachgewandt, belesen, unterhaltsam, schillernd und begabt. Schlicht, er fand sich phantastisch. Johannes kannte Gott und die Welt und was viel mehr zählte - Gott und die Welt kannten ihn! Johannes scheute sich nicht einen Satz, wie >mein Wille geschehe <, in Mikrofone zu sprechen, und ‚schon tanzten in seinen Filmen alle Figuren nach seiner Pfeife‘ – meinte er. Mit dem unbedeutenden Schönheitsfehler, dass er noch keinen ‚bedeutenden‘ Film gedreht hatte, aber das stellte in seinen Augen maximal eine Petitesse dar.
Er, der gesunde Sohn, der Liebling der Mutter, ‚der Sonnenschein‘, ‚der Augenstern‘, ‚das Süßerle‘. Er lächelte maliziös. ‚Niemand wird mich mehr hindern, das zu tun, was ich will. Meine Macht über sie ist groß. Bei mir bockt sie nicht.‘ Er stand nervös auf, nur um sich sofort wieder zu setzen. ‚Du liegst in dieser Kiste. Ich habe deine Augen zugedrückt, aber du schlugst sie wieder auf, also nochmal und noch einmal. Die Stille im Raum, die atemlose Betroffenheit im Krankenhauszimmer. Totenstille, im Sinne des Wortes‘. Er wippte nervös mit dem überschlagenen Bein, sah erneut zur Uhr, konzentriert begutachtete er seine teuren Slipper.
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