Es zeigt sich, dass dem Betreuungsparadigma eine Service-Mentalität entspricht, wobei letztere eine Weiterführung der ersteren ist. Die Betreuungspastoral stammt streng genommen noch eher aus einer volkskirchlichen Situation, während die Service- und Angebotspastoral eher schon einer bürgerlichen Religion und deren ekklesialen Ausprägungen entspricht. Gleichwohl gibt es Ähnlichkeiten in beiden Varianten, insofern ihr Leitgedanke nach wie vor die traditionelle Form kirchlicher Praxis präferiert, bzw. sich wesentlich an der Sozialform Pfarrei 34orientiert, wenngleich es innerhalb der Angebots- und Servicepastoral Übergänge hin zu einer gemeindlichen Struktur gibt. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob damit – wenn nicht wesentliche theologische Grundperspektiven zugleich geändert werden – sich auch wirklich eine Neuorientierung ergibt. Zwar ist die Weiterentwicklung der Pfarrei hin zu einer Gemeinde 35, präziser vielleicht noch hin zu dem, was in Analogie zur lateinamerikanischen Wirklichkeit als Basisgemeinde zu kennzeichnen wäre, eine notwendige und unaufgebbare pastorale Forderung. Dem trägt auch die pastoraltheologische Diskussion um die Entwicklung von der Pfarrei hin zur Gemeinde Rechnung. Bildet sich dies aber in den pastoralen Entwürfen der bundesdeutschen Diözesen hinreichend ab? Wird nicht der Begriff Gemeinde schnell – und in den seltensten Fällen mit jener befreiungstheologischen Konnotation – genutzt, um zwar das Parochialprinzip zu verlassen, keinesfalls aber die Betreuungs- und Serviceperspektive dabei aufzugeben? Immerhin bietet diese Pastoral immer auch noch die Möglichkeit, machtförmige Strukturen unter veränderten Bedingungen am Leben zu erhalten. Diesen Strukturen werden alle pastoralen Neuansätze unter der Leitperspektive der Ämterfrage, über die an späterer Stelle noch Auskunft zu geben ist, unterworfen.
Schließlich gilt es noch zu erwähnen und später in der sakramentenpastoralen Fokussierung zu reflektieren, dass Service- und Betreuungspastoral auch hinsichtlich der Akteure sich gut ergänzen, wenn nämlich der deutlich marktförmigen Attitüde der Kirchenmitglieder eine Versorgungsreaktion der Pfarrer entspricht. Unausgesprochen, aber doch wirksam, ist der Glaube: ‚Für meine Kirchensteuer erwarte ich bestimmte Dienstleistungen.’ 36Dies bildet sich insbesondere in den Sakramenten der Taufe und der Ehe ab, viel deutlicher aber vielleicht noch in den Kasualien bei bestimmten wichtigen Lebensabschnitten. In extremen Ausprägungen kann hier sogar von Warenförmigkeit gesprochen werden. Diese Tendenz zeigt sich schon seit einigen Jahren in der Enttäuschung von immer mehr Kirchenmitgliedern die sie zwar nicht offensiv äußern, sich aber dennoch danach verhalten, für ihre monetäre Leistung keine adäquate pastorale Versorgung (mehr) zu erhalten. Dabei ist zunächst unerheblich, ob es sich um eine reale oder um eine subjektiv so wahrgenommene Enttäuschung ihrer Erwartungen handelt.
Die Warenförmigkeit aber gibt es nicht nur von Seiten der Kirchenmitglieder; auch die Kirche verhält sich zunehmend marktkonform, wenn in ihr immer häufiger von „Kundenorientierung“, von „Angebotspalette“ und „Dienstleistungen“ gesprochen wird. Die Spitze dieser schleichenden Ökonomisierung der Pastoral war zuletzt in der vielfach beachteten Sinus-Milieu-Studie 37zu beobachten, die nicht nur für die Wirtschaft interessante Daten liefert, um zu wissen, wie sie ihre Produkte am erfolgreichsten absetzen kann, sondern auch in der Kirche ähnliche Fragen befördert, denn „die Frage steht im Raum, ob nicht auch die Kirche und ihr Agieren ‚marktgerechter’, in diesem Falle ‚milieugerechter’ werden muss“ 38, unter der durchaus wichtigen Einschränkung, dass das Evangelium eben keine Ware ist. 39
1.3 Kirchlichkeit und Verkirchlichung
Es darf wohl als eine der bedeutendsten Leistungen des Zweiten Vatikanischen Konzils angesehen werden, die Kirche grundlegend mit der modernen Gesellschaft und ihren kognitiven Potentialen in Berührung gebracht zu haben. Damit ist auch der Geschichtlichkeit menschlicher Existenz Rechnung zu tragen wie auch ihrer gesellschaftlichen Verfasstheit. 40Das Konzil hat, freilich nicht unangefochten, aber dennoch deutlich, eine Neuorientierung des Kirchenverständnisses formuliert. Kirche ist seitdem immer als Kirche in der Welt zu verstehen, Theologie ist eine „Theologie der Welt“ (Metz); aber auch darum ranken sich seither beinahe endlose Richtungsstreitigkeiten. Es wäre zu erwarten gewesen, dass diese Begegnung der Kirche mit der Welt zu grundlegenden Veränderungen der Kirche selbst geführt hätte, und in vielen Bereichen der Weltkirche ist dies auch durchaus geschehen. Vor allem in den Ortskirchen der sogenannten Dritten Welt lassen sich viele Impulse hierfür finden. Aber auch in der bundesdeutschen Kirche kann die Gemeinsame Synode als Versuch gesehen werden, von der Dynamik des Konzils sich anstecken zu lassen. Gleichwohl lässt sich zugleich eine Tendenz zur Verkirchlichung 41des Christentums erkennen, die geradezu als Gegenbewegung zu einem aufgrund des Modernisierungsschubs zu beobachtenden Plausibilitätsverlusts der Kirche anzusehen ist. Einer Säkularisierung und Entzauberung der Gesellschaft steht eine Verkirchlichung des Christentums gegenüber. Infolgedessen wird das Christentum nunmehr fast ausschließlich als Amtskirche mit einer ganz klaren hierarchischen Ordnung wahrgenommen. Die Hauptakteure der Kirche sind konsequenterweise Hauptamtliche. In diese Tendenz ist auch die Entdeckung neuer pastoraler Berufsgruppen einzuordnen, die zwar in sich diesem Trend kritisch gegenüberstehen, weil sie ein sehr stark laikales Berufsverständnis ausgeprägt haben 42. Sie konnten diesem Trend aber kaum eigene Widerstandskraft entgegenstellen und partizipieren inzwischen auch trefflich daran, wie sich jüngst gerade im Bistum Trier ablesen lässt, in dessen Verwaltung zentrale Direktorenstellen nunmehr von Pastoralreferenten besetzt sind. Auch auf der mittleren Ebene hat diese Berufsgruppe wichtige Positionen inne. Hier zeigt sich, dass die ursprüngliche Vermutung der Verkirchlichungsthese von Kaufmann, die Machtverteilung sei eindeutig hierarchisch, auch im Sinne der klerikalen Hierarchie, heute wenigstens auf der Ebene der kirchlichen Verwaltung aufgeweicht wurde, nicht aber, was die lehramtliche Dimension anbelangt.
Obwohl das Zweite Vatikanische Konzil die Kollegialität der Bischöfe deutlich stärkte, zeigt sich in der gegenwärtigen Verfassung der Kirche immer wieder eine andere, häufig gar gegenläufige, zentralistische Tendenz. Zwar wurden wichtige Partizipationsmöglichkeiten in Form von Laien- und Pastoralräten, synodalen Strukturen u.ä. geschaffen; die Letztentscheidung liegt jedoch immer noch in den Händen der Kleriker. Auch die Ortskirchen und die Ortsordinarien werden, wenn dies vermeintlich universalkirchliche Fragen betrifft, dem Jurisdiktionsprimat unterworfen. 43
Das Erscheinungsbild der Kirche ist also wesentlich das der Amtskirche mit festen Hierarchien, hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, einer klaren Kompetenzverteilung 44und klarer Ressourcengewinnung und –verteilung vermittels der Kirchensteuer. Die Kirche erscheint so als Organisation mit einem bestimmten Leistungsangebot, dessen man sich bedienen kann.
Verhängnisvoll ist nun, dass die Verkirchlichungstendenz zugleich einer Entkirchlichung 45Vorschub leistet, weil die aktiv vorangetriebene Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Sphären zu einer Trennung der Religion gegenüber den Bereichen der Kultur, der Ökonomie und des administrativen Sektors führte. Nicht mehr die Vermittlung in die Welt hinein, sondern die Absetzung von der Welt ist nunmehr die Zielrichtung, weil die Religion nicht mit der feindlichen Welt‘ in Berührung kommen möchte. Möglicherweise ist das auch der Hintergrund der Aufforderung von Benedikt XVI. 46, die Kirche habe sich zu entweltlichen. Angesichts der begrifflichen Unschärfe seiner Rede und der Deutungsvielfalt dieses Stichwortes kann dies aber nicht evident belegt werden. Der Einflussbereich der Kirche aber schwindet ganz offenkundig in dem Maße, wie sie sich verkirchlicht, sich auf den Binnenraum reduziert und die kritische Vermittlung zur Welt hin – zentrale Aufgabe des Geistes des Zweiten Vatikanischen Konzils! – aufgibt. Eine Gesellschaft, in der das Christentum sich verkirchlicht, sucht dann nach neuen zivilreligiösen Horizonten, die gerade zur Zeit wieder deutliche Konturen annehmen und sich in den Debatten um Postsäkularität abzeichnen. 47
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